
Wie das Auto unser Leben verändert hat
Wussten Sie, dass der Verkehr immer mehr wird, obwohl wir gleich lang unterwegs sind? Das Reisezeitbudget, also die Zeit, um in die Arbeit oder in die Schule zu kommen oder einzukaufen, liegt seit vielen Jahrzehnten konstant bei etwa einer bis eineinhalb Stunden pro Tag. Das zeigen langjährige Forschungen. Kurios, oder? Die Zahl der Wege einer Person pro Tag bleibt konstant, nur die Weglänge nimmt zu. „Es gibt ein Verkehrswachstum, aber kein Mobilitätswachstum“, bestätigt auch Ulrich Leth, Verkehrsexperte an der Technischen Universität Wien.
Der Siegeszug des Autos …
Die Geschwindigkeit, in der wir heute leben, hat zugenommen. Die Züge fahren schneller, ja, wir gehen heute sogar viel schneller als noch vor einigen Jahrzehnten. Einen wesentlichen Anteil daran hat das Auto und dessen Aufstieg zu einem bequemen, individuellen Verkehrsmittel für alle. Es hat die Art und Weise, wie wir leben und wie wir unterwegs sind, in nur wenigen Jahrzehnten völlig umgekrempelt. Als Kind, vor rund 50 Jahren, habe ich die Milch mit einer Kanne von einem kleinen Laden im Ort geholt, den ein Bauer selbst betrieben hat. Es gab einen Schuster, einen Gemischtwarenhändler, drei Lebensmittelhändler, einen Bäcker und fünf Wirtshäuser. Heute wachsen die Einfamilienhäuser mit Doppelgaragen wie die Schwammerl auf den Hügeln rund um das Zentrum. Geblieben ist der Bäcker, ein Wirt und ein Supermarkt mit großem Parkplatz.
Man geht auch nicht mehr einkaufen, man fährt! Und zwar zu den HoferBillaSparLidlLutzLeinerMöbelixObi-Tempeln an den Einfahrtsstraßen der nahen Stadt. Und weil es im Ort immer weniger Arbeitsplätze gibt, müssen wir in die nächste Stadt oder noch weiter zur Arbeit fahren. Weil alle fahren, sind viele Straßen hoffnungslos überlastet. Der Ruf nach neuen Straßen oder dem Ausbau der alten wird immer lauter und bislang auch zumeist gehört. Neue Straßen ziehen zusätzlichen Verkehr an, an den neu erschlossenen Straßen siedeln sich neue Einkaufszentren an, die wieder nur mit dem Auto erreichbar sind.
… und wie es unser Leben verändert hat
Wir können uns ein Leben ohne eigenes Auto kaum mehr vorstellen. Vor allem am Land hört man immer wieder, dass es ohne Auto gar nicht gehe. In nur wenigen Jahrzehnten hat es das Auto geschafft, uns völlig abhängig zu machen. Abgesehen davon fressen Anschaffung, Betrieb und Erhalt einen ziemlichen Brocken des Haushaltsbudgets.
All das akzeptieren wir auch, weil das Auto nach wie vor ein Statussymbol ist. Ein bequemes erweitertes Wohnzimmer, das mit ausgefeilter Technologie ein lustvolles und angenehmes Reisen ermöglicht und das Gefühl vermittelt, im eigenen Takt unterwegs zu sein.
Das Auto hat nicht nur die Einkaufs- und Arbeitswelt verändert, sondern auch eine neue Freizeitindustrie beflügelt. „Komm‘ ein bisschen mit nach Italien“, trällerte der deutsche Schlager in den 1950er Jahren. Heute wälzt sich jeden Sommer eine Blechlawine quer durch Europa bis „ans blaue Meer“. Im Winter werden unsere Gebirgstäler heimgesucht, wenn wir „am Freitog auf’d Nocht die Schi aufs Auto“ – wohin sonst – montieren.
Auch die Natur leidet
Für Straßen und Parkplätze haben wir in Österreich bereits eine Fläche von rund 2.080 Quadratkilometern versiegelt. Zum Vergleich: Vorarlberg ist mit 2.600 Quadratkilometern nicht wesentlich größer. Wir verlieren damit nicht nur wertvolle Flächen, die uns eigentlich ernähren sollten, sondern zerschneiden auch den Lebensraum für wildlebende Tiere. „Wir sind es den kommenden Generationen schuldig, beim Flächenfraß die Notbremse zu ziehen“, betont der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung Kurt Weinberger bei jeder Gelegenheit. Denn wir Österreicher sind Weltmeister beim Zubetonieren.
Darüber hinaus blasen wir durch unsere Autos große Mengen an Kohlendioxyd in die Luft. In Österreich kommt knapp ein Drittel der klimaschädlichen CO2-Emissionen vom Verkehr. Auch hier sind wir weltmeisterlich unterwegs. Kein einziges Abkommen zum Klimaschutz wurde bislang eingehalten. Seit 1990 sind die Treibhausgase aus dem Verkehr sogar um 75 Prozent gestiegen. Die Corona-Pandemie brachte mit minus 13,5 Prozent eine kurze Trendwende. Doch mittlerweile haben wir schon wieder das Niveau von 2019 erreicht, wahrscheinlich sogar übertroffen.
