Freundschaft oder Networking?
Seilschaften sind auch im politischen und wirtschaftlichen Leben hilfreich. Gerade uns Männern wird nachgesagt, dass wir wahre Meister im Aufbau solcher Seilschaften sind. Für jedes Ziel gibt es den geeigneten Klub oder Verein. Die Wahl der richtigen Seilschaft ist Voraussetzung, meine Karriereziele zu erreichen. Heute sprechen wir von „Networking“: „Erfolgreiche Menschen haben immer ein größeres und besseres Netzwerk sozialer Beziehungen als andere“, lese ich im Internet in einer Anleitung auf www.br-online.de. „Networking ist ein methodisches und systematisches Vorgehen, Kontakte zu knüpfen, Beziehungen zu pflegen und längerfristig zu gestalten und alles mit der Absicht der gegenseitigen Förderung, des Austausches und des persönlichen Vorteils. Wer über ein funktionierendes Netzwerk verfügt, kommt schneller ans Ziel – beruflich wie privat.“
Kontakte, die nützlich sind
Wie können andere Menschen für mich nützlich sein? „Gleichgültig, ob er einen kompetenten Spezialisten für Augenleiden, einen Anwalt für Steuerrecht oder Tipps für die Bewerbung bei einem Unternehmen braucht, der erfolgreiche Netzwerker kennt jemanden, den er um Rat fragen kann. Ein solches Netzwerk will sorgfältig aufgebaut und ständig gepflegt werden.“ Viele gute Tipps folgen, die mich zu einem erfolgreichen Netzwerker werden lassen.
Wie erkenne ich welche Menschen für mich nützlich sind? Wie kann ich Verbindungen zu ihnen aufbauen und sichern? Wenn ich lerne, mit dem passenden Blick auf den Anderen zu schauen, bekomme ich schnell ein Gespür dafür, wo es sich lohnt Kontakte zu pflegen und Zeit zu investieren. Bei vielen Menschen merke ich gleich, dass sie für mich wenig nützlich sein werden und brauche mich nicht weiter um sie bemühen. Meine Ressourcen sind ja beschränkt.
Die eigene Marke pflegen
Auf der anderen Seite muss ich aber auch mich selbst so inszenieren, dass andere den Eindruck haben, ich könnte nützlich für sie sein. Wir haben aus der Werbung gelernt, dass es auf die Verpackung ankommt: „Lernen Sie, sich einprägsam vorzustellen. Wie Sie das genau machen, sagt viel über Sie aus. Haben Sie den Mut, sich anderen zu präsentieren. Wenn Sie bemerkt werden und bekannt sind, können Sie mühelos ihre Kontakte vervielfältigen. ‚Bescheidenheit‘ ist nicht das richtige Wort für Ihre Selbstdarstellung. Sie darf niemals übertrieben oder peinlich sein. Sie sollte aber auch nicht zu schüchtern und abwehrend, also zu bescheiden ausfallen.“ – So einer der Ratschläge aus dem Internet.
Freunde sind mir zugefallen
Können wir Männern auf der Suche nach Seilschaften die Katholische Männerbewegung empfehlen? Ich habe schon den Einen oder Anderen erlebt, der sich enttäuscht von der KMB verabschiedet hat, weil sie ihm in diesem Sinn nicht nützlich war.
In den zwanzig Jahren, in denen ich in der Männerbewegung mitlebe, habe ich viel über Männerfreundschaft gelernt. Freunde habe ich mir nicht ausgesucht, sie sind mir zugefallen: In den vielfältigen Gruppen der KMB bin ich mit den unterschiedlichsten Männern in Kontakt gekommen, auf die ich sonst niemals zugegangen wäre. Wir haben einander ein Stück weit auf unserem Weg durchs Leben begleitet. Das gewachsene Vertrauen hat bald alle Masken und gespielten Selbstdarstellungen weggeräumt.
Das Leben teilen
Freundschaft ist nur dort geworden, wo wir einander zumuten konnten. Nicht was der Andere ist sondern wer er ist, interessiert mich. Nicht sein Beruf, sein Titel, seine gesellschaftliche Position, sondern das, was ihm als Mensch wichtig ist. Freundschaft heißt, etwas von dem Miteinander zu teilen, was mir wichtig ist. Etwas von meiner „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“, wie es in der Präambel zur Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ über die „Kirche in der Welt von heute“ des II. Vatikanischen Konzils heißt. Worüber denkst du gerade nach, was beschäftigt dich, was lässt dich in der Nacht unruhig aufwachen, was hast du für utopische Visionen, worüber hast du dich gestern maßlos geärgert, um welche Menschen machst du dir Sorgen, was gibt dir Kraft?
Den Gipfel gemeinsam ersteigen
Freunde sind für mich wie ein Spiegel: Sie zeigen mir, wie ich wirklich bin. Sie nehmen mir die Illusion, wie ich glaube zu sein, holen mich auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Freunde trösten, wo ich in meinen Niederlagen zu versinken drohe; Freunde fragen nach, wo ich zu einseitig in meinem Urteil werde; Freunde ziehen mir aber auch manchmal den Sessel weg, wenn ich mich zu bequem in mich verkriechen möchte; sie fordern mich heraus, neu das Abenteuer Leben zu wagen.
Freundschaften sind also doch auch Seilschaften. Sie helfen mir über Gletscherspalten und Abgründe, in die ich sonst zu fallen drohe. Sie geben meinem Leben einen Rhythmus, der mich ans Ziel kommen lässt. Sie bremsen, wo ich zu ungestüm vorwärts stürmen möchte und ziehen mich da weiter, wo ich erschöpft liegen bleibe. Wenn das Wetter nicht passt, brechen wir gemeinsam die Tour ab und steigen wieder ab. Wenn einer von uns nicht mehr weiter kann, bringen wir ihn gemeinsam zurück ins Tal. Der Gipfel ist deshalb ein Erlebnis weil wir ihn gemeinsam erstiegen haben. Freundschaften sind nützlich für mich, weil sie mich durchs Leben tragen. Sie nützen mir nicht für meine Karriere, für meinen beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg, aber sie sind sehr wohl nützlich für meine persönliche Entwicklung und Entfaltung. Vielleicht hilft mir das dann auch für meine beruflichen Pläne, vielleicht hilft mir das, in der Gesellschaft einen guten Platz zu finden.
Bernhard Steiner. Der Autor ist KMB-Obmannstellverstreter der Diözese Linz.