
Drogen - zwischen Sucht und Medizin
Daneben finden sich in ihr aber auch Antworten auf die Frage: Wo werden welche Drogen in welchen Mengen konsumiert?
Spurensuche im Abwasser
Im Frühjahr und Frühsommer 2023 wurden für das jährliche Drogenmonitoring über einen Zeitraum von einer Woche täglich Proben vom Zufluss von Kläranlagen entnommen. Die Ergebnisse der Abwasseranalyse: „Im Schnitt trinkt ein Einwohner einer der 16 untersuchten Regionen in Österreich etwas mehr als ein Glas Wein, raucht drei bis vier Zigaretten und konsumiert 0,07 Joints sowie rund 1,5 Milligramm an aufputschenden Drogen“, sagt Assoz. Prof. Dr. Herbert Oberacher, Leiter des forensischtoxikologischen Labors am Institut für Gerichtliche Medizin (GMI) der Medizinischen Universität Innsbruck. In allen untersuchten Regionen war Cannabis die dominierende illegale Droge. Deutliche Anstiege waren bei Kokainrückständen zu verzeichnen. Eine Bevölkerungserhebung bestätigt, dass das Stimulans weiter verbreitet als angenommen ist: Während im Jahr 2015 drei Prozent angaben, schon einmal Kokain probiert zu haben, so waren es fünf Jahre später mehr als doppelt so viele. Tendenz steigend!
Alltagsdrogen werden unterschätzt
„Insgesamt zeigt sich die Drogensituation in Österreich aber weitgehend stabil“, sagt Dr. Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht bei der Gesundheit Österreich GmbH, mit Verweis auf den aktuellen Bericht. „Das heißt aber auch, dass wir ein Hochkonsumland für Alkohol und Nikotin bleiben.“ Anders als viele illegale Drogen genießen beide Substanzen eine breite gesellschaftliche Akzeptanz – diese, in Kombination mit der steten Verfügbarkeit, ist gleichzeitig der wichtigste Treiber im Prozess in die Abhängigkeitsentwicklung.
Nehmen wir Alkohol: „Trinkfestigkeit“ – oft als ein Attribut für besonderes Durchhaltevermögen gehuldigt – ist genau genommen ein Warnsignal. Bei dauerhaft hohem Alkoholkonsum stellt sich das zentrale Nervensystem auf die Promillewerte ein – das kann den Weg in eine Sucht ebnen. Fakt ist: Die Grenze zwischen Gewohnheit und Abhängigkeit ist ein schmaler Grat. Etwa jede siebente Person in Österreich trinkt in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß.
Der Suchtstoff mit dem stärksten Abhängigkeitspotenzial ist aber immer noch Nikotin: Zwei von drei Personen, die sich eine Zigarette anzünden, werden abhängig. Eine bemerkenswerte Zahl, macht sie doch deutlich, wie sehr die meisten Menschen das Rauchen unterschätzen – auch in puncto Verlust an Lebensjahren: Beinahe ein Jahrzehnt Lebenszeit können die Glimmstängel Rauchern und Raucherinnen kosten.
Was Nikotin und Heroin gemein ist
Schon 20 Sekunden nach dem Inhalieren erreicht Nikotin unser Gehirn. Dort wird ein uraltes Verhaltensprogramm aktiviert, das Dopamin-Belohnungssystem. Dopamin macht nicht per se glücklich. Vielmehr hat der Neurotransmitter die Aufgabe, uns auf mögliche Belohnungen hinzuweisen. Situationen, die in irgendeiner Form gewinnbringend sind, werden sozusagen durch den Botenstoff „gelikt“ – und dann im Gedächtnis abgespeichert als etwas, das erstrebenswert ist. Nikotin sorgt dadurch nicht nur kurzfristig für gute Gefühle, es verändert auf Dauer auch das Gehirn.
So wie im Übrigen alle Drogen, gleich ob es sich dabei um Nikotin, Cannabis oder Heroin handelt. Obwohl diese Substanzen chemisch rein gar nichts miteinander gemein haben, aktivieren sie dieselbe Nervengruppe, die zentral für die Steuerung unseres Verhaltens ist. Hat der Autopilot der Abhängigkeit einmal die Kontrolle übernommen, ist es nicht mehr möglich, einfach Nein zu sagen. Genau diese Anpassungsprozesse im Gehirn scheinen auch dafür verantwortlich zu sein, dass Menschen empfänglicher für die Wirkung von illegalen Drogen sind, wenn die Hirnchemie schon von übermäßigem Alkoholgenuss und Nikotin geprägt ist.
