Schulden erlassen
Im Alten Testament wird berichtet, wie überschuldete Bauern im 6. Jh. v. Chr. erst ihre Felder und Weinberge, dann ihre Töchter und Frauen verkaufen mussten. Als deshalb ein Volksaufstand drohte, erreichte Nehemia, dass die Reichen einen Schuldnerlass durchführen (Neh 5,1ff).
Solche unregelmäßigen Erlasse lösen das Problem nicht wirklich. Deshalb wird im Buch Deuteronomium erstmals ein regelmäßiger Schuldenerlass festgesetzt: Alle sieben Jahren sollen die Schulden erlassen werden (Dtn 15,1ff). Später gab sich da Volk Israel im Exil in Babylon eine „Verfassung“: In Israel sollen alle sieben mal sieben Jahre die Schulden erlassen und eine Landreform durchgeführt werden (Lev 25). Dazu kam es jedoch nie. Die Hoffnung aber blieb lebendig. Jesus wusste um die Not der überschuldeten Menschen. Deshalb antwortete er auf die Bitte der Jünger, wie sie beten sollten mit der Vaterunser-Bitte: „… erlass uns unsere Schulden, wie auch wie vergeben sie unsern Schuldnern“ (Lk 11,4/ Mt 6,12).
Der Mensch hat Vorrang vor dem Geld
„Schulden“ bezeichnet in der Sprache Jesu alles, was Menschen einander schuldig geblieben sind: moralische Verfehlung aber auch finanzielle und materielle Schulden. Jesus hält daran fest, dass Sünde und Schulden etwas miteinander zu tun haben. Doch er kehrt das Verhältnis um: Nicht der ist schuldig, der seine Schulden nicht bezahlt. Die Schuld des Menschen vor Gott – die Sünde also – besteht darin, bei überschuldeten Mitmenschen Schulden um jeden Preis einzutreiben. Menschen haben Schulden bei Gott, wenn andere Menschen ihre Schuldner sind.
Die Bibel ist kein Rezeptbuch zur Lösung ökonomischer Probleme. Doch sie hilft uns, Fragen zu stellen und scheinbare Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen. Die Bibel zeigt: Man muss keineswegs immer seine Schulden bezahlen, wenn unbezahlbare Schulden das Leben der Schuldner zerstören. Der Mensch hat Vorrang vor dem Geld!
Wie der Schuldendienst Leben zerstört, ist im Süden Europas zu sehen. Schulden, die den Menschen Tod und Elend bringen, müssen erlassen werden – so in Griechenland, in Spanien und Portugal, wie auch in den armen Ländern des Südens unserer Erde.
Franz Segbers.
Der Autor ist Professor für Sozialethik an der Universität Marburg (Deutschland)