Was braucht es, die Welt zu retten?
Um es gleich vorweg zu sagen und jede Illusion zu nehmen: Wir können die Welt nicht retten, das kann nur Gott. Aber wir können die Welt bewahren. Die Welt, ihr Beginn und ihr Ende, liegt in den Händen des Schöpfers der Welt. Wir meinen langsam, alles zu können. Alles sei machbar. Stattdessen haben wir viele natürliche Kreisläufe durcheinander gebracht, und jetzt bemühen wir uns, sie wieder mühsam zu flicken. Sich der Natur als gottgegebener Norm zu beugen, fällt uns modernen, selbstbewussten Menschen schwer. Wir fühlen uns ja, als hätten wir uns von der Natur emanzipiert. Dabei dienen diese Normen ebenso wie die Zehn Gebote dem Erhalt des menschlichen Lebens und der Gesellschaft.
Das Paradies hüten
Gott hat diese Welt als Paradies geschaffen und dem Menschen zu seinem Lebensunterhalt und zu seiner Freude übergeben. Er hat den Menschen zu seinem Mitschöpfer erkoren und ihm die Welt in Eigenverantwortung überlassen. Der Mensch solle den Acker und die Felder bebauen, er schuf die Tiere zu seinem Dienst. „Gott setzte den Menschen in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte" (Gen 2,15). Gott schuf „den Menschen als sein Abbild." (Gen 1,27). Die Menschen sollen sich vermehren, die ganze Erde bevölkern, sie sich unterwerfen und über alle Tiere herrschen (Gen 1, 28). Gott übergab dem Menschen alle Pflanzen und Tiere der Erde, damit sie ihm zur Nahrung dienen (Gen 1,29) Das heißt keineswegs, der Mensch solle die Erde ausbeuten und vernichten, sondern der Mensch und seine ganze Umwelt sind äußerst kostbar.
Irrwege der Zerstörung beenden
Menschliche Gier aber hat die Natur gedankenlos ausgebeutet, ihre Ressourcen grenzenlos verbraucht, Meere halbleer gefangen, Tropenwälder abgeholzt, viele Gegenden sind zu einem Schuttplatz geworden, atomare Abfälle mit unendlich langen Zerfallszeiten hindern immer noch nicht daran, dass manche Länder weiterhin ihre Reaktoren bauen. Wie viele Gegenden sind nicht durch Kriege zerstört worden. Unendlich viele Napalmbomben sind über Vietnam abgeworfen worden. Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg tauchen immer wieder einmal auf, und die ganze Umgegend muss bei der Entschärfung ausquartiert werden. Es ist ein Widersinn, Minen zu legen und sie hinterher wieder mühsam durch Fachleute zu suchen und zu entschärften. Wann lernen wir endlich, dass heute jeder Krieg eine Niederlage darstellt. Stattdessen werden Waffen in Hülle und Fülle produziert und gerade auch an Entwicklungsländer verkauft.
Das rechte Maß finden
Wenn wir nicht die Menschen und unsere Lebensgrundlagen zerstören wollen, brauchen wir eine umfassende Neubesinnung auf unser Handeln. Die Energiewende ist ein solcher Versuch. So sehr allerdings vorher die Maßlosigkeit herrschte, so muss auch hier das rechte Maß eingehalten werden. Wir neigen leicht in allem, was wir planen, zu Ideologien. Das sei dann der einzige Weg. Innehalten und stets kritisch alles hinterfragen, aber dann auch mutig zupacken und notfalls korrigieren, sollten wir über das Ziel hinausgeschossen sein. Jeder Fundamentalismus schadet dem Menschen. Dass viele Wege nach Rom führen, nahmen die alten Römer nicht nur wörtlich, sondern auch im übertragenen Sinn.
