Wie viel Vater braucht ein Kind?
Gibt es einen Wandel in der Vaterrolle?
Harald Werneck: Es gibt kaum einen Aspekt der Vaterrolle, der heute nicht umgesetzt werden kann: von der klassischen traditionellen Vaterrolle des Familienoberhauptes, der die Familie erhält, sich aber in die Erziehung nicht einmischt, bis zur Rollenumkehr des freiwillig und bewusst alleinerziehenden Vaters. Generell geht der Trend in Richtung mehr unmittelbares Engagement der Väter für ihre Kinder.
Wie engagieren sich Väter in der Familie und was gewinnen sie für sich selbst daraus?
Harald Werneck: Wie viel ein Vater in seine Familie, speziell für seine Kinder investiert, hängt von mehreren Faktoren ab, wobei die Qualität der Partnerschaft zur Mutter seiner Kinder eine zentrale Rolle spielt. Viele Väter, die eine enge Beziehung zu ihren Kindern aufbauen konnten, erleben dies als essenzielle Bereicherung, verbunden oft auch mit einer neuen Dimension an Emotionalität und Lebensqualität. In der Karenz erleben sie die intensive Beziehung zu ihrem Kind in aller Regel als überwältigende und bereichernde Erfahrung.
Wie viel Vater braucht ein Kind?
Harald Werneck: Wie viel Vater ein Kind braucht, lässt sich seriöserweise nicht allgemein beantworten – womöglich mit einer Anzahl von Stunden pro Woche. Das hängt auch davon ab, wie sehr der Vater bereit und in der Lage ist, für sein Kind zu investieren oder wie sehr andere Bezugspersonen involviert sind. In der Fachliteratur werden die verschiedenen Rollen z.B. des Erziehers, des Ernährers, des Beschützers, des Freizeitpartners, des Identifikationsobjektes unterschieden. In der kindlichen Entwicklung gibt es Phasen, in welchen das väterliche Element im Vordergrund steht und von den Kindern auch aktiv und intensiv nachgefragt wird; aber etwa auch Zeiten der bewussten Abgrenzung, in denen zu viel Einmischung eher kontraproduktiv wäre.
Gibt es etwas Einzigartiges in der väterlichen Zuwendung?
Harald Werneck: Wichtig sind Ehrlichkeit und Authentizität. Verschiedene Studien belegen, dass Väter oft andere, typischerweise körperbetontere, weniger sprachzentrierte Spiele bevorzugen oder Spiele in einer Weise durchführen, die für das Kind weniger vorhersehbar ist. Aber in letzter Konsequenz ist natürlich jeder Elternteil, ob Mutter oder Vater, in der Art seiner Zuwendung einzigartig.
Was ist im Erziehungs- und Bildungsbereich besonders wichtig?
Harald Werneck: Aufgrund verschiedener Entwicklungen, ergibt sich zunehmend, dass Kinder speziell im Vorschul- und Volksschulalter überwiegend mit ihren Müttern und anderen weiblichen Erziehungspersonen in Kontakt sind. Hier wäre es für Kinder wichtig, ergänzend dazu auch ausreichend Kontakt zu liebevollen und kompetenten männlichen Bezugspersonen in ihrer Andersartigkeit erleben zu können – nicht nur für Buben, sondern auch für Mädchen.
Können andere männliche Bezugspersonen den Vater ersetzen?
Harald Werneck: Männliche Ersatzfiguren wie Stiefväter, Großväter, Onkel, ältere Brüder usw. wirken den möglichen Auswirkungen einer Vaterabwesenheit entgegen. „Soziale Vaterfiguren“ können das Fehlen leiblicher Väter in der Erziehung weitgehend kompensieren und in manchen Fällen Wesentliches zu einer günstigen Entwicklung des Kindes beitragen.
Die Pubertät ist eine spannungsgeladene Zeit für Väter und ihre Töchter und Söhne.
Harald Werneck: Für Väter ist es dann wichtig, das oft provokante Hinterfragen der eigenen Person nicht als persönlichen Angriff, sondern als wichtigen Schritt des Kindes in ein selbstbestimmtes Leben zu begreifen. Bei allen Bemühungen, als kompetentes Modell zu fungieren, darf nicht das Recht übersehen werden, auch als Vater Fehler zu machen. Gerade auch der Umgang des Vaters mit eigenen Schwächen und Fehlern kann für die Pubertierenden einen wichtigen Lernprozess darstellen.
Wie beeinflusst die Rolle des Vaters die sexuelle Entwicklung des Kindes?
Harald Werneck: Für Söhne fungiert der Vater typischerweise einerseits als „Reibebaum“, von dem man sich in gewisser Weise bewusst abgrenzt, um seine eigene – letztlich auch sexuelle – Identität entwickeln zu können. Andererseits ist er das Modell auch für die sexuelle Entwicklung. Töchtern verhilft ihr Vater idealerweise zu einer realistischen und Lust-machenden Vorstellung potenzieller männlicher Partner – jenseits idealisierter, völlig überzogener Erwartungshaltungen einerseits und eines einseitig ablehnenden und entwertenden Bildes von Männern andererseits.
Wo erhalten Väter Unterstützung in ihrer Rolle?
Harald Werneck: Auf Mikroebene ist die Unterstützung durch die Partnerin oft entscheidend für die Ausgestaltung der väterlichen Rolle. Aber auch der erweiterte Familien- und Bekanntenkreis kann hier wichtige – moralische, aber auch handfeste – Unterstützung anbieten. Ebenfalls zentrale Unterstützung für ihr väterliches Engagement – oder eben nicht – erfahren Männer durch ihren Arbeitgeber und nicht zuletzt durch gesetzliche Rahmenbedingungen. Institutionelle Beratungsstellen spielen in Österreich eine eher untergeordnete Rolle.
Was erwarten Sie sich von der Politik zur Stärkung von Vätern?
Harald Werneck: Dass es Vätern bzw. Eltern, die das wollen, ermöglicht wird, die ersten Wochen nach der Geburt des Kindes, den Start der Familie, gemeinsam zu erleben. Das wäre sowohl für die Mutter eine Entlastung als auch für den Vater selbst ein völlig anderer Start in seine Rolle, der die Weichen der Vater-Kind-Beziehung in eine andere Richtung stellt. Und nicht zuletzt hat das Kind von Beginn an zwei hoffentlich kompetente und liebevolle Bezugs- und Bindungspersonen zur Verfügung. Davon kann es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mittel- und langfristig profitieren – auch im Fall einer elterlichen Trennung.
Interview: Peter Pimann
Harald Werneck (47).
Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe an der Universität Wien