Gerechtigkeit durch einfachen Lebensstil
Unser Wohlstand verbraucht im globalen Fußabdruck drei Erdkugeln. Wir haben im Mai rechnerisch die uns zustehenden Ressourcen bereits aufgebraucht. Es geht also nicht darum, ein bisschen etwas zu ändern. Es geht um eine radikale Reduktion von zwei Drittel.
Michael Rosenberger: Die zwei Drittel beziehen sich auf den ökologischen Fußabdruck, also auf die Flächen, die wir für unseren Lebensstil verbrauchen. Bei einer anderen Berechnung, die mehr auf den Treibhauseffekt zielt, kommen wir sogar auf drei Viertel. Das ist noch dramatischer.
Ich meine, wir müssen hier mit drei Strategien vorgehen. Das Eine sind technische Verbesserungen, z.B. sparsamere Motoren, bessere Kraftwerke, Solarenergie, Windenergie usw. Das tut uns persönlich relativ wenig weh, bestenfalls wenn der Strompreis steigt.
Der zweite Punkt sind Maßnahmen, bei denen wir unser eigenes Verhalten effizienter gestalten müssen. Wenn vier Menschen eine Fahrgemeinschaft zum gleichen Arbeitsplatz bilden, anstatt dass jeder mit einem eigenen Auto fährt, reduzieren sie ihren Verbrauch um drei Viertel. Da liegen sie genau auf dieser Zielmarke, sie fahren aber trotzdem zur Arbeit wie vorher. Sie müssen sich absprechen und Rücksicht nehmen. Das ist schon etwas anspruchsvoller als der erste Gedanke, aber immer noch nicht so, dass wir sagen, wir stecken unsere Bedürfnisse zurück. Im Freizeitverhalten sollten wir es analog tun.
Der dritte Bereich ist der schwierigste. Da geht es um den wirklichen Verzicht, hauptsächlich bei Dingen im Freizeitverhalten oder im Luxus- und Komfortbereich. Müssen wir z.B. im Winter die Wohnung auf 25 Grad aufheizen? Müssen wir jeden Raum heizen oder nur jene, die wir tatsächlich nutzen? Müssen wir jedes Wochenende Hunderte von Kilometern weit zu einem Ausflug fahren? Müssen wir unbedingt jedes Jahr mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen? Auch in puncto Ernährung: Müssen wir tatsächlich jeden Tag Fleisch auf dem Teller haben? Hier geht es nicht um Grundbedürfnisse, sondern wirklich um einen Luxus, den wir uns angewöhnt haben. Vor 50 oder 60 Jahren war das überhaupt noch nicht so.
Verzichten klingt mieselsüchtig und lebensfeindlich. Hat es auch einen positiven Aspekt?
Michael Rosenberger: Man muss sehen, dass jeder sinnvolle Verzicht einen viel größeren Gewinn mit sich bringt. Das ist ja auch die Grundidee der Fastenzeit. Wir wollen ja nicht fasten, damit wir uns selber quälen. Das ist nicht die Idee des christlichen Glaubens. Wir wollen auch nicht fasten, um eine Leistung zu vollbringen, um zu sagen „Schaut her, ich kann das, ich bin toll“. Das Ziel ist, über den Verzicht zu einer höheren Lebensqualität zu gelangen – für sich und für andere. Wenn ich einmal eine Zeit lang auf Alkohol verzichte, dann schmeckt mir der Wein hinterher wieder besser. Wenn ich einmal eine Zeit lang auf Fleisch verzichte, dann schmeckt hinterher das Fleisch wieder viel köstlicher. Ich kann viel bewusster wahrnehmen, was mir da eigentlich geschenkt wird. Wenn ich einmal eine Zeit lang auf das Auto verzichte und mit dem Rad fahre oder verschiedene Fahrten überhaupt nicht mache, dann kann mir bewusster werden, dass ein langsameres Leben wertvoller ist.
Wenn 100 Millionen Leute diesen Schritt der Veränderung gehen, klingt das nach sehr viel. Wir haben aber 500 Millionen Menschen in der EU und jeder sollte das tun. Wie gelingt eine Veränderung in dieser Breite?
