Männerpolitik: mit Frauen im Dialog
Geschlechterpolitik war lange Zeit ausschließlich Frauensache und wurde von den Akteurinnen auch so definiert: als Gleichstellungsstrategie „von und für Frauen”, als Ausgleichspolitik, bei der Frauen gewinnen und Männer auf Vorrechte verzichten sollten. Selbst Männer, die mit den Zielen des Feminismus sympathisierten, hatten wenig Gelegenheit, eine produktive andere Sichtweise einzubringen.
Ein Platz für Männerpolitik
Männer waren bei der Institutionalisierung von Frauenpolitik seit den 1980er Jahren, als die ersten Frauenbeauftragten ihr Amt übernahmen, schlicht keine Adressaten von Gleichstellungspolitik. Männer galten nicht als hilfsbedürftig und damit auch nicht als förderungswürdig. Sie schienen in keiner Lebenslage Benachteiligungen zu erfahren oder gar „Opfer” zu sein.
In Österreich war 2001 die Aufregung groß: Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz richtete eine „Männerpolitische Grundsatzabteilung” ein. Vom Bündnis aus ÖVP und FPÖ durchgesetzt, stand das Projekt anfangs stark in der Kritik. Die damals oppositionelle SPÖ und Frauenverbände fürchteten die Umschichtung von Fördergeldern. Mit der Bildung der Großen Koalition übernahm ein Sozialdemokrat das Ressort und die umstrittene Abteilung. Die Aufregung über „Männerpolitik” hat sich gelegt – und auch anderswo wird die Idee entspannter diskutiert. In Deutschland entstand 2010 das Referat „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer“ integriert ins Familienministerium. Die institutionellen Voraussetzungen für einen geschlechterpolitischen Dialog sind so durchaus gegeben.
Täter-Opfer-Schema überwinden
Dringlich ist, das Täter-Opfer-Schema zu überwinden. Nicht alle Jungen, doch besonders Schüler aus bildungsfernen Schichten haben mehr Schwierigkeiten als Schülerinnen. Nur schleppend kommt für Männer eine spezifische und vom Staat unterstützte Gesundheitsberichterstattung in Gang – angesichts der über fünf Jahre geringeren Lebenserwartung des angeblich „starken Geschlechts” ist das überfällig. Dass Gewalt nicht nur von Männern ausgeht, sondern sich (im öffentlichen Raum) auch überwiegend gegen sie richtet, ist ein unterbelichtetes Thema. Bei so mancher Trennung werden Kinder zum Faustpfand in Beziehungskonflikten. Zwar lässt sich aus diesen Beispielen keine flächendeckende Diskriminierung des Mannes qua Geschlecht ableiten. Ein vorbehaltloser Blick auf die Nachteile männlicher Lebensentwürfe ist aber sinnvoll.
Männerleben ist nicht immer golden
Der Rollenwandel von Frauen bewegt sich nicht im luftleeren Raum. In der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen, aber auch im Alltag privater Beziehungen hängt er stets zusammen mit dem Rollenwandel von Männern. Zumindest Teilgruppen der Männer wollen sich verändern; sie sind „in Bewegung”, wie es die kirchlichen Männerstudien von Paul Zulehner und Rainer Volz formuliert haben. Deshalb sind scheinbar witzige, auf Männer gemünzte Tagungs-Phrasen wie „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre” (ein fast dreißig Jahre altes Zitat des Soziologen Ulrich Beck) oder „Scheu vor dem feuchten Textil” (wenn es um Beteiligung an der Hausarbeit geht) nicht mehr zeitgemäß. An der vielfältigen Realität heutiger „Männlichkeiten” gehen sie schlicht vorbei.
Männer bilden ebenso wenig wie Frauen eine homogene Gruppe. Wenn Geschlechterforscher von „hegemonialer Männlichkeit” sprechen, beschreiben sie die offensichtliche Dominanz an der Spitze von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Andererseits sind schlecht qualifizierte Männer überdurchschnittlich häufig arbeitslos, leiden Väter unter der Abwesenheit ihrer Kinder, birgt der traditionelle männliche Lebensstil ein hohes Gesundheitsrisiko. Die einstigen Helden der Industriearbeit ausgemustert; ein Erziehungssystem mit fehlenden männlichen Bezugspersonen; eine Krebsprävention, die als zweitrangig gilt, weil von ihr nicht die biologische Reproduktionsfähigkeit der Gesellschaft abhängt: Das sind keine Erbsenzählereien, sondern Facetten von nicht durchgängig vergoldeten Männlichkeiten – und damit bedeutsame Ergebnisse eines „gegenderten” Blicks auf sämtliche Politikfelder.
Männerpolitik hilft auch Frauen
Immerhin wird Männerpolitik inzwischen als eigenständiger Bereich betrachtet. Ein Ausdruck davon sind die von den zuständigen Ministerien veranstalteten internationalen Tagungen. Die erste fand 2012 in Berlin statt, in diesem Herbst folgt der zweite Kongress in Wien. In den deutschsprachigen Ländern ist der Dialog zwischen Männer- und Frauenpolitik vorangekommen. In der Europäischen Union überwiegt jedoch immer noch ein Denken, das Geschlechterpolitik weitgehend mit der Vertretung von Fraueninteressen gleichsetzt.
Förderprogramme für Jungen oder mehr Männerforschung an den Hochschulen müssen nicht zwangsläufig zu Lasten der Frauenpolitik gehen. Angesichts von Sparprogrammen grassiert zum Teil berechtigt die Angst, der zu verteilende Kuchen werde nicht größer. Eine produktive Zusammenarbeit in Geschlechterfragen setzt dennoch voraus, dass die Anliegen der Männerpolitik von aufgeschlossenen Frauen und ihren Organisationen unterstützt werden.
Thomas Gesterkamp. Der Autor ist Journalist in Köln.
Zuletzt erschien sein Buch „Jenseits von Feminismus und Antifeminismus”(Springer VS 2014).