
Das Kreuz mit dem Kreuz
Die Zahl der Menschen mit Rückenschmerzen hat im vergangenen Jahrzehnt um ein Drittel zugenommen. Wie kann man diesem Volksleiden vorbeugen?
Unsere Vorfahren hatten es leichter. Denn die Wirbelsäule war ursprünglich für vierfüßige Bewegungsabläufe konstruiert. Durch die Aufrichtung in eine Horizontallage wird sie anders belastet. Damit ist das Rückgrat anfälliger für Funktionsstörungen und Schmerzen. Obgleich Neandertaler, Australopithecus
und Co das Dasein ebenfalls schon im aufrechten Gang fristeten, hatten sie im Vergleich zum Homo sapiens zwei entscheidende Vorteile: Zum einen waren sie bei ihrer Jagd nach Säbelzahntigern um einiges aktiver, zum anderen hatten sie eine deutlich geringere Lebenserwartung. Der heutige Mensch bedient sich einer Reihe an industriellen Möglichkeiten, die seinen natürlichen Bewegungsumfang deutlich dezimieren. Die steigende Lebenserwartung begünstigt zudem natürliche Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule. Stress, Bewegungsarmut und Fehlbelastungen tun ihr übriges: De facto leiden in Österreich 1,9 Millionen Erwachsene unter chronischen Rückenschmerzen. Viele davon wären durchaus vermeidbar.
Bewegungsarmut ist Hauptrisikofaktor für Rückenschmerzen
„Jugend schützt nicht vor Schmerzen“, sagt Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft. Der Leiter der Abteilung Neurologie am Salzkammergut-Klinikum weist darauf hin, dass „das Schmerzgeschehen in jeder Altersgruppe im zweistelligen Prozentbereich liegt, auch bei den unter 30-Jährigen.“ Den traurigen Spitzenplatz nehmen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule ein. „Österreich ist ein Kreuzwehland“, bestätigt Mitrovic und bezieht sich damit auf eine repräsentative Gesundheitsbefragung der Statistik Austria. Bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten und Patientinnen können die Schmerzen im Rücken keinem konkreten Auslöser wie beispielweise einem Bandscheibenleiden zugeschrieben werden – bis zu 90 Prozent sind unspezifisch.
Tatsächlich ist es so, dass die rückenansässigen Muskeln eine wesentliche Stütz- und Pufferpunktion erfüllen. Sind sie unzureichend trainiert, können sich Verspannungen und Schmerzen manifestieren. Auch die Bandscheiben protestieren bei Fehlbelastungen und körperlicher Inaktivität. Dazu sollten Sie wissen: Die Bandscheibe ist auf ein Wechselspiel zwischen Be- und Entlastung angewiesen. Bewegungsarmut lässt die Bandscheiben quasi aushungern – sie bekommen zu wenig Nährstoffe und verlieren an Elastizität. In Folge werden die Bandscheiben anfälliger für degenerative Erkrankungen.
Die Wirbelsäule mag es ausgewogen
Einseitige Belastungen in Beruf oder Freizeit wirken sich negativ auf die Wirbelsäule aus. Krankenpfleger müssen zum Beispiel häufig Zwangshaltungen mit vorgebeugtem Oberkörper einnehmen. Auch Schwingungen, etwa beim Führen von Erdbaumaschinen, können die Bandscheiben belasten – ebenso das
Heben, Tragen oder Bewegen schwerer Lasten. Um degenerativen Prozessen entgegen zu wirken, sollten Bewegungselemente in den Alltag integriert werden. Es gilt speziell das zu trainieren, was im Arbeitsalltag zu kurz kommt. Für jemanden, der den ganzen Tag über sitzt, ist ein gezieltes Krafttraining sinnvoll.
Arbeitnehmer, die einen bewegungsintensiven Beruf ausüben wie Tischler oder Installateure, sind mit ausgleichenden Dehnübungen und Ausdauersport gut beraten.
Tipps für einen starken Rücken
Richtig sitzen: Der menschliche Körper ist nur für zwei Dinge nicht gebaut: Für langes Stehen und für langes Sitzen. Die Zeit, die man auf dem Allerwertesten verbringt, sollte daher möglichst kurz bemessen sein. In der Praxis ist das nur selten der Fall: Wir sitzen. Oft stundenlang. In der Arbeit und zu Hause. Im Schnitt verbringen wir 9,3 Stunden pro Tag auf dem Sessel. Zum Missfallen der menschlichen Wirbelsäule. Besonders statisches Sitzen – also das stundenlange Verharren in einer bestimmten Position – setzt ihr zu. Um die Druckbelastung auf das Gewebe zu reduzieren, gilt es verschiedene Sitzpositionen einzunehmen. So kann man beispielsweise kurz nach vorne geneigt sitzen, anschließend aufrecht, dann wieder zurückgelehnt. Auch die Beine können unterschiedlich belastet und zwischenzeitlich ausgestreckt werden. „Sitzmöbel, welche die Möglichkeit bieten,
Mikrobewegungen zuzulassen, bringen ebenfalls mehr Dynamik in das Sitzen“, rät Prof. Dr. Bernhard Schwartz BSc, MSc, Forschungskoordinator an der FH für Gesundheitsberufe in Oberösterreich, beispielsweise auf Hockern Platz zu nehmen. Wichtig ist es auch, das Sitzen regelmäßig zu unterbrechen. Spätestens nach einer Stunde sollte man aufstehen und sich die Füße vertreten – idealerweise im Freien.