Welche Faktoren eine Sucht begünstigen
Nicht jede Person, die Suchtmittel konsumiert, ist automatisch abhängig. Für einige Menschen besteht jedoch die Gefahr, die Kontrolle über den Konsum zu verlieren. Die Gründe, warum die angeborene Lust am Genuss zur Krankheit wird, sind vielfältig. Neben Lebenskrisen, genetischen und sozialen Faktoren spielen auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle: Wie gut kann eine Person mit negativen Gefühlen umgehen? Hat sie Selbstvertrauen und ein gesundes Selbstwertgefühl? Besteht eine Neigung zu Depressionen und Angststörungen? Die frühe Behandlung von psychischen Problemen ist somit eine der wichtigen Maßnahmen, um einer Abhängigkeit von Substanzen entgegenzuwirken. Auch Wissen stärkt und hilft, das Risiko von Süchten zu reduzieren und ohne Drogen das Beste aus dem Leben zu machen – samt all seinen Höhen und Tiefen.
OPIOIDE – DROGEN MIT MEDIZINISCHEM POTENZIAL
Interview mit Dr. Rudolf Linkar
Opioide führen zu einer anhaltenden Schmerzlinderung und verbessern so die Lebensqualität von Schmerzpatienten – doch ihr Einsatz sollte gut durchdacht sein, wie Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc, Vorstand der Abteilung für Anästhesie und allgemeine Intensivmedizin am Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin des LKH Klagenfurt, im Interview mit Ypsilon erklärt.
Ypsilon: Wann helfen Opioide und wann nicht?
Dr. Rudolf Likar: Ein Einsatzgebiet, bei denen Opioide zur Anwendung kommen, sind Schmerzen im Rahmen einer Krebserkrankung – im Speziellen auch solche, die mit dem Fortschreiten des Tumors zusammenhängen. Bei nicht-tumorbedingten Schmerzen gehen wir heute nach einer Mechanismen-orientierten Schmerztherapie vor. Das heißt, wir sehen uns an: Welche Form des Schmerzes liegt vor? Es gibt beispielsweise Schmerzen, denen eine Gewebeschädigung zugrunde liegt (= nozizeptive Schmerzen), und solche, die infolge einer Schädigung von Nervenstrukturen entstehen (= neuropathische Schmerzen). Nicht überall helfen Opioide. Bei Nicht-Tumorschmerzen sind diese Substanzen auch nicht die Mittel erster Wahl, sondern kommen erst dann in Frage, wenn herkömmliche Schmerzmittel nicht ausreichend wirken – so etwa bei chronischen Rückenschmerzen, Arthrose, diabetischer Polyneuropathie und der Post-Zoster-Neuralgie.
Ypsilon: Der Einsatz von Opioiden geht mit einem Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial einher. Was sollte man dazu wissen?
Bei der Einnahme von Opioiden entsteht in jedem Fall eine körperliche Abhängigkeit, die jedoch nicht automatisch mit Sucht gleichzusetzen ist. Das Risiko einer Suchtentwicklung entsteht beispielsweise, wenn die Euphorisierung zum eigentlichen Grund wird, Opioide zu nehmen, und die Schmerzlinderung in den Hintergrund tritt. Auffälliges Verhalten – beispielsweise wiederholter Rezeptverlust oder eigenmächtige Dosiserhöhung – gilt als Warnsignal. Generell lässt sich die Suchtgefahr durch gute ärztliche Begleitung und kritische Anwendung eindämmen.
Ypsilon: Worauf gilt es beim Absetzen von Opioiden zu achten?
Wird das Gehirn über längere Zeit mit Opioiden versorgt, so gewöhnt es sich daran. Um die körperliche Abhängigkeit zu überbrücken, sollte eine langsame Dosisreduktion (um 30 Prozent pro Woche) erfolgen. Bei vorsichtigem Ein- und Ausschleichen und aufmerksamer Begleitung der auf Opioide eingestellten Patienten können diese Substanzen ihre volle schmerzstillende Stärke ausspielen – zum Wohle der Patienten. Die medikamentöse Therapie sollte dabei immer nur Teil eines multimodalen Behandlungskonzeptes sein, sie kann psychologische und physiotherapeutische Maßnahmen demnach nur ergänzen.
Autorin: Sylvia Neubauer