Gehorsam geht nie ohne Gewissen
Was bedeutet für Sie der Begriff „Gehorsam"?
Oberin Michaela: Für mich ist Gehorsam ein grundsätzlich christlicher Wert, der alle Menschen betrifft. Mich begleitet er ständig im Alltag. Ich sehe es z.B. auch als Gehorsam Gott gegenüber, dass ich meinen Leib, mich als Frau, einfach so annehme, wie ich bin. Wenn mir das gelingt, dass ich mein Wesen so annehme, wie ich bin, lebe ich eine wesentliche Haltung von Gehorsam. Das wirkt sich dann auch in meinem Alltag und in meinen Entscheidungen aus.
Sr. Michaela, Sie strahlen jetzt, während Sie das sagen!
Abt Reinhold: Bei uns Zisterziensern spielt die Regel des Heiligten Benedikt eine große Rolle. Diese Regel beginnt mit den Worten: „Höre mein Sohn". Das heißt auch: „Leih mir das Ohr meines Herrn." Ganz konkret heißt es für mich hinzuhören, auch auf die Mitarbeiter. Wenn ich gelernt habe, vorurteilsfrei auch auf die Bedürfnisse des Anderen zu hören, kann ich auch in kritischen Situationen relativ gut reagieren.
Als Oberin und Oberer sind Sie auch in der Funktion einer Person, die Gehorsam einfordert oder vorlebt.
Oberin Michaela: Ich versuche einfach, dass ich als Oberin eine Hörende bin, in das Leben des Menschen, des Anderen hineinspüre: Was ist seine oder ihre Wirklichkeit? Was ist ihm mitgegeben worden ins Leben? Das nennt man „Lebensgehorsam". Das ist der Grund, aus dem ich auf die Mitschwestern höre. So fordere ich sie heraus, selbst Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung ist von jeder gefordert, natürlich von mir als Oberin etwas mehr. Meine Mitschwestern tragen grundsätzlich viel dazu bei.
Abt Reinhold: Als Oberer kann ich niemanden zu etwas zwingen. Was ich tun kann, ist einzuladen in die Verantwortung, hinzuhören auch auf unsere gemeinsamen Aufgaben. Ich werbe dafür.
In einem Orden leben Sie in einer demokratischen Gemeinschaft, von der sie gewählt worden sind. Das ist in der Kirche oft nicht so. Ändert das etwas in Ihrer Position?
Abt Reinhold: Ich glaube schon, dass dadurch eine breitere Basis auch der Legitimation da ist. Ich kann zu den Mitbrüdern sagen: „Das habt ihr euch selbst gemacht, indem ihr mich gewählt habt." Ich stehe – so wie ich bin – mit meinen Stärken und Schwächen zur Verfügung.
Oberin Michaela: Das Konzil hat von einer „brüderlichen Gemeinschaft" gesprochen und ich möchte es heute als „geschwisterliche Gemeinschaft" übersetzen. Tatsache ist, dass die Rückmeldungen, die ich von Mitschwestern bekomme, eine Beziehung ausdrücken. Wenn ich ehrlich bin, muss ich dem gerecht werden und den Mitschwestern gegenüber auch meine Unsicherheit oder meine Armseligkeit – dass ich ja auch nicht 100-prozentig weiß, was der Wille Gottes ist – zugeben. Ich selbst bin auch eine Suchende.
Abt Reinhold: In der Regel des Heiligen Benedikt ist sehr wichtig das Hinhören des Herzens. Als zweites kommt dazu, dass der Abt immer die Brüder um Rat fragen soll. In der Regel steht, er soll die jüngsten fragen, denn denen wird oft eingegeben, was das Beste ist. Im vorletzten Kapitel heißt es: Die Mitbrüder sollen einander im gegenseitigen Gehorsam übertreffen. Das könnte man auch in der Kirche und in der Gesellschaft einbringen. Das ist kein Kadavergehorsam von oben nach unten, sondern das ist etwas Wechselseitiges.
