Begeistert im glauben
Klaus Salzmann ist Mitte dreißig, als er ohne erkennbaren Anlass in eine tiefe Krise schlittert. Verheiratet, Lehrer für Deutsch und Französisch, engagiert in den örtlichen Vereinen. Ein Mann, der fest im Leben steht. Oder doch nicht? „Mir ist plötzlich bewusst geworden, dass ich Themen wie Leid, Tod und Sterben immer ausgeklammert habe. Dass ich Gefahr laufe, zum Vereinsmeier zu werden. Ich habe begonnen zu hinterfragen, ob ich wirklich der bin, der ich in all meinen Rollen vorgebe zu sein“, erinnert sich Salzmann heute, rund dreißig Jahre später. Er habe „ein Signal vom Leben“ bekommen, tiefer zu schürfen. Es ist diese Glaubens- und Identitätskrise, die Salzmann schließlich motiviert, sich im Pfarrgemeinderat seiner
Heimatpfarre in Saalfelden und in der Seniorenbetreuung zu engagieren.
„Mein damaliges Motto war: ‚Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.‘ Diese soziale Dimension meines Glaubens hat mich sehr begeistert. Ich bin darin ziemlich aufgegangen.“ Einige Jahre später stellt sich der Pinzgauer abermals existenzielle Fragen und stößt auf die Bücher des Franziskanerpaters Richard Rohr. „Eine Offenbarung“, sagt der 64-Jährige. „Rohrs geistliche Reden über authentisches Mannsein haben das verbalisiert, was in mir an Gedanken da war. Ich hatte die Erkenntnis: Ich bin der, der ich in Gott bin. Das hat mich sehr befreit und begeistert.“
Erfahrungen mit anderen Männern teilen
In Salzburg lernt Klaus Salzmann die Katholische Männerbewegung kennen, er initiiert Männergruppen und macht eine Männerreferentenausbildung. Er fühlt sich darin von Gott geführt und hat den starken Wunsch, seine tiefen spirituellen Erfahrungen mit anderen Männern zu teilen. „So eine Erfahrung kann man nicht für sich behalten, man muss darüber reden. Ich war ganz durchdrungen von der Idee, mich mit anderen Männern auf den Weg zu machen. Ich wollte, dass auch andere diese Erfahrung machen.“ Salzmann spricht Männer in seinem Umfeld an. Dass sich nicht alle von ihnen ähnlich wie er begeistern lassen, ist für ihn schmerzlich. „Ich musste lernen, deswegen nicht in die Resignation zu gehen. Es ist ein Fehler, die Richtigkeit unseres Verhaltens rein am Erfolg zu messen. Ich bin froh, dass sich zumindest einige darauf einlassen.“ Heute trifft er regelmäßig sieben, acht Männer in einer Männergruppe, mit denen er sich über den Glauben und das Leben austauscht.
Viele haben es erlebt: Brennt man für etwas, will man auch andere dafür gewinnen. Es ist urchristlich, die eigenen Erfahrungen im Glauben nicht für sich zu behalten. „Wer den Glauben als wertvoll erfahren hat, wird dazu bewegt, ihn mit anderen zu
teilen“, sagt Willibald Sandler, Professor für Dogmatik an der Universität Innsbruck. „Wenn ich auf diese Weise glaubend in Beziehung zu anderen Menschen komme, ist das ein Anzeichen dafür, dass ich vom Heiligen Geist erfüllt bin. Würde ich die innere Bewegung für mich behalten, versickert das, was ich empfangen habe.“
Echte Begeisterung, kein ungedeckter Scheck
Für Sandler beschreibt „erfüllt vom Heiligen Geist“ treffend, was mit „Begeisterung“ im Glauben gemeint sein kann. Weniger Freudentaumel oder permanentes High-Gefühl, dafür offen zu sein für den Geist Gottes, der Verbindung herstellt: zu Gott,
den jeweiligen Mitmenschen, der Schöpfung und zu sich selbst. Genau das zeige auch der biblische Befund: „Begeisterung kommt als Begriff in der Bibel kaum vor. Der Referenzbegriff für das, was wir mit ‚begeistert‘ meinen, ist eher der Ausdruck
‚erfüllt vom heiligen Geist‘, wie es das Lukasevangelium von Elisabet und Zacharias sagt und von Simeon und Hanna bezeugt wird. Ihre prophetischen, aufbauenden Worte seien untrennbar verbunden mit einer tiefen Einfühlung für die Menschen, denen sie gerade begegnen und denen sie Segen zusprechen. So kommt es zu Marias ‚Magnificat‘ und zum ‚Benedictus‘ des Zacharias. Das ist eine Begeisterung, die echt ist, kein ungedeckter Scheck.“ Vom Geist erfüllt zu sein, könne sich auf unterschiedlichste Weise äußern: Ein Mensch, der auf einmal richtig zuhört. Eine
gute Gelegenheit ergreifen, mit der Tochter über ein schwieriges Thema zu sprechen. „Gott ist es, der dabei innerlich bewegt, der Mensch nimmt die Bewegung wahr und macht mit. Dieses Mitmachen kann man üben.“
Treu bleiben auf den Durststrecken
Das kann der Niederösterreicher Peter Hamedinger bestätigen. Der Marketingmanager beschreibt die Bewegung des Heiligen Geistes als innere Stimme, die sich – meist leise – bei ihm zu Wort meldet. „Diese innere Stimme zieht sich durch in meinem Leben. Im privaten Leben, aber auch beruflich. ‚Lass dir Zeit,
beruhige deine Emotionen‘ sagt sie mir, wenn ich mich in der Arbeit zu sehr aufrege.“ Was die Begeisterung in seinem Glaubensleben betrifft, hat der 55-jährige Familienvater oft erlebt: „Es braucht meine Willensentscheidung, dann stellt sich die
