![Pfeile / Reinhard Kaspar Tafeln mit Richtungspfeilen auf einem Wanderweg](/img/e5/28/09aaa5f74158639eeb3e/Pfeile-Pfeile_Wandern.jpg)
Pilgern - Eine Reise für die Seele
Pilgern als spirituelle Praxis findet man in vielen Kulturen und Religionen. Christen, Moslems, Juden, Hindus – sie alle pilgern zu ihren heiligen Stätten. Im frühen Christentum haben die Gläubigen solche Reisen unternommen, um Reliquien zu verehren, einen Ablass von Sünden gewährt zu bekommen oder ein Wunder zu erleben. Heute liegt Pilgern voll im Trend. Kaum ein Wanderweg, der nicht als Teil eines großen Ganzen den Vornamen Jakob in sich trägt. Das Ziel des Pilgerweges ist meist immer noch eine sakrale Stätte. Doch die Motivation, dorthin zu wandern, hat sich verändert. Heute ist der Weg selbst mindestens genauso bedeutsam wie das Ziel.
Die Gründe, warum sich Menschen auf eine lange Pilgerreise einlassen, sind vielfältig. Bei den einen ist es die Suche nach der persönlichen Weiterentwicklung, anderen geht es um kulturelle Erfahrungen oder sportliche Herausforderungen, manche suchen Gemeinschaftserlebnisse oder wollen einfach nur eine Auszeit vom Alltag. Pilgern als Kontrapunkt zum Hamsterrad des Lebens, das oft nur nach Erfolg und Geld schreit. Pilgern auf der Suche nach dem Sinn für mein Dasein. Loslassen. Perspektive wechseln. Kraft tanken für Neues. Oft sind es Phasen des Umbruchs, etwa eine Trennung, der Tod eines geliebten Menschen oder die Heilung von einer schweren Krankheit, in denen sich die Menschen auf den Weg machen.
Für andere ist das Pilgern eine Möglichkeit, eine tiefe Verbindung zu Gott zu erfahren – durch Gebet, Meditation und Kontemplation, in der man sich von äußeren Ablenkungen löst und sich auf das Wesentliche konzentriert. Pilgern kann helfen, spirituelle Praktiken wieder zu beleben oder zu vertiefen
Die „heilige Strasse“ nach Mariazell
Die Via Sacra – die „Heilige Straße“ – ist wohl der älteste und auch populärste Wallfahrtsweg Österreichs. Wer diesen historischen Pilgerweg vom Süden Wiens durch den Wienerwald in den Marienwallfahrtsort Mariazell gehen möchte, kann sich grundsätzlich für zwei Routen entscheiden: die Via Sacra oder den Wiener Wallfahrerweg. Die Routen sind etwa 120 Kilometer lang.
Seit über 800 Jahren pilgern einfache Gläubige, aber auch Fürsten und Kaiser auf der Via Sacra nach Mariazell, dem bedeutendsten Wallfahrtsort Mitteleuropas. Die Route führt vom südlichen Stadtrand Wiens über Hinterbrühl, Heiligenkreuz, Hafnerberg, Kaumberg, Hainfeld, Rohrbach, St. Veit, Lilienfeld, Türnitz, Annaberg, Joachimsberg, Josefsberg und Mitterbach nach Mariazell. Unterwegs begegnet man immer wieder Bildstöcken, Kapellen und kunsthistorisch bedeutsamen Kirchen. Spirituelle Stationen sind das Stift Heiligenkreuz, die Basilika Klein-Mariazell, das Stift Lilienfeld sowie die Wallfahrtskirche Annaberg auf dem ersten „Heiligen Berg“ des Ötscherlandes. Die offizielle Beschilderung (gelbe Via-Sacra-Wegweiser) beginnt ab Brunn am Gebirge.
Um den Mariazellpilgern eine Alternative zur Via Sacra zu bieten, entstand ab 1975 der mit Nr. 06 markierte Wiener Wallfahrerweg. Dieser startet bei der Pfarrkirche in Perchtoldsdorf oder bei der Endstation der Linie 60 in Wien-Rodaun. Die Route ist ebenfalls gelb markiert und verläuft bis Kaumberg im Nahbereich der Via Sacra. Dann führt der Weg auf markierten Wegen und Nebenstraßen abseits der historischen Wallfahrerstraße über den Unterberg, Rohr im Gebirge und St. Aegyd am Neuwalde. Zwischen Maria Raisenmarkt und dem Unterberg gibt es einige Wegvarianten, die dem anstrengenden Aufstieg zwischen Araburg und Kieneck ausweichen. Die Strecken können in sportlichen vier bis gemütlichen sechs Tagesetappen gegangen werden – ganz nach individuellem Bedürfnis und Kondition. Auf den Routen gibt es ein umfangreiches Angebot an Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten.
Auf den Spuren des Heiligen Benedikt
Die Vision des Vereines „Benedikt be-WEG-t“ aus St. Paul im Lavanttal in Kärnten ist groß: Ein durchgängiger Pilgerweg auf den Spuren des Hl. Benedikt – von Schottland bis Italien, von der nördlichsten Benediktinerabtei Pluscarden bis zum Mutterkloster der Benediktiner und Grab des Hl. Benedikt in Montecassino.
