Sozialbestattung
Sehr viele Menschen werden am Allerheiligentag auf Österreichs Friedhöfe strömen, um die Gräber ihrer Angehörigen zu besuchen, die sie dort würdig beisetzen konnten. Doch nicht allen ist es möglich, die Bestattung ihrer Lieben zu finanzieren. In manchen Fällen gibt es auch keinen Nahestehenden mehr, der Verstorbene auf dem letzten Gang begleitet.
Der dunkle Sarg steht einsam zwischen der elektrischen Beleuchtung. Eine Kerze brennt neben ihm, eine weiße und zwei rote Nelken liegen zusammengebunden auf dem Sarg. Die Blüten werden der einzige Blumenschmuck des Begräbnisses bleiben, bei welchem an diesem Oktobermorgen Adele B. am Wiener Zentralfriedhof zu Grabe getragen wird.
97 Jahre alt ist sie geworden und im zweiten Bezirk gestorben. Sonst ist nur bekannt, dass es sich um ein „Begräbnis auf Anordnung der Sanitätsbehörde“ handelt, weniger amtlich meist Sozial- oder Armenbegräbnis genannt. „Ist nach Ablauf von fünf Tagen ab Ausstellung der Todesbescheinigung die Bestattung einer Leiche bzw. die Aufbewahrung in einer Urne von niemandem veranlasst worden, hat der Magistrat die Bestattung (Erd- oder Feuerbestattung) in einer Bestattungsanlage zu veranlassen“, heißt es im Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz.
Ähnliche, aber nicht gleiche Regelungen gibt es in den anderen Bundesländern. Die Übernahme von Kosten kann auch in den Mindestsicherungsgesetzen geregelt sein. Letztverantwortlich für die Durchführung ist stets die Gemeinde. Dabei sind Armenbegräbnisse kein reines Großstadtphänomen. In Dornbirn sind es rund 20 solcher Begräbnisse im Jahr, in Innsbruck zwischen 30 und 40, in Salzburg zwischen 50 und 70, in Linz um die 100 und in Wien rund 900. Jenes von Adele B. ist eines davon.
Ohne Familie und Freunde
Vor der Verabschiedungshalle warten die Männer von der Bestattung Wien auf Angehörige. Manchmal kommen Menschen zu den Sozialbegräbnissen, manchmal nicht. Zu Adele B.s Abschied kommt niemand. Ein Organist beginnt schließlich, auf der kleinen Orgel in der Aufbahrungshalle ein ruhiges, trauriges Stück zu spielen. Die Sargträger betreten den Raum, verbeugen sich vor dem Sarg, heben ihn an und tragen ihn zum Sargwagen vor der Tür. Für die letzte Fahrt wird – wie bei jedem anderen Begräbnis – ein schwarzes Bahrtuch mit grauer Verzierung über den Sarg gebreitet. Einer der Männer legt noch die zwei roten und die weiße Blume oben auf das Tuch. Dann geht es langsam in Richtung Grab.
In Wien und in der Stadt Salzburg waren im Jahr 2017 Sozialbegräbnisse Erdbestattungen, in Linz oder Innsbruck meist Feuerbestattungen. In Linz betont man aber, dass es aus konfessionellen Gründen Ausnahmen von der Feuerbestattung gibt. Dort wird für Sozialbegräbnisse sogar eine kleine Anzahl von Totenbildchen gedruckt.
Allgemein sind bei Sozialbegräbnissen entweder keine Verwandten mehr da oder sie können sich das Begräbnis nicht leisten.
Manchmal wollen Verwandte auch nicht dafür aufkommen. Klar ist, dass auf die Kosten geachtet werden muss, wenn die öffentliche Hand einspringt. Manchmal hat die Gemeinde zwar die Möglichkeit, sich die Auslagen über die Hinterlassenschaft zurückzuholen. Dazu muss darin aber auch ausreichend Geld vorhanden sein.
Von manchen zuständigen Ämtern hört man, dass die in Sozialbegräbnissen bestatteten Menschen oft schon vor dem Tod Unterstützung bezogen haben. Die Leitung durch einen Geistlichen ist auch bei Sozialbegräbnissen möglich, sofern der oder die Verstorbene einer Konfession angehört hat. Mancherorts ist es eine Frage, wer das organisiert.
Auch in Wien gibt es konfessionelle Armenbegräbnisse. Bei Adele B. ist das aber nicht der Fall. Hörbare Gebete begleiten sie nicht, sondern nur das leise Dahinrollen des Bestattungswagens. Da die Sozialbegräbnisse in Wien stets um zehn oder zwanzig Minuten nach acht Uhr morgens stattfinden, sind nur wenige Menschen auf dem Friedhof unterwegs. Die meisten scheinen beruflich hier zu sein – Friedhofsgärtner oder Totengräber. Letztere sind auf dem Gräberfeld an der Arbeit, auf welches der Wagen mit Adele B.s Sarg einbiegt: Zwischen den Grabsteinen und Kreuzen werden neue Gräber ausgehoben. Es ist kein Armengräberfeld, auf das Adele B. zu ihrer letzten Ruhe gebettet wird: Die Sozialgräber Wiens werden seit Jahren zwischen allen anderen Gräbern gelegt.
Am Grab
Das ist aber regional unterschiedlich: In Linz, Dornbirn oder Innsbruck wurden 2017 die Urnen aus den Sozialbestattungen meist in einer Art Gemeinschaftsgrabstätte bestattet. Am Innsbrucker Ostfriedhof gibt es zudem ein „Grab der Einsamen“, das aber nichts mit der finanziellen Lage der Verstorbenen zu tun hat. Überall geht es um die gleiche sensible Frage nach der letzten Würde für sozial schwache oder alleinstehende Menschen.
In seinem Buch „Herzliches Beileid“ stellt der auf Trauerkultur spezialisierte deutsche Kirchenhistoriker Reiner Sörries bei Friedhofsverwaltungen eine „wachsende Einsicht“ fest, Sozialgrabstellen würdig zu gestalten. Er verweist auch auf Initiativen wie die Göttinger Tobiasbruderschaft, die sich um Trauerfeiern für einsame und arme Menschen bemüht – Menschen wie vermutlich auch Adele B.
Ihr Sarg steht mittlerweile auf der Absenkvorrichtung über ihrem Grab. Mit einer Kurbel lässt ihn ein Mitarbeiter der Friedhöfe Wien langsam hinab. Neben dem Erdhügel lehnt ein helles Holzschild mit einer Plakette, die den Namen der Verstorbenen trägt. Später wird das Schild über dem Grab aufgestellt werden – bei Christen ist es ein Kreuz, das die Plakette trägt. Auf dem Sargdeckel, der in die Erdgrube sinkt, liegen wieder die weiße und die zwei roten Nelken als letzter Gruß.
Autor: Heinz Niederleitner
Der Text erschien erstmals in der KirchenZeitung der Diözese Linz. www.kirchenzeitung.at