Väter sind nicht Mütter
Y: Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft. Brauchen wir da einen Anwalt der Männer?
Markus Theunert: Tatsächlich leben wir in einer Welt, die durch einen männlichen Blick geprägt ist, die von männlichen Normen durchdrungen ist. Der Punkt ist der, dass diese Männer ja keineswegs repräsentativ für die Gesamtheit der Männer sind. Die Tatsache, dass Männer zur Mehrheit an den Schalthebeln der politischen und ökonomischen Macht sitzen, garantiert ja keineswegs, dass nicht Männer trotzdem spezifische Bedürfnisse haben und z.T. auch benachteiligt werden.
Y: In einer patriarchalen Gesellschaft eine Benachteiligung von Männern?
Markus Theunert: Ich gebe als Beispiel gern die Wehrpflicht an. Das ist zweifellos eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes, genau das, was die Verfassung eigentlich verbietet. Man kann nicht Männer aufgrund ihres Geschlechts einer Gewaltzumutung aussetzen und so tun, als sei das keine Diskriminierung. Trotzdem glaube ich, steht es der Männerbewegung gut an, wenn sie sich nicht einseitig auf diese Benachteiligungen konzentriert. Für das übergeordnete Ziel der Chancengleichheit arbeiten Frauenbewegungen und Männerbewegungen am gleichen Projekt.
Y: Wie heißt dieses Projekt?
Das Projekt heißt Geschlechtergerechtigkeit. Es besteht im Wesentlichen aus dem Willen, eine Welt zu realisieren, in der Männer wie Frauen ihr Leben so gestalten können, wie sie es möchten, ohne durch Geschlechtsrollenkorsette und Abhängigkeiten daran gehindert zu werden.
Y: Was müssen Männer auf diesem Weg zurücklassen und vielleicht noch an Fähigkeiten entwickeln?
Markus Theunert: Männer können sich heute immer noch den Luxus leisten, so zu tun, als seien sie einfach Menschen, also geschlechtsneutral. Sie verschleiern dadurch, dass sie sehr wohl ein soziales Geschlecht haben, sowohl zu Männern gemacht werden wie auch als Männer auftreten. Sie müssen nun anerkennen, dass sie in gewisser Weise auch nur eine Minorität unter vielen sind. Die Männer als Gesamtheit gibt es nicht, nur verschiedene Strömungen, eine Vielfalt von Männlichkeiten.
Y: Warum soll ein Mann sich den Mühen der Veränderung stellen?
Markus Theunert: Es ist ja nicht so, dass Männer keinen Leidensdruck hätten. Es ist vielmehr so, dass es in unserer Gesellschaft als unmännlich gilt, einen Leidensdruck zu äußern. Ein „richtiger“ Mann hat keine Anliegen und wer ein Anliegen äußert, der ist eben kein richtiger Mann. Unsere Aufgabe ist es, den Männern Mut zu machen: Sie sollen die Fähigkeit entwickeln, jene Anliegen überhaupt erst wahrzunehmen, die nicht passen zum Bild vom Mann, der in jeder Hinsicht leistungsbereit ist und jederzeit alles im Griff hat. Es geht um jene Facetten, die nicht in diese männliche Omnipotenz-Phantasie hineinpassen. Das ist eine Herkules-Aufgabe, wenn man schaut, was für wirkmächtige Traditionen wir da zuerst brechen müssen.
Y: Können Frauen Männer auf diesem Weg unterstützen?
Markus Theunert: Es gibt viele Frauen, die Männer ermuntern. Doch gibt es auch enorme Irritation, wenn Männer sich auf diesen Weg machen. Frauen erleben dann Phasen der Verunsicherung und sagen vielleicht auch einmal: „Stopp, ich möchte es anders.“
Y: Chancengleichheit meint ja eine faire Aufteilung aller Aufgaben. Wie kann man Bereiche, die sehr weiblich geprägt sind, für Männer attraktiv machen: Pflege, Kinderbetreuung, Schule?
Markus Theunert: Es gibt da verschiedene Faktoren, die als Hürden wirken. Einerseits die schrägen Blicke der männlichen Kollegen; andererseits auch die von Frauen geprägten Kulturen, die mit Argwohn beobachten, wenn Männer sich in diese Domänen vorwagen. Ich wehre mich dagegen, dass man einfach den Männern den schwarzen Peter zuspielt. Diese Aufgaben sind nicht attraktiv, wenn es darum geht, von den Männern Imitationshandlungen bisheriger weiblicher Rollen einzufordern und ihnen nicht die Möglichkeit gegeben wird, in diesen weiblich geprägten Domänen ihre eigene Art zu entwickeln. Das gilt auch für den familiären Bereich: Väter sind nicht Mütter und ihre Aufgabe ist es nicht, zu besseren Müttern zu werden, sondern einen eigenen Stil des „bevaterns“ zu entwickeln. Auch die weiblich geprägten Institutionen müssen sich bewegen, wenn sie für Jungen und Männer attraktive Arbeitgeberinnen sein wollen.
Y: Wie ist die Väterrechtsbewegung in dieser Zeit der Veränderung einzuschätzen?
Markus Theunert: Bei einzelnen Themen arbeiten wir von maenner.ch mit ihr zusammen. Das Parlament hat auch aufgrund unseres politischen Drucks die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall verabschiedet. Ich warne davor, dass die gleichstellungsorientierte Männerbewegung sich voreilig von den Väterrechtlern abwendet. Man darf als Mann auch wütend sein, da gibt es gute Gründe dafür. Was man nicht darf, ist, in seiner Wut stehen zu bleiben. Ich verstehe jeden Vater, der sich voll verarscht fühlt, nachdem er seiner Ernährerpflicht im traditionellen Familienmodell nachgekommen ist und so seinen Beitrag zur Familiensicherung geleistet hat und dann nach Trennung und Scheidung plötzlich draußen ist. Das geht so nicht!
Y: Was ist in der Scheidungsfrage politisch notwendig?
Nach Trennung und Scheidung muss das familiäre Arrangement neu verhandelt werden. Es kann nicht angehen, dass einfach das Familienmodell vor der Trennung und Scheidung fortgeschrieben wird. Es muss möglich sein, dass Väter daraus lernen und sagen, ich investiere jetzt weniger Energie in die Erwerbsarbeit und mehr in die Familienarbeit. Der Staat hat da die Pflicht, eine solche Pluralität zu ermöglichen und diese Väter nicht zu behindern.
Interview: Reinhard Kaspar, KMB-Referent, Linz
Markus Theunert (40), Psychologe und Autor,
seit der Gründung 2005 Präsident von männer.ch
Buchtipp
Markus Theunert
Co-Feminismus
Wie Männer Emanzipation sabotieren – und was Frauen davon haben
Verlag Hans Huber, Bern
ISBN: 978-3-456-85280-5