Gesundheit: "Alles Herbert, oder was?"
Es beginnt etwa bei der kürzeren Lebenserwartung, setzt sich über bestimmte Suchtbereiche (Alkohol, Suchtmittel etc.) fort und ist auch bei der psychischen Gesundheit ein wichtiger Faktor, wenn man etwa an das Gewalthandeln von Männern oder die ca. drei Mal höhere Suizidrate von Männern denkt. Dazu kommt noch der Umstand, dass es bei jenen gesundheitlichen Problemen, die Männer nicht so häufig, aber eben auch betreffen, zu einer stärkeren Unsichtbarkeit kommt (zB. bei Essstörungen, Männer als Opfer verschiedener Gewaltformen etc.). Schließlich zeigt sich auch ein enger Zusammenhang von Frauen- und Männergesundheit bei Partnerschaften, Familien und Beziehungen.
Gerade wenn sozialen Benachteiligung vorhanden sind, etwa bei Bildungsferne, Niedriglohnbranchen, Arbeitslosigkeit, beengte Wohnverhältnissen etc., sind Männer besonders häufig krank. Es gibt also viele gute Gründe, sich der Männergesundheit über die Prostatavorsorge hinaus anzunehmen. Ein Versuch dies zu leisten wird seit mittlerweile 12 Jahren vom MEN Männergesundheitszentrum betrieben.
Welche Erfahrungen und Prinzipien haben sich insbesondere im Erreichen männlicher Zielgruppen bewährt? Dazu werden im Folgenden exemplarisch drei ausgewählte Arbeitsweisen und praktische Erfahrungen benannt:
Vom Bekannten zum Unbekannten
Um männliche Zielgruppen anzusprechen erweist es sich als günstig mit bekannten Themen, Überschriften oder Inhalten einzusteigen, um danach die Möglichkeit zu haben ‚Neuland' zu entdecken. Oder um es in einen Sinnspruch zu fassen: „Wie bekommt man Männer dazu einen Baum zu umarmen? Man bittet ihn den Baum auszureißen."
Ein Beispiel dafür waren Kurse, die das MEN für männliche Zielgruppen 50+ organisiert hat, die sich dem Thema Herz-Kreislauf Gesundheit gewidmet haben. Titel dieses Programmes war „Stark und Fit!" und es wurde eine Kombination aus Vortrag mit anschließendem Bewegungsangebot angeboten. Dies erreichte die Männer, denn es wurden Stärken und Ressourcen betont, statt etwa Männer als Gesundheitsmuffel hinzustellen. – Es wurde mit unserem kostengünstigen, körperlich aktivierenden Angebot das Interesse vieler Männer geweckt.
In den Vorträgen und Kursen waren die Inhalte dann breit gestreut, und es wurde sehr offen über den Druck der Männerrolle, männliches Statusdenken und Risikoverhalten, Umgang mit psychischen Belastungen und Stress etc. geredet und dazu gearbeitet. Die Männer waren davon sehr angetan und auch die Partnerinnen gaben sehr gute Rückmeldungen (diese konnten auch kostenlos an den Bewegungsangeboten teilnehmen).
Es darf vermutet werden, dass ein umgekehrtes Vorgehen ‚Vom Unbekannten zum Bekannten' hier wohl wesentlich schwieriger gewesen wäre. Ein Programm mit dem Titel ‚Männlichkeitsentwürfe reflektieren und verändern, dem Herz zuliebe!' hätte den Inhalt zwar besser wiedergegeben, aber wäre wohl auf kaum Anklang in der Zielgruppe gestoßen.
Aufsuchendes Arbeiten/Arbeit im Setting
Eine sehr gute Möglichkeit Männer zu erreichen, ist diese in Settings aufzusuchen wo diese bereits sind. Dies können der Arbeitsplatz, oder Vereine, Parks, öffentlicher Raum oder sonstige Interessensgemeinschaften sein. Insbesondere bei sozial benachteiligten Zielgruppen empfiehlt es sich, nicht zu warten, bis diese aktiv ein Angebot suchen, da dies oft aus vielerlei Gründen nicht möglich ist. Von Zeit- und Geldnot bis hin zu negativen Erfahrungen mit dem Bildungsbereich reicht hier die Palette.
Anders sieht es jedoch aus, wenn es die Hürde des Hingehens nicht mehr braucht und Angebote ‚vor Ort' gebracht werden. Seit einigen Jahren betreibt das MEN hier unter dem Titel „Gesund Arbeiten mit Männern" betriebliche Gesundheitsförderung mit männlichen Zielgruppen aus dem Niedriglohnbereich. Dazu wurde auch ein Fachreader verfasst, der zum kostenlosen Download zur Verfügung steht. Weiters werden aufsuchende Angebote sehr erfolgreich in Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe gebracht und damit in der Praxis eher „gesundheitsferne" Zielgruppen erreicht.
Zusammenarbeit mit Frauengesundheit
Der dritte wichtige Erfolgsfaktor ist die enge Zusammenarbeit mit Frauengesundheit. Das MEN bildet ja gemeinsam mit den Frauengesundheitszentren FEM und FEM Süd das Institut für Frauen- und Männergesundheit. Dabei geht es aber nicht darum, das Thema Gesundheit an Frauen zu delegieren, damit diese ihre Männer ‚zuweisen' etc. - Im Gegenteil!
Es ist eher die Stärkung der Gesundheit der Frauen, die als erstes in den Fokus zu nehmen ist, und in welcher Form hier auch Männerarbeit relevant und von Interesse sein könnte, um ein gesundheitsförderndes Umfeld zu schaffen. Damit entsteht sehr häufig ein ‚Sog-Effekt', bei dem auch männliche Zielgruppen etwas ‚für sich bekommen' wollen. Am idealsten ist es klarerweise, wenn man von vornherein sowohl männliche wie weibliche Zielgruppen mitdenkt, um hier gemeinsame Angebote und wo sinnvoll geschlechtshomogene Settings anzubieten.
Aber auch für die Gestaltung von Informationsmaterialien, oder Veranstaltungen kann sich ein solcher Zugang bewähren, wie etwa die Erfahrungen des MEN mit dem Mädchen- und Burschengesundheitstagen zeigen, die sehr erfolgreich gemeinsam mit FEM Süd durchgeführt werden. Um hier keine unbeabsichtigten Benachteiligungen zu reproduzieren, empfiehlt sich natürlich eine gemeinsame Abstimmung und Planung von Inhalten und Aktivitäten. Wo das nicht erfolgt, droht die Gefahr, alte Stereotype zu verfestigen.
Autor:
Mag. Romeo Bissuti. Der Autor ist klinischer und Gesundheitspsychologe, Leiter des MEN Männergesundheitszentrums, Obmann White Ribbon Österreich, und freier Fortbildner zu Männer-/Genderhemen.
Das MEN – Männergesundheitszentrum befindet sich im Kaiser-Franz-Josef Spital in Wien und ist im deutschsprachigen Raum die erste Einrichtung, die sich rein auf Männergesundheit spezialisiert.
Kontakt:
01 / 60 191 - 5454 (Mo, Mi und Do 9 – 13)