Der Friede sei mit euch!
Ist eine Verteidigung mit Waffen aus christlicher Sicht moralisch gerechtfertigt?
Kann eine gewaltfreie Konfliktlösung überhaupt funktionieren?
Die Verteidigung mit Waffen ist aus christlicher Sicht nur unter bestimmten
ethischen Bedingungen gerechtfertigt. In der Bergpredigt führt uns Jesus Verhaltensweisen vor Augen, die Unrecht abwehren und zwischenmenschliche
Gewalt überwinden helfen. Wir Christen sollen durch unser Tun und unser Miteinander-Leben den Anbruch der Gegenwart Gottes, den Anbruch seines Reiches sichtbar machen:
„Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“
(Mt 5, 48)
Dass die Welt, in der wir leben, nach wie vor voll Gewalt ist und militärische Gewalt
zur Durchsetzung politischer Ziele ohne Rücksicht auf das Wohl der Menshcen eingesetzt wird, das erfahren wir gerade jetzt, angesichts dieses Krieges
mitten in Europa. Hier gibt es das Recht, sich einem ungerechten Aggressor entgegenzustellen und die Bevölkerung und die staatlichen Institutionen zu verteidigen, auch unter der Anwendung rechtmäßiger, unbedingt notwendiger Gewalt. Gewaltfreie Möglichkeiten der Konfliktlösung wie Dialog, Verhandlungen und politische sowie wirtschaftliche Maßnahmen Dritter konnten den Krieg bislang
nicht beenden. Für eine gewaltfreie Konfliktlösung müssen bei beiden Parteien
die Grundvoraussetzungen gegeben sein: der gute Wille, Kompromissbereitschaft
und die Bereitschaft, den Standpunkt des anderen anzuerkennen. Eine dauerhafte Beendigung von Konflikten ist nur dann möglich, wenn auch die Konfliktursachen beseitigt werden können.
Elisabeth Birnbaum, Direktorin des österreichischen Katholischen
Bibelwerkes
„5. Du sollst nicht töten. 7. Du sollst nicht stehlen. 9. Du sollst nicht
begehren deines Nächsten Haus.“ (Die 10 Gebote, 2.Buch Mose)
Die zehn Gebote aus dem Alten Testament sind so etwas wie die ethische
Wertebasis unseres Glaubens. Was tun wir als Christen, wenn diese Werte so
dramatisch verletzt werden, wie dies gerade im Ukraine-Krieg der Fall ist?
Die sogenannten Zehn Gebote bilden so etwas wie grundsätzliche Rahmenbedingungen für ein gelingendes Miteinander. Deshalb haben sie in der gesamten Bibel großes Gewicht. Wenn diese Rahmenbedingungen so grundlegend missachtet werden wie derzeit im Ukraine-Krieg, lässt das fassungslos und entsetzt zurück. Für Christinnen und Christen ist der schnelle Ruf nach Aufrüstung und militärischen Gegenschlägen problematisch. Nicht erst im Neuen Testament, auch im Alten Testament wird Gewalt nur im äußersten Fall und auch dann nur im
geringstmöglichen Ausmaß toleriert. Die Bibel erzählt wiederholt von Bedrohungen durch scheinbar übermächtige Aggressoren, seien es die Assyrer, die Philister oder die Babylonier. Die biblischen Prophetinnen und Propheten mahnen in solchen Situationen zu zweierlei: Zum Ersten: Das Vertrauen und die Hoffnung ausschließlich auf Gott zu setzen und damit anzuerkennen, dass letztlich alle menschlichen Bemühungen begrenzt sind. Und zum Zweiten: Dennoch nicht
in Verzweiflung und Resignation zu verfallen, sondern selbst alles zu tun, was
(in Abstimmung mit Gottes Willen) getan werden kann.
Mose, David, Judit, Ester, Stephanus, Jesus und viele andere zeigen auf unterschiedliche Weise, wie das geschehen kann: durch Flucht, durch eine mutige Tat, durch Verhandlungsgeschick und manchmal sogar durch Verzicht auf
Gegenwehr. Allen gemeinsam ist die unerschütterliche Hoffnung auf Gott, die
Kraft und Mut gibt, in scheinbar ausweglosen Situationen einen Weg zu finden
und zu versuchen, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen.
Gabriele Neuwirth, Vorsitzende des Verbandes katholischer Publizistinnen
und Publizisten Österreichs
„Du sollst nicht lügen.“ (Die 10 Gebote, 2. Buch Mose)
Worte und Bilder in den Medien beeinflussen den Krieg. Wie erkennen wir
Kriegspropaganda und wie gehen wir als Christen mit denen um, die mit falschen
Botschaften den Krieg rechtfertigen, verharmlosen und auch noch anheizen?
Ein Krieg ist ein Waffentest, sind viele überzeugt. Er soll in den Waffenarsenalen
Platz schaffen für neue Waffen. Das klingt primitiv, es ist primitiv. Wer den Waffentest namens Krieg will, muss Verbündete suchen, die sich instrumentalisieren lassen. Dort, beim Waffengeschäft, wo ungeheuer viel Geld unterwegs ist, gibt es die beste PR-Maschinerie mit den besten Fachleuten.
Wo skrupellose Lügen zum Geschäft gehören. Lügen, die im Kleid hehrer
Ziele daherkommen: Vaterland, Freiheit, Demokratie und Kampf gegen Unmenschlichkeit. Dass beispielsweise der Irak-Krieg auf der Giftwaffen-Lüge
beruhte, hat der Verbreiter dieser Lüge, der damalige US-Außenminister Powell,
2005 zugegeben.
