Der Tod und das Lächeln
Der Tod gehört zum Leben. Trotzdem hat er nicht viel Platz in der Gesellschaft. Warum ist das Ihrer Erfahrung nach so?
Eva-Maria Gattringer: Allerheiligen und Allerseelen passen gut, um über den Tod nachzudenken. Das Thema wird durch die Jahreszeit in die Gesellschaft hineingetragen. Es ist die Zeit der Fülle, des Reflektierens, des Innehaltens, des Dankens und des Erntens. Wenn ich noch dazu in einer Lebenskrise oder mit einer Diagnose konfrontiert bin, wird das Leben sehr dicht. Man ist direkt am Schwerpunkt dessen, was das Leben ist. Fragen tauchen auf: Was hat mein Leben ausgemacht, was war wichtig, wie habe ich es gelebt? Da bin ich nahe an mir selber dran. Sich selbst einen Spiegel vorzuhalten, fällt aber in einer Gesellschaft, die auf Bewegung und Leistung hin orientiert ist, sehr schwer. Stehenbleiben und den Blick nach innen richten, das braucht man. Zu Allerheiligen und Allerseelen kommt die Religion oder eine Form der Spiritualität sehr stark zum Tragen. Wie kann ich mich im Alltag selber bremsen und so auch mich selbst achten, das ist ein Anspruch der Seelsorge. Während des Jahres wird der Tod nur durch einen plötzlichen Schicksalsschlag präsent oder durch Berichte über Unfälle. Da kommt der Impuls von außen. Zu Allerheiligen kommt der Impuls von innen. Ich setze mich mit der Endlichkeit des Lebens auseinander, auch weil ich in der Familie mit dem Tod konfrontiert bin oder mit einem Friedhofsbesuch.
Sie haben in einer früheren Tätigkeit mit Caritas Mobiles Hospiz schwer kranke Menschen besucht. Was bewegt die Menschen angesichts des Todes?
Eva-Maria Gattringer: Die Menschen schauen auf die Ernte ihres Lebens, darauf, was gut gelungen ist, oder ob sie jemandem noch etwas schuldig sind. Oft gehören manche Dinge angesprochen oder ausgesprochen. Da unterstützt das Mobile Hospiz. Viele spirituelle Fragen kommen auf den Tisch. Verortet sein in einem religiösen Ablauf ist für viele nicht mehr selbstverständlich. Wut, Zweifel, Trauer, Schock, sich bereit machen, sich versöhnen – die ganze Bandbreite an menschlichen Gefühlen kommt hier stark zum Ausdruck. Nach meiner Erfahrung kommt der Tod für die Betroffenen immer zu früh. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit macht immer Druck, egal in welchem Lebensalter und in welcher Lebensphase. Es macht einen selbst auch sehr betroffen. Diese Betroffenheit ist eng mit der Haltung verknüpft, mit welcher Funktion ich in die Begleitsituation hineingehe. Ich selbst bin auch tagtäglich meiner Endlichkeit ausgesetzt. An manchen Tagen spürt man das intensiver, an manchen weniger. Man hat kein Rezept, wie Begleitung gut funktionieren kann. Ich war am Krankenbett einfach da, als Mensch. Um biblisch zu sprechen, mit einem hörenden Herz und einer offenen Hand. Ich bin bereit für ein Gespräch, für ein Zuhören und für ein Miteinander-Schweigen, dafür, Gefühle zu teilen und einfach einmal zu weinen. Mich begleitet schon jahrelang der Begriff des Innerlich-bewegt-Werden. Wenn ich innerlich bewegt werde, bin ich automatisch auch da. Ich lasse mich ganz auf mein Gegenüber ein und schaue gleichzeitig auf meine eigenen Kräfte. Manche Begleitungen oder Erzählungen rühren auch an meiner Lebensgeschichte.
Wie passen die scheinbaren Gegenspieler Humor und Tod zusammen, wenn es ernst wird?
