Gottesteilchen
„Give us the old time religion“ – gib uns den uralten Glauben – so ein Spiritual-Text, oder „Zieh weg in ein Land, das ich dir zeigen werde!“ (Gen 12,1). Ein „Jahr des Glaubens“ weil die Tradition bedroht ist? Oder ein Jahr des Glaubens, das neuerlich Fenster öffnen und Felsen sprengen soll? Vor diesem Anspruch stehen wir heute alle: Weitergabe festgefügter Wahrheiten, oder Eröffnung neuer Wege zum „Geheimnis“ Gott?
Eine sinnvolle Bedeutung für das Vokabel „Gott“
Stichwort „Gott“: Das muss das Zentrum dieses Jahres werden, die Frage, ob wir diesem Vokabel eine sinnvolle Bedeutung beimessen können, die unser eigenes Lebens ausfüllt und gleichzeitig von anderen wenigstens verstanden wird. Wir KMBler haben die Aufgabe, dieses Vokabel tabufrei auf seine Relevanz für das Leben zu prüfen und das dabei Bewegende, vielleicht auch das unbewegt Bewegende, eins zu eins der Welt weiterzugeben.
Da werden einige sagen: Schon wieder Gott. Nein, noch immer Gott! Wir können nicht anders, „denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). Es soll in diesem Jahr tatsächlich einmal um das gehen, was wir „Gott“ nennen (Thomas von Aquin). Dass in unseren eigenen Reihen Gott außer Frage steht, steht außer Frage. Dass das Vokabel Gott bei vielen aber Ratlosigkeit und Beklemmung auslöst, ebenso. Und wenn wir „Gott“ nicht als Klischee verwenden wollen für alles, wo unsere Vernunft ansteht, dann müssen wir uns an die Arbeit machen.
Gott neu zur Sprache bringen
Wir müssen das Fundament unseres Glaubens auf seine Standfestigkeit überprüfen. Hat sich Materialermüdung eingeschlichen, sind Risse aufgetreten, fehlen Perspektiven? Die Teilchenphysik hat heuer womöglich das „Gottesteilchen“ entdeckt, das sie schon so lange vermutet hat. Wir hingegen müssten jenes Teilchen neu entdecken, das wir schon so lange in uns und in unserer Mitte als gewiss annehmen. Und das mit oder ohne CERN, um unser sonst so eckiges Leben nach vorne hin abzurunden. Daher werden wir viele „Runden“ machen müssen, um Gott für uns und für andere neu zur Sprache zu bringen.
Ernest Theußl. Der Autor ist pensionierter Religionsprofessor und Vorsitzender der KMB der Diözese Graz-Seckau.