Richtig heben und tragen: Große Gewichte sollten immer möglichst körpernahe gehalten werden. Je weiter die Last vom Körper entfernt ist, umso größer ist die Belastung für den Rücken. Nutzen Sie vor allem die Beine und auch die Arme zum Heben – jedoch nicht das Kreuz. Ein abruptes Anheben von Gewichten mag zwar imponierend aussehen, belastet den Rücken aber zusätzlich. Aus diesem Grund sollten Lasten immer möglichst gleichmäßig angehoben werden.
In Bewegung bleiben: Sportarten, die sich günstig auf die Rückengesundheit
auswirken, sind unter anderem Radfahren, Schwimmen, Wandern und Wintersportarten wie Langlaufen. Besonders das Nordic Walking, eine Variante des zügigen, sportlichen Gehens mit unterstützendem Einsatz von Stöcken, stärkt
die Rumpfmuskulatur. Letztendlich sind es aber vor allem der Spaß und die damit einhergehende Regelmäßigkeit, die zu langfristigen Erfolgen und einer Linderung beziehungsweise Vorbeugung von Rückenbeschwerden führen.
Tiefenmuskulatur stärken: Eine besondere Bedeutung erfährt die sogenannte Tiefenmuskulatur. Yoga und Pilates trainieren diese Muskelregion und fördern nebenbei die körperliche und mentale Regeneration.
Faszientraining: Faszien verleihen dem Körper Kontur, Halt und Form. Von der Funktionsweise lässt sich das nahezu durchsichtige Bindegewebe durchaus mit einer Frischhaltefolie vergleichen. Legt man zwei Stücke inhaltslos übereinander, verkleben die Teile augenblicklich. Sie werden unbenutzbar. Ähnlich verhält es sich beim menschlichen Bindegewebe: Je weniger elastisch die Faszien sind, desto anfälliger sind wir für Muskelverhärtungen und Schmerzen. Besonders übel nehmen sie uns Bewegungsmangel, Überlastung und Fehlhaltung. Und: Faszien sind sehr kommunikative Zeitgenossen. Vergleichbar mit einem Telekommunikationsnetz stehen sie über Nervenendigungen miteinander in Verbindung. Und so kann es schon einmal vorkommen, dass eine verklebte Wadenfaszie zu Rückenschmerzen oder Bewegungseinschränkungen in der Schulter führt. Die Faszien kann man mit Hilfe von festen Schaumstoffrollen trainieren. Doch auch hüpfende und federnde Bewegungen stehen beim bindegewebsartigen Gewebe hoch im Kurs. Erinnern Sie sich noch an Kindheitszeiten, in denen Sie von einem Bein auf das andere sprangen und sich dabei eines natürlichen Faszientrainings bedienten? Wie wäre es mit einem Revival?
Energie fließen lassen: Ist es bereits ein Kreuz mit dem Kreuz, so bringen Massagen meist Linderung, indem Blockaden gelöst werden. Es gilt das Prinzip: Kleine Ursache, große Wirkung. Bereits laienhafte Partnermassagen können schmerzhafte Verspannungen lockern. Eine Rückenmassage mit Lavendel- und
Rosmarinöl wirkt gleichermaßen entspannend wie durchblutungsfördernd.
Gerade bei vorübergehenden punktuellen Rückenschmerzen sorgt häufig banales Handauflegen auf die betreffende Stelle für Linderung. Eine heiße Rolle oder
Kirschkernkissen gelten als effektiv gegen Verspannungen im Nacken.
Text: SYLVIA NEUBAUER, LebensArt-Verlag
Wussten Sie dass …
… psychische Belastungen häufig Ursache für Rückenschmerzen
sind? Eigentlich hat die Natur gut „mitgedacht“.
Ein erhöhter Muskeltonus soll den Organismus auf Gefahrensituationen vorbereiten. Bei Stress kommt es zu einer Anspannung der Muskeln und zu einer Verkrampfung des oberen Rückens. Bei mangelnder Regeneration bleibt die Anspannung bestehen. Die Folgen: Die Schmerzen strahlen in den Nacken aus und können sich weiter über die gesamte Kreuzregion ausbreiten.
… Spannungskopfschmerzen im Rücken entstehen?
Langes Sitzen und eine schlechte Haltung sind zwei von vielen Ursachen für Verspannungen. Permantente Verspannungszustände können die Schmerzempfindlichkeit der perikranialen Muskulatur erhöhen und so Spannungskopfschmerzen auslösen.
… Rauchen Rückenprobleme verursachen kann? Ja, richtig gelesen! Der blaue Dunst belastet nicht nur Kreislauf, Herz und Lunge, sondern auch die Wirbelsäule. Forscher der Universitätsklinik Heidelberg und des Mannheimer Instituts für Public Health, Sozial- und Präventivmedizin fanden heraus, dass ehemalige und aktive Raucher anfälliger für Rückenbeschwerden sind. Ursache dafür: Nikotin verengt die Blutgefäße. Dadurch werden die Knochen schlechter versorgt, die Knochendichte ist vermindert.
… der Mensch abends 1,5 bis 3 Zentimeter kleiner ist?
Warum das so ist? Tagsüber verlieren die Bandscheiben an Flüssigkeit, wodurch die Zwischenwirbelabstände kleiner werden.
… „Lümmeln“ dem Rücken manchmal ganz gut tut?
Erinnern Sie sich noch an Sätze wie „Setz dich gerade hin!“? Eine von schottischen und kanadischen Forschern durchgeführte Studie wird Sie erstaunen. 22 Probanden wurden mithilfe einer Kernspintomografie untersucht.
Das Fazit: Das Rückgrat und die Bandscheiben waren in der aufrechten Position am meisten belastet. Wenn sich die Probanden zurücklehnten, verringerte sich die Belastung.