Freude ein. Auch dann, wenn ich Gott nicht wahrnehmen kann und keine großen Gefühle habe, versuche ich dranzubleiben.“ Der Gottesdienstbesuch am Sonntagvormittag zum Beispiel habe ihn in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Überwindung gekostet. „Wenn ich aber auch auf den Durststrecken treu bleibe, werde ich immer irgendwann reich beschenkt und die Glut in mir wird wieder neu entzündet.“ Einem emotionsgetriebenen Glauben kann Hamedinger wenig abgewinnen. „Freude, Begeisterung, Hoffnung begegne ich heute vor allem in Ruhe und Stille.“ Auch wenn sich die Gottesbeziehung in Gefühlen nicht erschöpft, sind Emotionen für den Theologen Willibald Sandler in der Kirche und im persönlichen Glauben nicht zu vernachlässigen. „Ohne Emotionalität geht es nicht. Leider haben viele Menschen nicht gelernt, ihre Gefühle frei auszudrücken.“ Freude Wut, Zorn oder Trauer: Gefühle dürfen und sollen in einem ersten Schritt wahrgenommen und anerkannt werden. Dann könne man sie vor Gott „bewegen“, bis sie sich in eine kraftvolle, körperlich geerdete Hoffnung wandeln. Oft, so Sandler, müsse man sich auf die Suche nach verloren gegangenen Emotionen begeben. „Aber kein Mensch ist völlig ohne Gefühle. Wie in einer Wüstenlandschaft kann man auch in der eigenen Lebenslandschaft, die gefühlsarm scheint, die Spuren des Lebendigen suchen und finden.“
Mehr da, als man unmittelbar spürt
Das geschehe nicht nur mit angenehmen Gefühlen. Dass man als gläubiger Mensch ununterbrochen begeistert, im Sinne von freudig gestimmt ist, sei unrealistisch. „Begeisterung im Glauben kann man nicht beliebig bewahren“, sagt Sandler. Im Laufe eines Lebens verliere und finde man sie immer wieder. Sich dieser Tatsache bewusst zu sein, verhindere, sich und anderen Druck zu machen, wie man fühlen sollte. „Durch die Erwartung, dass man sich als Christ doch freuen muss, wird einem die Spontaneität ausgetrieben.“
Auch wenn die großen (positiven) Gefühle im Glaubensleben abgeflaut sind, heiße das nicht automatisch, dass man die Verbindung zu Gott und den Mitmenschen verloren hat. „Wenn kein Feuerschein mehr sichtbar ist, kann dennoch eine Glut verborgen da sein. Oft ist mehr da, als man unmittelbar spürt.“ Für den Theologen sind Bibel und Liturgie die Hauptquellen für jene, denen im Glauben die Begeisterung abhandengekommen ist. Dass gerade die Liturgie für viele kaum anziehend und erfüllend ist, gibt er zu. „Oft erscheint sie so vertrocknet, dass sie abstößt, und kann in ihrer Dichte vom einzelnen nicht ausgepackt werden. Liturgie ist wie die Rose von Jericho, diese vertrocknete Pflanze, die auflebt, wenn man sie ins Wasser legt. Dieses Wasser ist die Bewegung des Heiligen Geistes.“ Gottesdienste, in denen sich alle Anwesenden als aktiv Mitfeiernde erleben, Bibelgruppen, in denen das Wort Gottes miteinander betrachtet wird, Gemeinden, die viel Wert auf die Gestaltung der Eucharistiefeier legen. Das alles bereite den Boden für „Kairos-Momente“, Gnadenmomente, in denen das Wirken Gottes spürbar wird.
Menschen gezielt ansprechen
Es ist das Anliegen von Stefan Stampler, dass es genau solche Momente in den Gottesdiensten und im Pfarrleben gibt. Der 46-jährige Steirer aus Wundschuh bei Graz ist Liturgieverantwortlicher und Kirchenmusiker in seiner Pfarre und weiß: „Vor allem über die Musik lassen sich viele Menschen begeistern. Da kann man viel bewirken.“ Gerade für junge Menschen sei das gemeinsame Musikmachen eine Möglichkeit, um in der Pfarre anzudocken. Das freut Stampler, dem die Jugend am Herzen liegt, besonders: „Mir ist wichtig zu vermitteln, dass die Kirche nicht verstaubt und altmodisch ist, keine lästige Pflicht, wie sie das früher für viele war. Das ist auch ein Grund, warum ich heuer wieder eine Firmgruppe übernehmen werde.“
Stampler legt viel Wert auf niveauvolle Gottesdienste. Mit guter Predigt, schöner Musik, ansprechender liturgischer Gestaltung. „Der Gottesdienst muss für die Menschen einen Mehrwert bieten, sonst kommen sie nicht. Sie sollen merken, dass sich da jemand Gedanken gemacht hat.“ Das, wovon er selbst begeistert ist, will der IT-Unternehmer an andere weitergeben. Ohne einzelne Menschen gezielt anzusprechen, funktioniere das seiner
Erfahrung nach aber kaum. „Von selbst kommt niemand. Auch allgemeine Aufrufe wie ‚Wir suchen jemanden für …‘ bringen wenig. Wenn ich aber, zum Beispiel für den Kirchenchor, Leute mehrmals frage, ob sie mittun wollen, sagen sie vielleicht irgendwann ja. Und dann macht es ihnen Spaß.“ Mit Absagen, wenn man andere anspricht und einlädt, müsse man rechnen.
Trotzdem: So viele würden gern etwas Sinnvolles machen, freuen sich über Anerkennung und Vertrauen. „Man muss den Menschen eine Aufgabe geben, dann kann man sie gewinnen.“
Autorin: Sandra Lobnig: LebensArt-Verlag