Weihnachten als Erlebniskonsum mit religiöser Kulisse
Das gegenwärtige Weihnachtsverständnis in Österreich
Für die Untersuchung der derzeitigen Sichtweise stellte der Autor in Kooperation mit der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen insgesamt 1.000 Personen in Österreich folgende Frage: „Wenn Sie an die Weihnachtszeit denken, was verbinden Sie persönlich damit?". Die Ergebnisse vermitteln einen sehr differenzierten Einblick in das Weihnachtsverständnis der Österreicherinnen und Österreicher.
Die Ergebnisse im Detail
Der eigentliche Anlass des Festes, also die Geburt Christi, tritt in den Hintergrund und schafft es im österreichischen Durchschnitt mit 78 Prozent gerade noch unter die Top Ten. Wien (67 %) befindet sich weit unter dem Durchschnittswert, hingegen Vorarlberg (87 %), Burgenland (85 %), Salzburg und Oberösterreich (je 83 %) sowie die Steiermark (82 %) liegen weit überdurchschnittlich.
Die Christmette verliert ebenfalls an Bedeutung: Nur 57Prozent der Österreicherinnen und Österreicher verbinden mit Weihnachten auch den Kirchenbesuch, wobei dies für Frauen (59 %) häufiger zutrifft als für Männer (54 %).
Schenken und Spenden
Geschenke und gutes Essen sind wichtig, zählen jedoch nicht zu den Top-Merkmalen des Weihnachtsverständnisses der Österreicherinnen und Österreicher. Für die Jüngeren (15 – 34 Jährige) haben jedoch die Weihnachtsgeschenke einen überdurchschnittlich hohen Stellenwert (90%) – im Vergleich zum Durchschnittswert von 78%.
Interessant für die entwicklungspolitische Aktion Sei So Frei der katholischen Männerbewegung ist, dass für zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher Weihnachten auch mit der Einzahlung von Spenden verbunden ist. Dabei sind Frauen mit 68 % deutlich spendenfreudiger als Männer (62 %).
Weihnachtliche Schattenseiten
Obwohl die Zeit mit Familie am wichtigsten für die Befragen ist, gibt es in diesem Zusammenhang auch Schattenseiten. Insgesamt verbinden 14 Prozent der Befragten Weihnachten mit Einsamkeit. Dass sich dieser Anteil bei der Altersgruppe 80plus verdoppelt (28 %), sollte nachdenklich machen. Auch der Faktor ‚Familienstreit' ist ein Thema. Dieser landet zwar erfreulicherweise am letzten Platz. Dennoch rechnen immerhin 9 Prozent mit einem weihnachtlichen Familienkrach.
Gesamtkunstwerk Weihnachten
Für mehr als 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher ist Weihnachten ein emotionales Gesamtkunstwerk aus Familie und strahlenden Kinderaugen, Liebe und Harmonie, Gemütlichkeit und Entschleunigung sowie Ruhe und Besinnlichkeit. Wenn dann noch ein Christbaum, festlich geschmückte Geschäfte, und romantische Schneelandschaften dazukommen, stellt sich bei Herrn und Frau Österreicher die gewünschte weihnachtliche Wohlfühlstimmung ein. Das zukünftige Weihnachtsverständnis in Östereich ist eine Mischung aus Businnes und Besinnlichkeit
Religiöse Dimension schwindet
In Kooperation mit dem Salzburger Institut für Grundlagenforschung hat der Autor rund 1000 Österreicherinnen und Österreicher bei einer repräsentativen Befragung ersucht, zu der folgenden zukunftsbezogenen Frage Stellung zu nehmen: Bis 2033 nimmt in Österreich die religiöse Bedeutung des Weihnachtsfester weiter ab und die Bedeutung des Konsums weiter zu.
Die Befragungsergebnisse sprechen dafür, dass sich der Bedeutungsverlust der religiösen Dimension des Weihnachtsfests in den kommenden zwei Jahrzehnten fortsetzen wird. Gleichzeitig wird die Bedeutung des mit Weihnachten verbundenen Konsums zunehmen. Davon sind immerhin 69 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher überzeugt. Paradox daran ist, dass der Weihnachtskonsum sich immer öfter mit der Sehnsucht nach Entschleunigung und der Suche nach Sinn verbindet.
Weihnachten im Hamsterrad
Allzu oft gleicht der Kreislauf zwischen Haushaltsausgaben und -einnahmen einem Hamsterrad. Beim ersten Schritt setzt die Sehnsucht nach der genussvollen Teilhabe an den Segnungen der Konsumwelt das Rad in Bewegung. Beim zweiten Schritt bemerken wir, dass Konsum ohne Kaufkraft nicht funktioniert. Die nächsten Schritte sorgen dafür, dass das Rad nicht still steht: Denn Kaufkraft entsteht beim größten Teil der Menschen nur durch berufliche Arbeit. Der berufliche Alltag ist jedoch mit wachsendem Zeitdruck verbunden und auch das Ausgeben des hart erarbeiteten Geldes in der Konsumwelt erzeugt meist mehr Stress als Freude. In weiterer Folge wächst die Sehnsucht nach dem Ausstieg aus dem Hamsterrad und nach mehr Muße. Aber der Weg zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist steinig. Deshalb strampeln wir tagsüber meist fleißig weiter und träumen in der Nacht von der harmonischen Verbindung zwischen Business und Besinnlichkeit. Rund um Weihnachten scheint dieser Traum in Erfüllung zu gehen. Denn bei keinem anderen Fest lässt sich die Kommerzialisierung der Sinnsuche so perfekt inszenieren. Man denke nur an die konsumfördernde Romantik der Weihnachtsmärkte oder an den emotional aufgeladenen Kauf der Weihnachtsgeschenke. Der religiöse Anlass des Festes verkommt dabei immer mehr zur kauffördernden Kulisse für den weihnachtlichen Erlebniskonsum.
Univ.-Prof. Dr. Reinhold Popp.
Der Autor ist Zukunftsforscher und lehrt und forscht seit 2014 am Institut Futur der Exzellenzuniversität FU Berlin.
Von 1988 bis 2013 leitete er Forschungszentren in Salzburg und Wien.
Kontakt: www.reinhold-popp.at