![Fachgespräch mit Männerarzt / andresr-iStock-1352251583,jpg Gespräch zwischen Patient und Männerarzt](/img/ea/2a/e78013496da3f89b85ca/Fachgespr_ch_mit_M_nnerarzt-andresr-iStock-1352251583.jpg)
Zehn Minuten, die Leben retten können
Würde man einen Mann auf das Wesentliche reduzieren, so bestünde er aus Prostata und Hoden – rein biologisch betrachtet, versteht sich und nicht ohne Augenzwinkern gesagt. Tatsächlich mündet in diesen Geschlechtsorganen alles, was für eine Fortpflanzung notwendig ist – ohne sie gäbe es uns alle nicht. Um diesen Superhelden im Becken feierlich zu huldigen, wären tägliche Lobeshymnen angebracht. In Wahrheit ist oft das Gegenteil der Fall: Das kleine Organ alias Prostata und seine ortsansässigen Kollegen werden gekonnt ignoriert. Man(n) frönt dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ – solange nichts zwickt, muss auch nichts repariert werden, so die irrtümliche Annahme. Keine gute Taktik, denn viele „Männerkrankheiten“ – gutartige wie bösartige – könnten durch eine entsprechende Vorsorge vermieden werden. Es ist Zeit, der Region unter der Gürtellinie entsprechend Aufmerksamkeit zu schenken.
Mitte Fünfzig – sportlich – Krebs
Als sein engster Freund mit der Diagnose Prostatakrebs konfrontiert wird, lässt sich auch Herbert zu einem Check-up überreden. Im Rahmen der Untersuchung wird Blut abgenommen, um das prostataspezifische Antigen, kurz PSA zu bestimmen: Ein Wert unter 3 Nanogramm pro ml (ng/ml) gilt als unauffällig. Bei Herbert liegt der PSA-Wert bei 4,9. Das ist zunächst kein Grund zur Sorge, denn es gilt nicht „je höher der PSA-Wert, desto schlimmer“, sondern „je höher, desto abklärungsbedürftiger“. Wenn sich die Prostata verändert oder das Gewebe gereizt wird, gelangt automatisch etwas mehr PSA ins Blut. Gerät die Prostata unter Druck, kann das die Konzentration des prostataspezifischen Antigens im Serum ebenfalls beeinflussen: Das ist zum Beispiel beim Radfahren der Fall. Auch Herbert – ein leidenschaftlicher Mountainbiker – führt den auffälligen Wert anfänglich darauf zurück. Als der Wert nach drei Monaten immer noch zu hoch ist, rät der Arzt, der Ursache auf den Grund zu gehen. Eine Fusionsbiopsie (ein Verfahren, bei dem man Zusatzinformationen durch moderne Bildgebung erhält) bestätigt den Verdacht: Bei Herbert liegt ein Prostatakarzinom vor.
Prostatakrebs – jeder zehnte Mann ist betroffen
Als Alt-Herren-Problematik abgetan, schob der Mittfünfziger den Gedanken, selbst an einer urologischen Erkrankung zu leiden, stets beiseite. So wie er denken viele: 90 Prozent der Krebspatienten fühlen sich im Allgemeinen gesund und haben nicht das Gefühl, krank zu sein, insbesondere nicht von einem Prostatakarzinom betroffen zu sein. Ein gefährlicher Trugschluss. „Pro Jahr werden etwa 6.000 Prostatakarzinome neu diagnostiziert“, weiß Prim. Priv.-Doz. Dr. Anton Ponholzer, Vorstand der Abteilung für Urologie und Andrologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien. „Damit ist Prostatakrebs bei uns die häufigste Krebserkrankung des Mannes“, so der Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Urologie.
Fakt ist: Jeder dritte Tumor beim Mann ist urologisch, betrifft also Prostata, Hoden, Niere oder Blase. An zweiter Stelle der häufigsten bösartigen Erkrankung des Urogenitaltraktes steht laut Österreichischer Krebshilfe der Harnblasenkrebs mit 1.121 Neuerkrankungen im Jahr 2018. Bei 897 Männern wurde im selben Jahr Nierenkrebs diagnostiziert. Hodenkrebs tritt vorwiegend bei jungen Männern im Alter zwischen 25 und 45 Jahren auf. Peniskrebs betrifft tendenziell ältere Männer zwischen 60 und 70 Jahren. Die gute Nachricht ist: Die meisten Tumore haben eine gute Heilungsprognose. Ponholzer führt exemplarisch den häufigsten Tumor an, den ein Mann in Europa überhaupt bekommen kann: „Beim Prostatakarzinom kann man ganz sicher verhindern, dass ein betroffener Patient daran versterben muss.“ Vorausgesetzt, der Tumor wird früh genug entdeckt. Und genau hier liegt das Problem, wenn Männer nicht zur Vorsorge gehen.
Vorsorge ist (auch) Männersache
Was hinter der Scheu vor weißen Kitteln steckt, darüber kann auch der Facharzt für Urologie und Andrologie nur mutmaßen: „Ich glaube, dass es an der Bequemlichkeit liegt. Solange einem nichts weh tut, muss man sich um nichts kümmern. Aber auch Unwissenheit – wo geht man wann hin – könnte ein Grund dafür sein“, so der Primar. Verlässliche Studien, warum nur ein Bruchteil der Männer Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nimmt, gäbe es nicht.