2009 gedachte man in St. Paul im Lavanttal der Wiederbesiedelung des Benediktinerstiftes vor 200 Jahren. Damals, 1809, zogen Mönche aus dem ehemaligen Chorherrenstift Spital am Pyhrn nach St. Paul in das von Kaiser Josef II. aufgehobene Stift und machten dieses zu einem geistigen und kulturellen Zentrum im kärntnerisch-slowenischen Grenzraum. Die Idee war geboren, diesen Weg nachzubilden. Am Benediktweg trifft man auf besondere spirituelle Orte, wie etwa die Wallfahrtskirche Frauenberg, das Stift Admont, die Abtei Seckau, die Wallfahrtskirche Maria Buch und die Basilika Maria Loreto.
„Die Erfahrung von Spiritualität und Kraft an besonderen Orten, die körperliche Herausforderung und vielleicht auch die Sehnsucht nach Abenteuer, das Bedürfnis nach besonderen Begegnungen und vielleicht auch die Konfrontation mit etwas gänzlich Neuem, das löst bei uns Menschen Faszination aus“, beschreibt Pater Siegfried Stattmann aus St. Paul, einer der Initiatoren des Benediktweges, das Lebensgefühl des Pilgerns. „Ich selbst habe im Pilgern immer wieder Abbilder des eigenen Lebensweges erkannt: das Unterwegssein auf ein Ziel mit Höhen und Tiefen, mit Irrwegen und Umwegen. Dabei habe ich festgestellt, dass die Konfrontation mit neuen Gedanken beflügelt.“
2011 wurde der Benediktweg in Slowenien bis zum ehemaligen Benediktinerkloster Gornji Grad und dann bis nach Goricia an der slowenisch-italienischen Grenze erweitert. Im Norden kam es zum Lückenschluss bis nach Passau, bei dem unter anderem die Stifte Schlierbach, Kremsmünster, Lambach, Wilhering und Engelszell sowie das Kloster Steinerkirchen an der Traun an den Pilgerweg angebunden sind. „Der Einsatz von zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeitern hat es möglich gemacht, dass man heute vom Paulinerkloster Passau durch Oberösterreich, die Steiermark und Kärnten bis zum Benediktinerkloster nach Miren in Goricia auf den Spuren des Heiligen Benedikt von Kloster zu Kloster pilgern kann“, freut sich Pater Siegfried.
Nördlich von Passau führt der Benediktweg bis nach St. Blasien, wo bereits im Jahr 858 erstmals ein Benediktinerkloster erwähnt wurde. Herzstück des Benediktweges ist natürlich die Strecke von Norcia, dem Geburtsort des Heiligen Benedikt, durch Umbrien und Latium zum Mutterkloster der Benediktiner nach Montecassino. Hier folgt der Pilgerweg seinem persönlichen Leben und Wirken in Italien. 30 Jahre lang lebte Benedikt in Subiaco und wurde zum Gründervater des westlichen Mönchstums. Mit Montecassino hat der Weg das historische und kulturelle Zentrum der Benediktiner zum Ziel. Hier verbrachte der Heilige Benedikt seine letzten Lebensjahre und stellte die benediktinische Lehre auf.
Auf den Pfaden der Bibelschmuggler
Einer ganz anderen Spur folgt der Weg des Buches, der von der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich zum Reformationsjubiläum 2017 erweitert wurde. Beginnend in Ortenburg an der Donau in Niederbayern, nördlich von Schärding, führt die Route durch das Salzkammergut, das Dachsteingebiet, über die Kärntner Nockberge bis zur slowenisch-italienischen Grenze nach Arnoldstein/Agoritschach und auf dem Elvine-de-La-Tour-Weg weiter bis nach Triest.
Der Pilgerweg verbindet Natur, Spiritualität und Geschichte. Wer sich auf diesen Weg macht, folgt den Spuren von Geheimprotestanten und Bibelschmugglern in eine Zeit, als es bei Strafe verboten war, eine Bibel zu besitzen. Das wertvolle Schmuggelgut war die deutsche Bibelübersetzung von Martin Luther vor 500 Jahren. Das hatte es zuvor noch nicht gegeben. Viele Menschen lernten erst dadurch lesen und wurden Protestanten – sehr zum Missfallen der katholischen Obrigkeit.
Wie mag es den Schmugglern ergangen sein, die sich mit der Bibel im Gepäck auf den abenteuerlichen Weg machten? Wo erlebten sie Verfolgung, wo Verständnis und Miteinander? Und warum kam es zur Reformation? Wer in die Geschichte des Protestantismus der damaligen Zeit eintauchen möchte, findet die Antworten entlang der Schmuggelrouten an markanten Orten, an denen sie für die Wanderer aufbereitet werden.
Im Museum in Peuerbach kann man die Bibeln in natura bewundern, dazu Fahnen und vor allem die Schellen, die damals bei Gefahr geschlagen wurden, um einander zu warnen. Im Salzkammergut können noch heute Spuren von geheimen Treffen in Höhlen entdeckt werden. Geschichten erzählen von Bibelverstecken in Brunnen, Scheunen und Fässern – oder auch hinter dem Ofen. In der Ramsau steht ein Felsen im Wald, der als Predigtstuhl bekannt ist. Er war Treffpunkt für Gläubige, um Wanderpredigern zuzuhören. Ebenso die Hundskirche in Kärnten, ein mit Zeichen versehener Felsen in der Nähe des Weißensees. Auch hier schützten die Schellen das „hamliche G’läut“ vor Entdeckung.
In Österreich folgt der Weg des Buches in 29 Tagesetappen – fünf Tagen auf dem Rad und 24 Wandertagen – bestehenden Wegenetzen.
Autor: Christian Brandstätter; Verlag Lebensart
Quellen:
www.viasacra.at
www.benedikt-bewegt.at
www.wegdesbuches.eu
www.pilgerwege.at