Michael Rosenberger: Der maßgebliche Punkt, der das Konsumverhalten bestimmt, ist der Geldbeutel: Die meisten Menschen kaufen jene Produkte, die kostengünstig sind und meiden Dinge, die teuer sind. So lange der Wochenendflug nach London billiger ist als die Zugfahrt nach Wien, wird man die Mehrheit nicht dazu bringen, auf den Wochenendflug nach London zu verzichten. Hier muss über Steuern erreicht werden, dass der Flug nach London teurer wird. Der ist ja deswegen so billig, weil die Fluggesellschaften fast keine Steuern zahlen. Die Bahn muss diese Steuern zahlen und deswegen ist sie automatisch teurer.
Mit wirtschaftlicher Notwendigkeit wird aber vieles beworben, auch wenn es ökologisch fragwürdig ist.
Michael Rosenberger: Der Flug nach London bringt wirtschaftlich gesehen relativ wenig, das ist ein Dumping-Preis. Wenn ich dasselbe Geld am Wochenende ausgebe, indem ich von zu Hause aus irgendwohin aufs Land wandere und dann in einer Dorfwirtschaft einkehre, tue ich letztlich für die regionale Wirtschaft viel mehr und sichere mehr Arbeitsplätze.
Wieviel ist genug? Ein Lebensstil, der weltweit sozial und ökologisch verträglich ist, wie muss der aussehen?
Michael Rosenberger: Das kann man nicht vereinheitlichen. Einer möchte lieber reisen und dafür ist er bereit, weniger oder gar kein Fleisch zu essen; der Andere sagt, mir ist das Fleisch wichtig, bin aber dafür bereit, auf große Urlaubsreisen zu verzichten. Hier muss jeder Mensch seinen ganz individuellen Weg finden, um seine Reduktion zu erbringen.
Dazu muss einer allerdings schon das Bewusstsein haben, dass er sich diesen Alternativen stellen muss.
Michael Rosenberger: Die beiden Bereiche von Mobilität und Ernährung sind in der Tat Schlüsselbereiche. Die meisten Krankheiten in den Industrieländern resultieren aus Bewegungsmangel und aus falscher Ernährung. Mobilität und Ernährung sind nicht nur ein Thema, weil sie für das Klima und den Treibhauseffekt Auswirkung haben, sondern auch, weil sie die Gesundheit des Menschen massiv beeinflussen. Wenn ich mich also gesund fortbewege, dann habe ich viel weniger Risiko, eine der klassischen Krankheiten zu bekommen. Dann lebe ich objektiv gesehen deutlich länger und deutlich länger gesund. Das ist natürlich auch etwas, was zur Lebensqualität beiträgt.
Das sind beides sehr männliche Themen: Auto fahren und Fleisch essen.
Michael Rosenberger: Beides gilt als Statussymbol und ist rational nicht wirklich zu erfassen. Eine Veränderung gelingt da nur, wenn anderes diese Position einnimmt. Wir muten uns selbst immer mehr zu, nicht nur im Beruf, sondern auch in der Freizeit und das führt ja z.T. auch zu zivilisationsbedingten Erkrankungen wie Burnout. Hier könnte eine langsamere Mobilität auch eine Hilfe sein. Bei der Ernährung sollte Mann den Wert eines fleischarmen oder -freien Gerichtes erkennen und regionale Produkte verwenden. Diese sind frisch. Glück ist nicht die Erdbeere an Weihnachten, sondern die Erdbeere im Mai oder im Juni, wenn diese bei uns wachsen. Da schmecken sie am besten und da freut man sich wieder drauf, wenn sie auf den Tisch kommen. Wenn man sie das ganze Jahr hat, haben sie keine Bedeutung mehr.
Wie würden Sie einen nachhaltigen und solidarischen Lebensstil nennen?
Michael Rosenberger: Für mich ist da der Begriff des einfachen Lebens wichtig. Einfach leben bedeutet, die Grundbedürfnisse sind auf jeden Fall abgesichert. Es soll auch mehr sein, ein bisschen Annehmlichkeit und Komfort. Einfach leben heißt für mich, auch ein Stück weit unkompliziert leben, nicht zu meinen, man müsste immer mehr, immer neue Bedürfnisse schaffen und dann die Menschen mit diesen Dingen versorgen. Ein einfaches Leben wäre, Dinge gar nicht zu kaufen, bei denen ich schon sehe, die brauche ich doch gar nicht wirklich, um mein Leben schön zu machen.
Interview: Markus Himmelbauer
Univ.-Prof. Dr. Michael Rosenberger (51) ist Institutsvorstand für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz und Umweltsprecher der Diözese Linz.