Gib alles ausser auf
Kaineder ist auch Mitglied des KMB-Vorstandes der Diözese Linz.
Ypsilon sprach mit ihm über seine sehr lebendige Kirche.
Ypsilon: Wenn du dich bitte kurz unseren Leserinnen und Lesern
vorstellst!
Ferdinand Kaineder: Also, ich werde heuer 65 Jahre alt und wohne mit meiner Familie in Kirchschlag in Oberösterreich. Ich bin verheiratet, habe drei Kinder und drei Enkelkinder. Ich bin ausgebildeter Coach und PR-Berater, Theologe und Autor. Bis 2009 leitete ich das Medienbüro in der Diözese Linz, danach – bis 2019 – das Medienbüro der Ordensgemeinschaften Österreich. In meinem Leben habe ich sehr viel mit Obdachlosen gearbeitet, als Pastoralassistent, als Ausbildungsleiter, als Kommunikationsleiter und Internetbeauftragter der Diözese. Das Gehen und das ökologisch-nachhaltige Reisen sind meine Leidenschaft.
Ypsilon: Du leitest immer wieder spirituelle Wanderungen. Welche Erfahrungen machst du dabei?
Die Erfahrungen sind selbst für mich als Guide immer wieder beglückend und nährend. Beim Gehen allein oder in Gruppen kommt dir das Leben entgegen. Zu einem guten gemeinsamen Gehen gehört, dass man das Ziel immer wieder vor Augen hat und es bei längeren Wegen immer wieder über das Imaginieren hereinholt. Es braucht eine gute „Gehschwindigkeit“. Bei mir ist das bergauf eine Schweißperle auf der Stirn. Den Zusammenhalt stellen wir uns als „inneres mentales Gummiringerl“ vor. Das kann sich dehnen und lässt viel Freiheit, reißt aber nie ab.
Keiner soll hinten oder vorne „rausfallen“. Als Guide fördere ich eine geteilte Verantwortung in und für die Gruppe. Jede und jeder ist für alles mitverantwortlich und bringt das eigene Können und die eigene Erfahrung in die „Gehmeinschaft“
ein. Das lässt die Gespräche selbst tragend werden. Pausen, Trinken und Durchatmen strukturieren den Weg und die Begegnungen. Schweigen gehört dazu. Gutes Essen und das aufkeimende gemeinsame Singen öffnen die Gemüter. Gute Gedanken als Impulse streue ich immer wieder passend ein, sicher zu Beginn am Morgen.
Ypsilon: Papst Franziskus hat alle Katholikinnen und Katholiken zu einem gemeinsamen Pilgerweg, zum synodalen Prozess eingeladen, um eine neue Form kirchlichen Lebens zu finden. Wie wird sich die KAÖ einbringen?
Wir werden uns aktiv am synodalen Prozess beteiligen und mit „wir“ meine ich alle Gliederungen der KAÖ: Jungschar, Jugend, Männer, Frauen, Arbeitnehmer*innen, alle, die in der KA in den Diözesen organisiert sind. Es braucht mutige Schritte, damit dieser Prozess auf Augenhöhe geführt wird und nicht zu einer Hinhaltetaktik oder gar einem Verzögerungsinstrument für Reformen wird.
Ypsilon: Um welche Themen wird es da gehen?
Paul Zulehner, der geistliche Assistent der KAÖ, hat aus einer Internet-Umfrage fünf Schwerpunkte herausgelesen, die wir bündeln in „Ökologie und Mitweltgerechtigkeit“, „Arbeit und soziale Fairness“, „Geschlechtergerechtigkeit und Leitungskultur“, „Partizipation und Mitsprache“ sowie „der Weg zum Frieden“. Dazu werden wir prägnante Themendossiers erarbeiten. Weitere Themen wie Pflege, Bildung, Migration und Flucht, Wandel und Transformation, Wirtschaft und Arbeit sowie Kirche der nächsten Generation sollen sukzessive dazukommen.
Ypsilon: Was ist dabei das Ziel?