Sie haben jetzt Elemente erwähnt, die in der landläufigen Diskussion um „Gehorsam" nicht angesprochen werden: Beziehung, Zutrauen, einander vertrauen, miteinander den Weg gehen, den man erkannt hat. Landläufig hat man einen militärischen Gehorsamsbegriff im Hinterkopf: Einer schafft an, der andere fragt nicht und denkt nicht, sondern tut's. Ich habe für unser Gespräch die Allgemeine Dienstvorschrift des Bundesheers mitgebracht.
Abt Reinhold: Mich überrascht, was ich da lese. In den Vorschriften des Bundesheers kommt die „gewissenhafte" Erfüllung des Befehls vor. Gehorsam geht nie ohne Gewissen. Weiter steht da: Befehle sind nicht buchstäblich auszuführen, die Absicht ist zu hinterfragen. Ich finde das revolutionär! Aber Klöster sind keine Kasernen, Frau Oberin und ich sind keine Generäle und Generälinnen. Wir haben nicht den Drang zu uniformieren, sondern es ist wirklich etwas Partnerschaftliches im gemeinsamen Ringen.
Oberin Michaela: Auch ich bin überrascht, was da eigentlich drinnen steht: Die Menschenwürde ist angesprochen, die Leistungsbereitschaft, das Verantwortungsgefühl. Aber es wird ständig von Untergebenen und Vorgesetzten gesprochen. Gemeinschaft braucht eine Struktur und braucht auch eine Leitung. Leitungsverantwortliche haben mehr Verantwortung, aber sie werden nicht von vornherein als Vorgesetzte betrachtet. Die Wortwahl macht etwas mit uns. In unserer Lebensregel heißt es: „Im Hinblick auf die Gemeinschaft eint der Gehorsam alle Mitglieder in der Vielfalt der Gaben und der Achtung der individuellen Persönlichkeit in derselben Berufung und Sendung."
Abt Reinhold: Kritik wäre dann auch ein Dienst an der Autorität. Bischof Maximilian hat zu mir gesagt: Wir aus unseren Gemeinschaften kennen diese Kritik, sodass wir immer herausgefordert sind. Das ist auch etwas, was wir Orden in die Kirche einbringen können.
War Jesus gehorsam?
Oberin Michaela: Für mich ist biblischer Gehorsam grundsätzlich dialogischer Gehorsam. Mose darf bei Gott im Dornbusch klar seine Bedenken sagen. Im Neuen Testament hat Jesus ganz massiv reagiert gegen die Autorität, wo einfach etwas völlig verdreht wird. Jesus hat z.B. gesagt: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Er hat die Steuer bezahlt, hat aber bei der Tempelreinigung alle vertrieben, weil sie etwas verdrehen. Ich glaube, dass Jesus' tiefstes Anliegen war, mit den Menschen lebensfördernd umzugehen, sie einfach wachsen zu lassen – Leben zu stiften.
Das ist nach jüdischem Verständnis auch der Sinn des Gehorsams gegenüber der Tora und Jesus lebte ganz als Jude. Wir begegnen bei ihm einer weltlichen und einer göttlichen Autorität. Wie kann man das auseinander halten?
Abt Reinhold: Autorität braucht kritische Hinterfragung, auch in unserer Kirche. Wenn ich mich recht erinnere, kommt das Wort „Autorität" von „augere" – vermehren: Sinn der Autorität ist es, Leben zu vermehren, Freiheit zu vermehren, die Botschaft zu vermehren. Unter diesem Anspruch stehen wir. Natürlich gibt es Reibungs- bzw. Konfliktpunkte, das gehört für mich ganz wesentlich dazu. Wir sollten den ungehorsamen Jesus nicht ideologisch vereinnahmen, aber diese Freiheit Jesu gegenüber den Institutionen ist schon faszinierend. Diese Freiheit der religiösen Autorität von damals gegenüber – davon könnten wir auch noch etwas lernen. Im Gegenzug kennt Jesus diesen ganz tiefen Gehorsam seinem Vater gegenüber. Der Tod am Kreuz ist der größte Ausdruck dieses abgrundtiefen Vertrauens.
Interview: Markus Himmelbauer
Michaela Pfeiffer (57), seit 1994 Generaloberin der Marienschwestern vom Karmel (Linz), Diplomkrankenschwester.
Reinhold Dessl (51), seit 2013 Abt des Zisterzienserstifts Wilhering bei Linz und Pfarrer von Gramastetten und Eidenberg.