Fest steht aber: Fast jeder Mann, der erstmalig in einer urologischen Praxis vorstellig wird, erlebt einen Aha-Moment: Das ist ja gar nicht so arg wie befürchtet! Und so ist es auch: Das Schlimmste am Arztbesuch ist die Überwindung, dorthin zu gehen. Alles, was darauffolgt, fällt unter die Kategorie „völlig harmlos“. „Die Vorsorgeuntersuchung beim Urologen umfasst einen Ultraschall von der Niere und von der Harnblase“, erklärt Ponholzer das Prozedere. „Des Weiteren werden der Harn kontrolliert und der PSA-Wert bestimmt. Nach der Beurteilung der äußeren Genitalien wird die Prostata auf mögliche Verhärtungen oder andere Auffälligkeiten abgetastet.“ Und das ist es auch schon gewesen.
Manch einem Mann mag es bei der Vorstellung des erhobenen Fingers die Haare aufstellen. Da hinten? Ja, liebe Männer, über das Rektum führt kein Weg vorbei – das ist die einzige Möglichkeit, um Aufschluss über das werte Befinden der Prostata zu bekommen. Das Bild im Kopf mag gruselig anmuten – die Untersuchung ist es in Wahrheit nicht: „Die Tastuntersuchung über den Enddarm ist gut erträglich und dauert maximal eine Minute“, beruhigt der Urologe. Er empfiehlt Männern „ab dem 45. Lebensjahr zur Vorsorge zu gehen. Die Kontrolle sollte einmal pro Jahr erfolgen, sofern keine Dispositionen vorliegen, die
kürzere Intervalle erforderlich machen.“
Moderne Behandlungsoptionen – mehr Lebensqualität
Im Normalfall winkt der urologische Facharzt heroische „Vorsorge-Absolventen“ nach erfolgter Inspektion durch: „Alles in Ordnung!“, heißt es dann. Werden pathologische Veränderungen im Urogenitalsystem gefunden, so ist das immer ein Schlag ins Gesicht – insbesondere dann, wenn eine Krebsdiagnose im Raum steht.
Keine Frage: Eine dahingehende Nachricht muss mental erst verarbeitet werden – verzweifeln braucht jedoch niemand an ihr. Die moderne Krebsmedizin trägt dazu bei, dass Patienten mehr Lebensqualität gewinnen. Krebs ist heute mit neuen therapeutischen Möglichkeiten immer besser behandelbar und gerade im urologischen Bereich oftmals heilbar. Welche Therapie individuell eingesetzt wird, hängt von der Art des Tumors, der Lokalisation und dem Stadium der Erkrankung ab. Als Entscheidungsgrundlage dienen auch histologische Befunde sowie Biomarker – das sind biologische Merkmale, über die sich eine Krankheit genauer charakterisieren lässt.
Abwarten und nichts tun? Das ist bei Prostatakarzinomen mit geringer Tumorlast und solchen, die nicht aggressiv sind, möglich – viele dieser Tumore werden niemals Beschwerden verursachen. Um einer Übertherapie entgegenzuwirken, gewinnen defensive Strategien wie die „aktive Überwachung“ immer mehr an Bedeutung. „Es gibt gutartig differenzierte Karzinome, die man beobachten kann“, bestätigt Ponholzer. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen, um zu überprüfen, ob sich der Tumor verändert hat, seien in diesen Fällen ausreichend. Doch selbst wenn behandelt werden muss, stehen schonende Therapieverfahren zur Verfügung – etwa die Bestrahlung der Prostata oder eine Operation. Die meisten Patienten würden sich für letztere entscheiden, so Ponholzer. „Früher gefürchtete Folgen wie bleibende Inkontinenz sind heute kein Thema mehr“, kann er Männern eine häufige Angst nehmen.
In den OP bittet der daVinci-OP-Roboter. Was ein bisschen nach Science-Fiction klingt, ist in vielen Operationssälen längst zur Routine geworden. Der Chirurg steht nicht mehr am Operationstisch, sondern sitzt vor einer Konsole, von der aus er den Eingriff steuert – unterstützt von einem Kollegen aus Stahl. Das daVinci-Operationssystem kombiniert die Vorteile der minimal-invasiven Chirurgie mit High-Definition-3D-Visualisierungstechniken. Die Vorteile:
Ein präziseres Arbeiten und eine schnellere Rekonvaleszenz.
Auch Herbert geht es wieder gut. Heute, fünf Jahre nach der Operation, ist er vollständig genesen – kehrt nämlich innerhalb dieses Zeitraums der Krebs nicht zurück, gilt man als geheilt. Nachwirkungen hat er keine mehr, Herbert steht wieder mitten im Leben, Radrundfahrten inklusive. Eine Botschaft hat er für all jene, die vor einem Arztbesuch zaudern: „Augen zu und durch!“
Autorin: Sylvia Neubauer