Eva-Maria Gattringer: Am Ende des Lebens ist das Leben so intensiv. Genau dann hat auch der Humor Platz. Wenn ich Humor lebe, wenn mir Späße wichtig sind, dann hilft er mir in all seinen Schattierungen und Nuancen bis hin zu Sarkasmus oder Zynismus auch in schwierigen Situationen. Wenn er in meinem Leben aber keine Rolle spielt, hat Humor für mich keine Entlastungsfunktion. Es ist belegt, dass Humor in der Burnout-Prophylaxe erfolgreich ist. Er wirkt blutdrucksenkend, entspannend und gegen das Engegefühl der Brust, verbessert die Schlaffähigkeit und fördert den Sauerstoffaustausch. Diese Funktion kann Humor auch in Krisensituationen haben. Ich muss nur schon einen Zugang in meinem Leben gefunden haben. Auch in der Begleitung muss Humor zu mir passen, sonst werde ich ihn kaum in eine Begleitsituation hineinbringen. Umgekehrt, wenn die Vertrauensbasis in der Begleitsituation passt, merke ich, wie ein Mensch denkt, fühlt, lacht, und darauf kann ich eingehen. Humor als Lebenseinstellung kann ein Stück weit „trainiert“ werden, indem ich Auge und Ohr offen halte für humorvolle Situationen oder mich von einem Kabarett inspirieren lasse. Es ist schon Humor, wenn ich einem kranken oder trauernden Menschen mit einem Lächeln begegne oder eine Situation mit einer Art „Schmäh“ entkrampfen kann, immer mit Fingerspitzengefühl. Humor in einer Trauersituation ist vielleicht ein Stück weit tabuisiert worden. Es geht nicht darum, sich über den Tod lustig zu machen, dafür ist das Thema zu brisant. Doch gerade bei Zehrungen geht es lustig zu, weil über die verstorbene Person in ihrer Gesamtheit gesprochen wird. Da gehört der Humor dazu. Er kann nicht nur in bestimmten Situationen entkrampfen, er hält sehr stark Kontakt zum Leben. Er kann Leichtigkeit schaffen und Sprachlosigkeit durchbrechen. Es braucht oft nicht einmal ein Wort. Mit einem Lächeln lässt sich eine Brücke schlagen. Immanuel Kant soll den Ausspruch geprägt haben: Es gibt drei Dinge gegen die Mühseligkeiten des Lebens: Das eine ist die Hoffnung, das andere der Schlaf und das Dritte der Humor.
Wie kann ein humorvolles Gespräch am Krankenbett gelingen?
Eva-Maria Gattringer: Wenn ich einem anderen aufrichtig mit einem Lächeln begegne, dann trifft das Sprichwort zu: Ein Lächeln ist die kürzeste Distanz zwischen zwei Menschen. Es schlägt eine Brücke zwischen zwei Menschen. Für mich ist am wichtigsten, dass ich, so wie ich bin, auf andere Menschen zugehe. Humor kann nur funktionieren, wenn eine Beziehungsebene oder ein Vertrauensverhältnis geschaffen ist. Dann spürt man auch, dass dem anderen heute vielleicht einmal nicht zum Lachen ist. Bei einem Begräbnis hat einmal jemand gefragt: ‚Fährt der Verstorbene jetzt mit einer Rakete in den Himmel?‘ – Dort, wo das Leben gelebt wird, wo es voll präsent ist, vor allem in Grenzsituationen, sind alle Gefühle in der ganzen Dichtheit präsent. Da muss auch der Humor sein.
Eva-Maria Gattringer ist heute Religionspädagogin am BRG Rohrbach und der TFS Haslach sowie Mitarbeiterin am Institut Fort- und Weiterbildung, Bereich Religionspädagogik, an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz. Sie hat eine Ausbildung zur „Humorberaterin“ absolviert.
Autorin: Christine Grüll
Der Text erschien erstmals 2016 in der KirchenZeitung der Diözese Linz. www.kirchenzeitung.at
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