Dann steigen wir halt auf Elektroautos um
Wenn wir das Klima stabilisieren wollen, müssen diese Emissionen gegen Null heruntergefahren werden, und zwar sehr rasch. In nur wenigen Jahren sollte uns das gelingen. Aber wie? Die einfachste Antwort: Wir stellen auf elektrischen Antrieb um! Und gleich haben wir ein Thema, über das wir leidenschaftlich streiten können, über geringe Reichweiten, böse Batterien, schmutzigen Atomstrom und vieles mehr.
Fakt ist, dass wir die Benzin- und Dieselkarossen nicht einfach eins zu eins gegen Elektroautos tauschen werden können. Das hätte wenig Einfluss auf den viel zu hohen Ressourcenverbrauch, den wir im Sinne der Klimaziele reduzieren müssen.
Fakt ist aber auch, dass die Elektroautos ein Teil der Lösung sein werden. Nicht nur Autos, die mit Strom fahren, sondern generell elektrische Antriebssysteme. Denn auch die E-Bikes haben gezeigt, dass sie alltagstauglich sind und durchaus Autofahrten ersetzen können.
Mobilität für Ältere?
Eine immer größer werdende Gruppe von Menschen leidet unter dem Rückbau der regionalen Infrastruktur ganz besonders: Menschen, die heute 80 Jahre und älter sind. Sie waren es ihr ganzes Leben lang gewohnt, mit dem Auto mobil zu sein. Und dann kommt plötzlich der Moment, wo das nicht mehr geht, weil die Konzentration nachlässt, die Augen schlechter werden, die Gelenke nicht mehr mitmachen oder weil das Auto für eine kleine Pension einfach zu teuer ist.
Im Ort selbst gibt es keinen Arzt mehr, keine Apotheke, kein Lebensmittelgeschäft. Mit dem Auto waren die vier Kilometer in den Nachbarort kein Problem, aber was jetzt? Das Angebot im öffentlichen Verkehr am Land ist nicht gerade dafür ausgelegt, dass man schnell einmal Medikamente holen kann. Abgesehen davon, dass ältere Menschen, die nie in ihrem Leben mit den Öffis unterwegs waren, mit Fahrplänen heillos überfordert sind. Hier auf die Regierung zu warten, ist wohl zu wenig. Was es braucht, sind engagierte Menschen in Gemeinden und auch in den Pfarren, die das Problem erkennen, die richtigen Schlüsse daraus ziehen und Lösungen anbieten.
Neue Lebenswelten schaffen
Die größte Herausforderung für eine nachhaltige, klima- und menschenfreundliche Mobilität liegt nicht in der Umstellung des Antriebssystems, sondern in der Art und Weise, wie wir unsere Städte und Dörfer gestalten. Sie bieten den Rahmen dafür, ob wir nachhaltig leben können oder nicht. Hermann Knoflacher, Professor emeritus am Institut für Verkehrsplanung, plädiert für einen Umbau der Ortschaften und Städte in „Lebensräume, in denen die lokale Wirtschaft wieder Arbeitsplätze in kleinen Strukturen einrichten und erhalten kann, die befriedigend sind und das Geld in der Nähe kreisen lassen“. Dörfer und Städte sollten so gestaltet werden, dass es dort „schöner und interessanter ist als in den Industrieanlagen des Massentourismus.“ Wenn das letzte Geschäft den Ort verlassen hat und der letzte Wirt zusperrt, kommt auch das soziale Leben zum Erliegen. Wo trifft man sich dann noch zum Tratschen oder auf ein Bier am Abend?
Ulrich Leth fordert darüber hinaus eine Verbesserung im öffentlichen Verkehr. Denn die bisherige Verkehrsplanung konzentrierte sich auf Verbindungen für den motorisierten Verkehr: „Wer Straßen baut, wird (Auto-)Verkehr ernten. Wer Radwege baut, wird Radverkehr ernten. Wer Linien öffentlicher Verkehrsmittel errichtet, Fahrpläne verdichtet, bequeme Züge und Busse, Bedarfsverkehr wie Anrufsammeltaxis und Gemeindebusse anbietet, wird Fahrgäste ernten. Die Regierung muss sich daran messen, wie sie die Abhängigkeit vom Auto reduzieren und gleichzeitig die Mobilität der Menschen sicherstellen kann.“
Katharina Roggenhofer, die Initiatorin des Klimavolksbegehrens, zeichnet ein Bild, wie sie sich die Zukunft vorstellt: „Ich lebe in einer grünen Stadt, voller Natur. Es spielen Kinder auf der Straße, es gibt genug Platz für Radfahrer*innen, die Luft ist
gut. Wir kommen gemütlich und angenehm mit dem Fahrrad, dem Bus, dem Zug von A nach B, der Strom kommt vom Dach, alle Häuser werden zu kleinen Kraftwerken. Wohnungen werden so geplant, dass die Menschen wieder zusammenkommen können, Familien sitzen und essen draußen, Lebendigkeit liegt in der Luft.“
Autor: Christian Brandstätter. Lebensart-Verlag