Beherzt handeln
Der englische Songwriter Sting hat am 20. September 2013 sein neues Album „The Last Ship“ veröffentlicht. Zehn Jahre lang hat er gebraucht, um neue Songs zu schreiben. „A decade is a long time“, schreibt er im Booklet: Zehn Jahre, eine wirklich lange Zeit. Diese adventliche Qualität voller Erwartung, nichts zu erwarten, erahne ich in diesen ruhigen Balladen, die für einige Sting-Fans sicher gewöhnungsbedürftig sind. Mir gefallen sie, weil ich darin im Auf und Ab meines Lebens eine Vertrauensspur entdecke, die sich unaufhaltsam durch mein Leben zieht.
Unterwegs in die Weite
Seine Songs sind inspiriert von seinen Jugendjahren in Newcastle, die er verbindet mit der sterbenden Schiffsindustrie, die viele Menschen in große Not bringt. Ängste und Hoffnungen lassen sich in seinen Texten und Melodien entdecken, die sich vom konkreten und symbolischen Wort „ship“ (Schiff) leiten lassen. Mitten in den Stürmen unseres Lebens gilt es zu vertrauen, dass unser „Schiff seetüchtig“ ist.
Diese Grundhaltung führt mich mitten hinein in die Botschaft aus Bethlehem, die höchstaktuell bleibt, wie es Meister Eckhart (1260-1328), der Dominikanermönch aus Erfurt, in seiner Weihnachtspredigt auf den Punkt bringt: „Die Menschen wähnen, Gott sei nur dort (bei seiner historischen Menschwerdung) Mensch geworden. Dem ist nicht so, denn Gott ist hier (an dieser Stelle hier) ebenso wohl Mensch geworden, wie dort, und er ist aus dem Grunde Mensch geworden, dass er dich als seinen eingeborenen Sohn gebäre und als nicht geringer.“ (Predigt 43).
Diese Worte bestärken mich seit vielen Jahren in meiner Menschwerdung, in meinem Mannsein, die Menschwerdung Gottes zu erahnen. Gott gebiert sich jeden Tag neu als liebende Kraft in meinem Leben, in meinen Beziehungen, in meinem Engagement. Meine Aufgabe besteht darin, dieser Hoffnung einen weiten Raum zu schaffen, in dem ich mich nicht durch die Sachzwänge leben lasse und gut Sorge trage für mich, um mit anderen einen gesunden Lebensrhythmus einzuüben.
„Folge deinem Herzen, es führt dich zum Hafen …“
Josef kann uns zum Verbündeten werden, weil er nicht passiv in den durch-kreuzten Ereignissen seines Lebens bleibt. Er traut seinen Träumen, seinen inneren Bildern, seiner Intuition. Er lässt sich von einem Engel leiten, weil er ihn als innere Herzensstimme erkennt, die Mut macht, neue, ungewohnte Wege zu gehen.
Beherztes und vernünftiges Handeln ergänzen einander. Untersuchungen der Neurokardiologie veranlassen Ärztinnen und Ärzte, das Herz „als fünftes Gehirn“ zu sehen. Sie zeigen uns auf, dass neben der Muskulatur und dem Bindegewebe zwischen 60 und 65 Prozent aller Herzzellen Neuronen sind. Enge Nervenverbindungen zwischen dem Herzen und dem emotionalen Teil des Gehirns fördern eine intensive Interaktion. Die Ergebnisse der Emotionsforschung verdeutlichen, dass auch die Gefühle eine eigene Rationalität haben: Gefühle haben ihren Grund, und sie zeigen uns auf, was uns wichtig ist.
Sting singt in einem seiner neuen Songs „Folge deinem Herzen, es führt dich zum Hafen …“. Ganz in Sinne vom „kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupéry, der 70 Jahre alt geworden ist und uns immer noch erinnert, dass man nur mit dem Herzen gut sieht, weil das Wesentliche für die Augen unsichtbar bleibt. Diese Lebensweisheit wird in den Weihnachtserzählungen intensiv entfaltet. Sie erzählt von Männern, die nicht nur von der Vernunft her ihr Leben gestalten, sondern auch auf Ihre Gefühle achten. Diese ganzheitliche Sicht des Mannseins findet sich in den persönlichen Balladen von
Sting und auch im Lebenslauf von Josef. Seine Herzensstimme lässt ihn in einer lebensbedrohlicher Situation mit Tatkraft und Klugheit mit seiner jungen Familie eine Flucht nach Ägypten wagen (Matthäus 2,13-15). Er traut seinem inneren Engel, der ihn bestärkt, mit Kopf, Herz, Bauch das Leben zu wählen. Er kann mit Maria und dem Jesuskind in eine ungewisse Zukunft aufbrechen, weil er sich jeden Tag erinnert, mehr zu sein als seine Leistung, gesegnet vor allem Tun. Er versucht zu vertrauen, dass es wohl auf ihn ankommt, jedoch nie allein von ihm abhängt.
„Was möchte jetzt in dir neu geboren werden?“
Die gute Nachricht aus Bethlehem zeigt uns in großer Klarheit das Bild eines befreiten Menschen, eines befreiten Mannes, der zwischen Erde und Himmel gerade steht für sein Leben, für seine Talente und seine Unvollkommenheit. Das Bild eines selbstbewussten Menschen, der sich nicht von großen Stars blenden lässt, sondern seinen eigenen inneren Kraftstern entdeckt, der das in uns erhellt, was unterbelichtet ist. „Was möchte jetzt in dir neu geboren werden?“, heißt jene weihnachtliche Frage, die uns das ganze Jahr hindurch aufhorchen lässt. Eine Frage, die wir zum Glück nie alleine und nie ein- für allemal beantworten können, sondern immer wieder neu. Dazu brauchen wir Verbündete, auch andere Männer, die mutig, den Traum Gottes, einer gerechteren, einer friedvolleren, einer zärtlicheren Welt verwirklichen.
UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld (1905-1961), der mit Zivilcourage und Beharrlichkeit sich auch für die Rechte der kleinen Völker eingesetzt hat, spricht in seinem Tagebuch von „einem seelischen Kraftfeld“, das er jeden Tag neu betreten möchte. Er meint damit, die Erinnerung, dass auch in den schlimmsten Kriegsregionen Frauen und Männern guten Willens, die Friedensbotschaft aus Bethlehem leben. Wir sind aufgerufen, einander unser Rückgrat zu stärken. Sting singt „Mögen Engel mich beschützen, wenn alles andere ausfallen sollte, wenn das letzte Schiff fährt.“
Pierre Stutz. Der Autor lebt in Lausanne und ist Theologe und spiritueller Begleiter. www.pierrestutz.ch
Buchtipp
Benedikt Lautenbacher SJ/ Andreas Ruffing (Hrsg.)
Männer Gottes
Zwölf Porträts aus Bibel und Tradition
Kösel-Verlag München 2013
160 Seiten, € 15,50
ISBN 978-3-466-37076-4