Alkoholsucht - Eine Krankheit mit Folgen
Warum haben Menschen Probleme mit Alkohol?
Bieber: Es spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle. Das beginnt, wie und ob Alkohol verfügbar ist, wie hoch der Preis und wie die gesellschaftliche Einstellung ist. Es spielen auch sogenannte genetische Faktoren bzw. Risiken eine Rolle. Risikofaktoren bedeutet aber nicht gleich Erbkrankheit. Alkoholkrankheit ist nicht etwas, was vererbt wird. Aber das Risiko kann vererbt werden, etwa wie bei Bluthochdruck oder Diabetes.
Warum sind mehr Männer als Frauen betroffen?
Bieber: Sicher gilt nach wie vor der soziokulturelle Hintergrund, dass es für Männer selbstverständlicher ist, Alkohol zu konsumieren, viel zu vertragen. Der Rauschzustand bei Männern wird wahrscheinlich nach wie vor milder bewertet als bei Frauen. Andererseits treten aber gesundheitliche Folgen bei Frauen rascher auf als bei Männern. Nach wie vor scheint Alkoholabhängigkeit bei Frauen noch tabuisierter als bei Männern. Die Kluft zwischen den Geschlechtern wird bei jüngeren Altersgruppen aber immer enger.
Welche Auswirkungen hat übertriebener Alkoholkonsum?
Bieber: Alkohol hat unmittelbar eine enthemmende und eine entspannende Wirkung. Daraus ergeben sich Risiken wie Selbstüberschätzung und die Nichtwahrnehmung von Einschränkungen. Seine beruhigende Wirkung kann eine Gefahrenquelle im Straßenverkehr sein. Enthemmend kann er in Abhängigkeit von der Grundpersönlichkeit weniger oder mehr Aggressionen hervorrufen, so dass sich der alkoholisierte Mensch immer weniger beherrschen kann und sich im Extremfall dessen auch nicht mehr erinnert. Alkohol bei lang andauerndem Konsum lähmt im Gehirn, was uns sonst helfen würde: Die Erkenntnisfähigkeit, wie es um uns steht. Langzeitwirkung ist statistisch eindeutig eine verkürzte Lebenserwartung, wobei das Risiko umso höher ist, je mehr andere Krankheiten oder Abhängigkeiten vorliegen.
Wo ist eine Grenze zwischen unbedenklichem Alkoholkonsum und Alkoholmissbrauch?
Bieber: Wissenschaftlich gibt es keine Definition für gesunden Alkholkonsum, obwohl man weiß, dass ein moderater Konsum vielen Menschen überhaupt nicht schadet. Als unbedenklich wird heute definiert, wenn der Konsum bei Männern 24 g, das entspricht etwa 0,6 l Bier oder 0,3 l Wein, und bei Frauen 16 g nicht übersteigt. Dazu sollte aber immer die Fähigkeit bestehen, zwei Tage pro Woche alkholfrei zu sein.
Warum wird bei Cannabis oder Haschisch gesellschaftlich so stark reagiert, bei Alkohol aber nicht?
Bieber: Die starke Reaktion auf so genannte illegale Drogen hängt damit zusammen, dass diese gesellschaftlich nicht integriert sind. Wir haben die Diskrepanz, dass Alkohol gesellschaftlich integriert ist, aber zum Beispiel im Straßenverkehr Strafbarkeiten nach sich ziehen kann. Auch bei Alkohol gibt es sehr starke emotionale Reaktionen, wenn es Verkehrunfälle mit toten Kindern gibt.
Wird Alkoholsucht mehr als Fehlverhalten statt als Krankheit gesehen?
Bieber: Alkoholsucht wie auch andere Süchte sind natürlich kein Fehlverhalten; sie führen aber oft zu Fehlverhalten. Alkoholsucht ist dann eine Krankheit, wenn der Konsum von Alkohol einen Charakter angenommen hat, der dazu dient, durch die Droge verursachte Entzugsbeschwerden zu beseitigen. Das ist weit entfernt von Lustgewinn. Es ist ein vom Körper ausgehender Zwang und daher eine Krankheit.
Welche Anzeichen sprechen für einen problematischen Alkoholkonsum?
Bieber: Etwa, dass man darauf aufmerksam gemacht wird, dass man aber scheut, über das Thema zu sprechen. Vielleicht hatte man auch Kontrollverlust. Oder man hatte vor, weniger zu trinken und dies ist aus irgendeinem Grund nicht gelungen.
Welche Formen der Behandlung gibt es für Betroffene?
Bieber: Es gibt die Möglichkeiten der ambulanten und stationären Behandlung. Ambulante Behandlung ist dann möglich, wenn der Betroffene es will und es ihm ohne allzu große Beschwerden möglich ist, den Alkoholkonsum selbst einzustellen. Aus medizinischer Sicht ist das Mindeste ein regelmäßiger Kontakt über eine unbestimmt lange Zeit.
Die stationäre und mehrwöchentliche Behandlung ist immer dann notwendig, wenn es nicht gelingt, selbst den Alkoholkonsum deutlich zu reduzieren oder abstinent zu werden. Ebenso wenn massive ntzugsbeschwerden auftreten oder körperliche Schäden schon weit fortgeschritten sind. Auch hier kann das nur der Beginn einer längeren Begleitung sein.
Auch die Psychologie mit Einzel- und Gruppengesprächen ist wichtig.
Seit zwanzig Jahren stehen auch Medikamente zur Verfügung, die das Alkoholverlangen dämpfen bzw. deutlich reduzieren. Letztendlich kann nur die Erfahrung des Betroffenen ihn dazu bringen, sich entweder für eine deutliche Reduktion oder den abstinenten Weg zu entscheiden.
Was ist die Rolle der Partnerin?
Bieber: Zunächst einmal: ein schwierige und oft leidvolle Position. Speziell wenn sie den Partner gerne hat, ist es ein längerer Prozess wahrzunehmen, dass dieser möglicherweise alkholabhängig ist. Häufig ist es so, dass dies der vom Alkohol Betroffene nicht so sieht. Da kann die Partnerin nicht direkt helfen, ondern hat das Recht, darauf zu schauen, selbst nüchtern zu bleiben und auf ihre Belastungsgrenze zu achten. Vorsichtig sollte man mit Forderungen und Drohungen sein, denn es ist nicht leicht, diese einzuhalten.
Wird aber ein Schritt zur Entwöhnung gesetzt, ist das erst der Beginn einer längeren Entwicklung. Die körperliche Erholung geschieht relativ rasch, also binnen Wochen; die Aufarbeitung insgesamt dauert aber länger. Eine Reflexion kann erst nach einer längeren Abstinenz eintreten.
Wie kann eine Männergruppe unterstützen?
Bieber: Eine Männergruppe kann informieren und ermutigen. Ein Betroffener soll in einem nicht verurteilenden Rahmen Gehör finden. Wer einen Schritt setzt, der zur Genesung führt, soll Anerkennung finden, dass dies nicht leicht ist. Gespräche können heilsam sein, wenn es ein Klima des Vertrauens gibt.
Interview: Michael Scholz. Oranisationsreferent der Kath. Männerbewegung in St.Pölten