Mit Gott unterwegs
Oftmals erleben Männer ein Spannungsfeld zwischen Beruf, Familie und Kind, das ihnen nicht leicht macht, ihr Vater Sein zu leben. Wo finden Väter Orientierung in einer Zeit der gesellschaftlichen Veränderungen zwischen den Traditionen der Vergangenheit, der Wirklichkeit und den Idealen der Moderne? Ist der Glaube dabei eine Hilfe?
Freiheit ermöglichen
„Väter sind aus biblischer Sicht zur verantwortungsvollen Erziehungsarbeit gerufen“, erklärt der evangelische Pfarrer Volker A. Lehnert: „Moderne Selbstentbindung von diesem Auftrag unter Verweis auf die Erfordernisse der Berufsarbeit lässt sich von der Bibel her ebenso wenig legitimieren wie vormodernes, autoritäres Patriarchenregiment unter Verweis auf angeblich schöpfungsgemäße Rollenzuschreibungen.“ Der Vaterbegriff scheine in der Hebräischen Bibel vielmehr als ein Identität stiftendes Symbol für das Woher und Wohin menschlicher Existenz auf, betont Lehnert. Von Bedeutung sei die Persönlichkeit des Kindes: „Erziehe den Knaben seinem Wege gemäß; er wird nicht davon weichen, auch wenn er alt wird.“ (Sprichwörter 22,6)
Väter klonen ihre Kinder nicht, sondern unterstützen sie dabei, ihre eigene Identität zu finden, weiß Lehnert. Dies bedeute, Eigenverantwortung und Freiheit zu ermöglichen: „Väter sollen ihre Kinder ‚ohne Ansehen der Person’ als Person betrachten. Väter halten ihr Kind auf Dauer im Blick, nicht an der Hand. Sie lassen ihre Kinder los, aber sie verlassen sie nicht.“
Im alten Israel führte der väterliche Erziehungsauftrag gerade nicht in die „Knechtschaft“ der Tora, sondern umgekehrt in die „Freiheit“ der Tora, einer Bewegung, die später als „Auszug aus der Unmündigkeit“ (Kant) aktualisiert werden wird. „Dass die Bibel zugleich vom möglichen Misslingen der Erziehungsarbeit erzählt (1 Samuel 2,12ff; 8,1ff), belegt ihren Realitätssinn“, erklärt Lehnert. „Der Erziehungsauftrag von Vätern besteht demnach nicht darin, sich selbst zu kopieren, sondern Kindern Wege zur Entfaltung und Entwicklung eigener Identität zu ebnen. Dabei führt die Rückbindung an eine übergeordnete Instanz – Gott – paradoxerweise zur Freiheit von allen relativen Instanzen, den Ideologien.“
Forderung nach Barmherzigkeit
Im Islam habe sich im Laufe der Zeit das Rollenbild des Vaters in seinen grundlegenden Zügen nicht geändert, jedoch seien die Herausforderungen für beide Elternteile größer geworden, erklärt Salim Mujkanovic vom Islamischen Zentrum Wien: „Das geeignete Umfeld für die Entfaltung der natürlichen gottgegebenen Veranlagung der Kinder ist in der islamischen Erziehung unabdingbar.“ Beide Elternteile haben durch Weisheit, Anstrengung und Wissen – auf den Grundprinzipien des Glaubens und durch das Anwenden alltagsgerechter Erziehungsmethoden – einander ergänzend für das Wohl und die Erziehung ihrer Kinder zu sorgen. Die Kindererziehung baue auf der Barmherzigkeit zwischen den Familienmitgliedern, betont Mujkanovic.
„Vorbild sind der Prophet Muhammed und seine Familie, der uns grundlegende Richtlinien in der Erziehung durch die Offenbarung Gottes, den Qur’an, und seiner Praxis hinterlassen hat“, erklärt Mujkanovic: „Der Prophet Muhammed, Friede und Segen auf ihm, der als das beste Vorbild für die Muslime in allen ihren Lebensbereichen gilt, machte keinen Unterschied. Er behandelte alle Kinder gleich, seien es seine eigenen oder die Kinder anderer.“ Mujkanovic verweist dabei auf ein Zitat des Imams Abu Dawud: „Wer nicht zu unseren Kindern barmherzig ist und unsere Alten nicht ehrt, gehört nicht zu uns.“
Die religiöse Anforderung des Vaters sei es, der Mutter beizustehen, ihr zu helfen und sich verstärkt um ältere Kinder zu kümmern, die oft durch ein Neugeborenes vernachlässigt werden. Allerdings verbiete die islamische Religion strikt, einen Unterschied zwischen Söhnen und Töchtern zu machen, erklärt Mujkanovic.
Lebenslanges Lernen
Prinzipiell habe sich das Rollenbild des Vaters im Lauf der Zeit nicht sehr gewandelt, erklärt Willy Weisz, Mitglied der jüdischen Gemeinde in Wien. Die gesellschaftlichen Entwicklungen haben jedoch auch im Judentum ihre Spuren hinterlassen: „Die religiöse Erziehung von Mädchen in den ‚nicht weiblichen Themen‘ erreicht heute den Umfang, wie ihn auch Söhne genießen. Daher ist die Position der Mütter als religiöse Lehrerinnen von Söhnen und Töchtern auch nach den Kleinkinderjahren deutlich besser geworden. Religiös hochgebildete Frauen finden wir jedoch schon im Talmud – z.B. hat Bruria, die Frau von Rabbi Meir, ihren gebildeten und geachteten Gatten noch übertroffen.
Die Aufgaben des Vaters seien bei einem Sohn nicht anders als bei einer Tochter. Es gäbe jedoch Teile des religiösen Wissens für Töchter, die Mütter eventuell besser vermitteln könnten. Auch unterscheiden sich die religiösen Anforderungen an den Vater beim Erstgeborenen nicht von jenen bei den jüngeren Kindern. „Wenn man die Bibel (insbesondere den Pentateuch) liest, erkennt man, dass das Vorrecht der Erstgeburt meist dem Vorrecht des besser Geeigneten Platz machen muss“, betont Weisz: „Es ist wichtig, jedem Kind das Maximum des von ihm erreichbaren Wissens und Könnens abzuverlangen, um es so optimal zu fördern.“ Falls er eine entsprechende Ausbildung habe und es sich zutraue, sei es auch die Aufgabe des Vaters, seine Söhne zu beschneiden.
„Väter haben die Aufgabe, ihren Kindern eine religiöse Ausbildung zu geben, wenn sie können“, erklärt Willy Weisz. „Wenn sie es nicht können, müssen sie sich um entsprechende Lehrer bemühen. Die Verpflichtung des lebenslangen ortsunabhängigen Lernens und Lehrens finden wir bereits im Pentateuch.“ (Deuteronomium 11,19) Zwar seien viele Vorbilder in der Bibel als Väter nicht in all ihren Handlungen erfolgreich, meint Weisz. Als Vorbild auch als Vater könne allerdings Josef, der Sohn Jakobs, genannt werden. Auch im Palast des Pharaos und als Teil des Establishments habe er in einer heidnischen Umgebung seine Söhne im Eingottglauben seiner Väter erzogen.
Etwas Wertvolles mitgeben: So wie Josef dies bei seinen Söhnen mit dem Glauben tat, erscheint dieses Bestreben der Väter wohl auch als die stärkste Verbindung zwischen den Religionen. Ein Bestreben, das in der bestmöglichen Persönlichkeitsentfaltung der Kinder, vor allem jedoch im sichtbar Werden der bedingungslosen Vaterliebe zum Ausdruck kommt.
Autor: Michael Link