Ein seriöser Journalismus überprüft sorgfältig die Quellen jeder Nachricht.
Ist das nicht möglich, muss dieser Mangel offengelegt werden. Und auf nicht authentisches Bildmaterial verzichtet werden. Das gilt für jene, die Nachrichten produzieren. Und für jene, die die Nachrichten konsumieren und sich als christlich verstehen.
Also: Aufpassen, ob ich mir nicht ein mediales Glump reinziehe! Weil es so
bequem ist. Aktiv seriöse Nachrichten suchen. Wissen, dass die Nachrichten
über die Social-Media-Kanäle wie Twitter, Facebook oder Instagram besonders
anfällig für propagandistische Fake News sind.
Mutig im privaten und im öffentlichen Kreis denen widersprechen, die offensichtlich ihre Ansichten aus Schlammquellen beziehen.
Gemeinsam überlegen: Wem nützt die Message in Text und Bild, wer kassiert
ab, wer vergrößert seine Macht dadurch?
Michael Prohazka, Vizerektor des Collegium Orientale in Eichstätt
„Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden!“ (Röm 12,18)
Der Patriarch von Moskau und Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche Kyrill
bezeichnete die Gegner Russlands als „Kräfte des Bösen“ und rief die russischen Soldaten wiederholt zum Kampf auf. Er steht mit seinen Aussagen vollkommen im Widerspruch zu den Aussagen von Papst Franziskus, der den Krieg auf das Schärfste verurteilt. Darf ein Vertreter einer christlichen Kirche aus christlichen Motiven zum „Krieg gegen das Böse“ aufrufen? Welche Auswirkungen
hat dieses Verhalten auf die christliche Ökumene?
An meiner Arbeitsstelle, dem Collegium Orientale in Eichstätt, stammt gut die
Hälfte unserer Studenten aus der Ukraine, darunter sind auch fünf Studenten,
die der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche/Moskauer Patriarchat angehören. So
erlebe ich tagtäglich die ganze Katastrophe dieses furchtbaren Krieges und es
geht nicht spurlos an mir vorüber. Es mag viele Gründe für das Verhalten des Patriarchen von Moskau geben und es wurde auch viel darüber geschrieben.
Offenkundig zeigt sich hier eine für uns westlich denkende Christen ungesunde
und gefährliche Interdependenz von Staat und Kirche in Russland, die bestimmte
Ziele verfolgt. Wir fragen uns alle zurecht, ob hinter einer solchen Haltung tatsächlich christliche Motive stecken und was das alles mit der Ukraine zu tun haben soll. Und wenn tatsächlich eine ernsthafte Sorge um die christliche Gesellschaft und ihre Werte dahinterstecken sollte, kann das niemals zur Rechtfertigung einer solch militärischen Invasion herhalten. Patriarch Kyrill wäre besser beraten gewesen, eine Solidarität mit allen Menschen guten Willens zu suchen und zu einer friedlichen Lösung beizutragen, auch auf die Gefahr eines Amtsverlustes oder dergleichen hin.
In Bezug auf die Ökumene sehe ich eine Isolierung des Patriarchen innerhalb
der orthodoxen Kirchen. Für die ökumenischen Beziehungen untereinander
sehe ich eine große Herausforderung: Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass alle Kirchen durch Klugheit und Weisheit einen Beitrag leisten können, dass eine friedliche Lösung dieses Krieges doch noch möglich wird.
Pete Hämmerle, Internationaler Versöhnungsbund
„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
(Bergpredigt, Mt 5,9)
Was können wir konkret tun, um angesichts des Krieges in der Ukraine Frieden zu stiften? In der Bergpredigt preist Jesus unter anderen diejenigen selig, die Frieden
stiften (Mt 5,9) und die keine Gewalt anwenden (Mt 5,5). Er spricht darin nicht zu den Mächtigen seiner Zeit, sondern zu den „Vielen“, einfachen Menschen, die sich für seine Botschaft interessieren und ihm nachfolgen wollen. Und er ist hier ganz klar: Glückseligkeit, Gotteskindschaft und gutes Leben im Land werden denen zugesprochen, die sich aktiv, schöpferisch und gewaltfrei um Frieden, Gerechtigkeit und die Integrität der Schöpfung bemühen. Jede und jeder von uns kann daran teilhaben und mitwirken, im persönlichen Bereich genauso wie in Gesellschaft und Politik. Was können aktive Gewaltfreiheit und Pazifismus angesichts des aktuellen Krieges in der Ukraine bedeuten und bewirken? Sie sind nicht als „Dogma“ zur Belehrung gedacht, was „andere“ tun müssten oder sollen, sondern ein Angebot, wie mit Konflikten anders als mit Gewalt umgegangen werden kann. Konkret bedeutet Frieden stiften in dieser Situation für mich, selbst gegen Krieg aufzutreten – immer und überall, weil Krieg unermessliches Leid und
Schaden zufügt – und die Menschen in der Ukraine, aber auch in Russland zu
unterstützen, die gewaltfrei Widerstand gegen den Krieg leisten und nicht
mittun wollen. Das sind beispielsweise Aktivistinnen und Aktivisten, Wehrdienstverweigerer und Deserteure, Journalistinnen und Journalisten, Künstlerinnen und Künstler und viele einfache Menschen, die unter Gewalt leiden und vielfach vor ihr flüchten müssen. Solche Menschen sind es, die
von Jesus seliggesprochen werden – diejenigen, die Waffen liefern, Militärbudgets
erhöhen oder Kriege rechtfertigen, werden hingegen nicht erwähnt.