Wir wollen in diesem Prozess eine ungeschminkte Wahrnehmung der gesellschaftlichen wie kirchlichen Wirklichkeiten erreichen, den kritischen Blick von außen und jenseits kirchlicher Milieus einbeziehen und Fremdes als Bereicherung sehen. Dazu wird es viele offene Gespräche zu Grundfragen wie „Was bewegt dich?“, „Wo siehst du die Zukunft (der Kirche)?“ und „Wer ist Kirche heute eigentlich?“ geben. Wir gehen davon aus, dass Papst Franziskus nicht einfach die Kleruskirche meint, sondern die Getauftenkirche.
Ypsilon: Papst Franziskus hat immer wieder ein genaues Hinhören eingefordert. Du hast das auch persönlich aufgegriffen und dein Handy im Advent auf Zuhörmodus geschalten. Was haben dir die Menschen erzählt, was brennt ihnen unter den Fingern?
Da könnte ich jetzt lange erzählen. Das geht von der verlorenen Glaubwürdigkeit bis hin zur Mutlosigkeit der Bischöfe. Sie sollten endlich mutig zumindest das tun, was kirchenrechtlich möglich ist. Zentral ist die Rolle der Frau und der männliche
Klerikalismus, der lieber in der Sakristei bleibt und die Welt in ihren Notlagen meidet. „Die Priester picken sich oft nur die schönen Seiten heraus und lassen die Laien die Drecksarbeit machen“, meinte eine etwa 50-jährige Frau. In den Pfarren brenne es nicht, die Reformanliegen bekämen keinen Platz mehr. „Zu brav sind alle geworden und arbeiten an der Systemerhaltung.“ „Macht Krach“, hat der Papst gefordert. Davon ist ganz wenig zu spüren. Das Neue selbst wird hinausgezögert und wer das Neue bringen will, wird gemieden. „Da bist du schnell zum Außenseiter gemacht“, so ein Anrufer.
Ypsilon: Welche Herausforderungen würdest du aus diesen ganz persönlichen
Gesprächen ableiten?
Als Kirche, Pfarren und KA-Gruppierungen sollten wir Freiräume für neue Begegnungen aufmachen. Da meine ich wirklich Pfarrhöfe und Pfarrzentren. In unserem Bergdorf haben über hundert Menschen einen Schlüssel, um darin aktiv sein zu können. Dann sollten wir auf Menschen aktiv zugehen, die von ihrer Sache wirklich begeistert sind. Das muss im ersten Anflug gar nicht kirchlich sein. Mut zu ganz neuen Menschen, die Überraschungen bringen. Eine Gruppe von Veganern hat beispielsweise die KHG Salzburg nachhaltig belebt. Wichtig erscheint mir, alles in Beziehung zu denken. Alles ist mit allem verbunden. Raus aus der jeweiligen Bubble. Wenn Probleme da sind, dann sind sie aus meiner Erfahrung zu neunzig Prozent hausgemacht, kommen also von innen. Der Blick auf Jesus und das neue gemeinschaftliche Handeln, wie es zu Pfingsten gefeiert wird, richten auf. Über meinem Schreibtisch hängen zwei Spruchkarten: „Gib alles außer auf“ und „Du musst dein Ändern leben“. Lasst Musik erklingen, bespielt Bühnen, setzt euch in Bewegung und tut Soziales. Das sind die Felder leidenschaftlichen Lebens.
Ypsilon: Und wie geht es mit dem synodalen Prozess weiter?
Bis April 2022 werden wir die fünf Dossiers zu den oben angeführten Themen erstellen. Auf Diözesanebene sind vielfältige Initiativen im Gange. Grundsätzlich müssen wir es schaffen, nicht mehr in Hierarchien zu denken, sondern in Netzen und Kooperationen. Der kooperativ-partizipative synodalen Weg hat erst begonnen. Die erste Jesusbewegung war darin daheim und wir hoffen, in diesem Sinne wieder heimwärts zu wandern. Es ist ein gemeinsames Gehen. Und genau das taugt mir. Der Weg geht vom bisherigen Mitarbeiten und Mitentscheiden zum selbstbestimmten Arbeiten und Entscheidung-Treffen aus der gemeinsamen Taufe. Alle sind wir König*innen, Prophet*innen und Priester*innen. Alle.
