Hausarbeit und Kinderglück
„Wahnsinn“, höre ich am anderen Ende: „Finde ich toll, dass du dir Zeit für deine Kinder nimmst!“ Einige Wochen später telefonieren wir wieder. Ich höre: „Hab’ mir dein Dasein für deine Kinder zum Vorbild genommen, und verbringe jetzt mehr Zeit mit meinen Söhnen.“
Jetzt hab ich es also gehört. Ich bin ein Vorbild. Das tut gut! Ich vermute, dass viele Väter andere Prioritäten haben: Die Beschäftigung mit den eigenen Kindern wird vielleicht nicht als erfüllend, nicht befriedigend gesehen? Vielleicht als uncool? Vielleicht in Widerspruch stehend mit dem Bild des stolzen Steppenjägers, der am Abend vor dem Lagerfeuer davon erzählen kann, welch toller und wichtiger und großartiger Krieger er doch ist. Zeit mit der eigenen Brut verbracht zu haben, klingt nicht nach Adrenalin, das wir Männer – seien wir doch ehrlich – im Berufsleben suchen.
Gemeinsame Zeit im Alltag
Als meine erste Tochter 6 Jahre alt war, habe ich sie verloren. Nicht physisch, sondern emotional und faktisch durch die Scheidung, die viele Ursachen hatte. Eine war mein Ehrgeiz, beruflich erfolgreich zu sein. Die viele Kraft, die ich als junger Mann hatte, habe ich in alle möglichen Projekte gesteckt und dabei mein Familienleben vernachlässigt. Meine Beschluss damals, dass mir so etwas nicht noch einmal passiert.
Was ich heute mit meinen beiden Pflegekindern (10 und 11) lebe, ist Alltag. Morgens ihren ersten Streit um des Kaisers Bart, mittags zu hören, wie deppert die Lehrerinnen und Lehrer sich benommen haben, das Jausenbrot wieder einmal ungegessen aus der Schultasche holen und sich die Ausrede anhören müssen, warum keine Zeit zum Essen war und nachmittags beim Englischpauken bemerken, dass ein Englandaufenthalt für Janine vielleicht doch ganz gut wäre. Die vielen kleineren und größeren Wichtigkeiten eines kindlichen Lebens kriegt man als Vater nicht mit, wenn man nur am Wochenende anwesend ist.
Wenn Justin von der Schule kommt, hat er einen männlichen Gesprächspartner, dem er schildern kann, dass er sich in eine Rauferei verwickeln ließ. Er bekommt männliches Feedback, einen männliche Bezugsperson, die nachvollziehen kann, was in ihm vorgeht. Das dringende E-Mail muss dann halt 10 Minuten warten.
Natürlich geht das nicht die ganze Woche und nicht jeden Tag. Aber so viel wie möglich und so präsent wie möglich. Die fehlende Arbeitszeit muss man halt abends oder am Wochenende aufholen, wenn die Kinder mit Freundinnen und Freunden um die Häuser ziehen. Und es geht sicher nicht um die wahnsinnig tollen und coolen Aktivitäten, sondern einfach darum da zu sein.
Väter im Alltag lernen zu schätzen, was Mütter oft unbeachtet leisten. Wie mühsam es ist, alle Familienmitglieder mit gesundem Essen und sauberer Wäsche zu versorgen, für ein attraktives Heim zu sorgen, Zahnarzttermine, Nachhilfe und Freizeit zu organisieren und all die anderen notwendigen Dinge des Lebens, die nur auffallen, wenn sie nicht funktionieren.
Lebensgenuss mit Kindern
Meine erste Tochter, heute 26 Jahre und zweifache Mutter, habe ich nach der Geburt eine halbe Stunde auf dem Krankenhausgang herum getragen, dachte etwas Schöneres kann es im Leben eines Vaters nicht geben. Was danach kam, war ein jahrelanger Krampf und ich bin oft an die Grenzen meiner väterlichen Kompetenz gestoßen.
Ich stehe heute mit 50 natürlich auch viel gelassener der Herausforderung „Kindererziehung“ gegenüber als vor 25 Jahren. Vieles spricht ja für späte Vaterschaft. Man steht beruflich nicht mehr unter Dauerstrom, ist emotional reifer und körperlich noch halbwegs beisammen um mit den Kids mitzuhalten. Ich höre schon manchen Mann rufen: „Mit 40 tu ich mir doch keine Kinder mehr an. Da will ich anfangen, das Leben zu genießen.“ In Sachen „Leben genießen“ gibt es keine besseren Coaches als Kinder. Authentisch sein, im hier und jetzt sein, Spontaneität und Genießen des Augenblicks kann man wunderbar von Kindern lernen. Und wer meint, das Leben erst nach der Arbeit genießen zu können, hat es eh nicht begriffen.
Vor 6 Jahren sind Janine und Justin als Pflegekinder in unser Leben getreten. Ich war bei ihrer Geburt nicht dabei wie bei meiner ersten Tochter, sie sind nicht mein eigen Fleisch und Blut, aber das ist völlig egal. Männer, lasst euch mit dem Vatersein Zeit. Da seid ihr wie guter Wein. Je älter umso bessere Väter werdet ihr abgeben.
Wer und wie sind wir Männer?
Mein Vater war ein Patriarch: Sein Wort war Gesetz für alle, Widerspruch wurde als Majestätsbeleidigung geahndet und Zärtlichkeit war nicht vorhanden. Die emotionale Unterversorgung dieser Generation ernährt heute noch viele Therapeuten. Heute werden Familienkonferenzen abgehalten, bei denen Kinder gehört werden wollen. Selbstbewusste starke Frauen zwingen uns Männer, darüber nachzudenken, wer und was wir sind.
Hilft es der männlichen Emanzipation, wenn wir uns in eine Schwitzhütte in den Wald setzen und trommelnd männliches Testosteron aufsaugen? Hilft es, wenn wir Tränen zulassen, und uns den Akkuschrauber aus der Hand nehmen lassen?
Ein wenig hat sich alles verkehrt. Früher war man ein Weichei, wenn man Gefühle zeigte. Heute ist man ein Macho, wenn man es nicht tut. Heute haben Männer mehr Freiheit, so zu sein, wie es ihrem inneren Wesen entspricht; die Freiheit, nicht tradierten Rollenbildern zu gehorchen. Diese Freiheit hilft uns Männern sicher authentischere Väter zu sein.
Kinder sind übrigens sehr anspruchsvoll und nicht zu täuschen. Meine nachmittäglichen Telefonate am Spielfeldrand haben sie immer wieder mit den Worten „Du hast ja gar nicht aufgepasst“ kommentiert.
Heinrich Schuller. Architekt und Spezialist für ökologisch nachhaltiges Bauen. www.atos.at