Bleibende Werte entdecken
Eine besondere Gefahr stellt die Monetarisierung all unseres Handelns dar. Immer wird alles danach bemessen, welchen materiellen Nutzen etwas bringt. Freizeit wird verzweckt, nur wenige gönnen sich die Muße, die von andern als vergeudete Zeit angesehen wird. Dabei steigen in der Muße neue Ideen auf, ob beim Lesen, beim Musizieren oder Spazierengehen.
Der Mensch ist mehr als seine Arbeit. Der Mensch kennt auch die Schönheit der Natur und erfreut sich an der Kunst. Selbst die Kunst zählt anscheinend nur mehr nach dem Geldwert, nach den vielen Millionen, die sie bei Versteigerung durch die internationalen Auktionshäuser erbringt. Kostbare Gemälde liegen in Banksafes, statt dass sich die Bevölkerung daran erfreuen kann.
Beziehungen in Liebe leben
Ich meine, wir müssten den Menschen wieder öffnen für sein wahres Mensch-Sein, damit er seinen Wert, seine Würde und seine Mitmenschen als Schwestern und Brüder erkennt, die sein Leben ganz anders bereichern als ein hohes Bankkonto. Die Liebe ist unbezahlbar und sie zählt auch dann, wenn wir in äußerst arme Situationen geraten sind. Sie zählt bei der Zuneigung zu den Kindern, beim ersten verliebt Sein, sie zählt am Krankenbett und bei der Pflege alter und sterbender Menschen. Sie zählt vor allem dann, wenn jemand zu uns sagt: Komm, lass es wieder gut sein. Es ist vorbei, es ist vergeben.
Die Liebe hat uns Gott aber bei der Schöpfung nicht nur Menschen gegenüber eingepflanzt, sondern auch den Tieren und Pflanzen gegenüber. Gott hat die Tiere dem Menschen zugeführt, damit er jedem einen Namen gebe. Damit entsteht eine ganz innige Beziehung, so wie wir ja auch unseren Neugeborenen einen Namen geben. Wir kennen das von unseren Bauern, die jede Kuh beim Namen rufen, und dasselbe von unseren Haustieren. Wir Menschen sind unter Menschen und in unserer Natur zuhause. Es ist eine Freude, geboren zu sein und die Schönheit und Liebe wahrzunehmen. Dann werden die materiellen Ziele zweitrangig.
In Bescheidenheit reich werden
Wenn wir auf diese Weise echtes Mensch-Sein entfalten wollen, dann müssen wir auch Zweitrangiges zweitrangig sein lassen, auf Abstand gehen zu unseren unkontrollierten Gefühlen und Trieben, von der Gier nach Macht und Besitz. Wir brauchen Bescheidenheit, um wieder frei zu werden, unsere Augen und Ohren zu öffnen für unsere Umgebung, für uns selbst. Nur so werden wir die rechte Wertordnung finden. Das rechte Maß in allem zu bewahren, ist gemäß dem heiligen Benedikt die Mutter aller Tugenden.
Es ist der Königsweg in die Freiheit, und wir befreien nicht nur uns, sondern damit auch die Umwelt, Tier und Mensch. Es ist eine Art partnerschaftliches Verhältnis zu allem und allen, die uns umgeben. In der Selbstbescheidung werden wir frei und lassen den andern ihre Freiheit, lassen die Natur wachsen und achten sie. Es ist auch der Weg zur Freude am Leben. Wir brauchen weniger und können das Wenige wirklich genießen.
Nicht zuletzt legen wir damit die Natur in die Hand des Schöpfers, sind bereit, mit ihm am Leben und Gedeihen der Natur mitzuwirken. Als Abbild Gottes sind wir geschaffen, in dieser Einheit mit Gott gelangt diese Anlage zu ihrer Erfüllung, und Gott selbst wird mit uns diese Welt weiterführen in eine gute Zukunft.
Abtprimas Notker Wolf
Der Autor ist als Abtprimas des Benediktinerordens mit Sitz in Rom der höchste Repräsentant von mehr als 800 Klöstern und Abteien weltweit.