Ypsilon: Viele befürchten, dass vieles, was im Prozess ans Licht kommt, schnell wieder in den vatikanischen Schubladen verschwinden wird. Wie siehst du das?
Ja, innerhalb der KAÖ-Gliederungen besteht tatsächlich die Sorge, dass die in den letzten Jahrzehnten bereits mehrfach eingebrachten innerkirchlichen Reformanliegen erneut nicht gehört werden. Viele sehen aber auch eine Chance, ihre Anliegen einzubringen und auf Umsetzung zu pochen. Beispielsweise kommt heute das Frauenthema aus dem Vatikan selbst. Aus meiner Sicht wird es ganz wesentlich sein, dass das Kirchenrecht an die Erfordernisse einer selbstverständlichen Geschlechtergerechtigkeit angepasst wird. Wir sollten das Kirchenrecht nicht an der Mittellinie entlang lesen, sondern an den Randlinien und dort und da darüber hinaus. Das ist nicht Ungehorsam, sondern Weite im Denken und Handeln.
Ypsilon: Im März sind Pfarrgemeinderatswahlen und da kommen Strukturen und Machtverteilung in der Kirche wieder ins Gespräch. Du bist sehr stark in deiner Pfarre engagiert. Was würde die Arbeit der Männer und Frauen unterstützen, die sich in der Pfarre engagieren?
Wir haben über zehn Jahre die Pfarre in unserem Bergdorf als Pfarrgemeinderat geleitet. Ja, alles gemeinsam entschieden. Diese „beratende“ Funktion muss ersatzlos gestrichen werden und die Priester ganz normal in die „Entscheidungsgemeinschaft“ hereingenommen werden. Der Pfarrer kann nicht tun, was er will. Sein Amt ist gebunden an den Dienst der Einheit mit dem Bischof und seiner Gemeinde, die im PGR ihre Entscheidungen trifft. Kirchenrecht hin oder her. Viele Priester sehen und handeln ohnehin so. Und genau dieses Gestalten ist für Jugend, Frauen und Männer spannend, wenn sie wirklich in die volle Verantwortung gehen können, oftmals ohnehin müssen. Das ist keine Notlösung, sondern die Dauerlösung. Die Wirkmacht liegt bei den Getauften. Daran sollten wir jede und jeden einzelne*n immer wieder erinnern. Autokratisch klerikale Männer mag selbst der Papst nicht.
Ypsilon: Wie gelingt bei euch die Zusammenarbeit von Pfarrer und Pfarrgemeinderat?
Die Laien haben sich die Pfarre nie nehmen lassen. Das hat sich über Generationen erhalten. Und heute sind wieder Junge da, die Wortgottesfeiern und Kinder- und Familiengottesdienste halten oder die Pfarre mit einer Generalmandatsträgerin in Selbstverwaltung führen. Darin hat mich Bischof Kräutler immer wieder ermutigt: „Wartet nicht, bis ein Priester kommt. Tut.“ Das lege ich uns allen ans Herz. Und die Priester werden dann „mitgenommen“.
Ypsilon: Welche Kirche wünscht du dir am Ende deiner Funktion als KA-Präsident und darüber hinaus?
Eine große Frage für eine kurze Zeit. Ermutigung möchte ich ausstrahlen und betreiben, der größten gemeinsamen Vielfalt Platz verschaffen. In der ehrenamtlichen Leitungsaufgabe klar und transparent agieren. Das Trübe ausleuchten mit allen Konsequenzen. Hinhören und stärken. Lieber eine verbeulte
und dreckig gewordene Kirche als eine reine und saubere. Es ist wie beim Gehen: Wer nicht vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke. Habt Mut und schöpft Vertrauen.
Interview: Christian Brandstätter, LebensArt-Verlag
Information zum synodalen Prozess:
In jeder Diözese gibt es ein „offenes Ohr“ für die Anliegen im synodalen Prozess. Bringen Sie Ihre Gedanken ein.
Über die Website www.kaoe.at ist unser ganzes Team gut und einfach erreichbar.
Tel. 01 51611 1600; E-Mail office@kaoe.at