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Enkeltauglichkeit?
Welche Welt wollen wir nachkommenden Generationen hinterlassen? Wie können Herausforderungen wie der Klimawandel, Schuldenberge und ein funktionierendes Pensionssystem bewältigt werden? Auch wenn sich Generationenbeziehungen wandeln und die Generationen – abgesehen von der Familie – eher nebeneinander als miteinander leben: Eine lebenswerte Zukunft gibt es nur, wenn Jung und Alt an einem Strang ziehen.
Tilman Voss wusste bereits vor Pensionsantritt, dass er seinen Ruhestand alles andere als ruhig verbringen wollte. Nur Rad fahren und Bücher lesen? Die Aussicht darauf war dem Niederösterreicher zu wenig. „Ich will etwas tun“, dachte er sich. Dann: „Ich muss etwas tun.“ Fürs Klima nämlich. Umweltschutz war dem ehemaligen Pharmaforscher immer schon ein Anliegen. Dass mittlerweile weltweit abertausende junge Menschen auf die Straße gehen und Maßnahmen zum Klimaschutz fordern, beeindruckte ihn. Auf diesen Zug wollte der Mittsechziger aufspringen. „Voriges Jahr habe ich deshalb die ‚Grandparents for future‘ gegründet“, erzählt Voss, dessen eigene Enkelkinder noch zu klein sind, um für mehr Klimaschutzmaßnahmen zu demonstrieren.
Wie ihre jungen Mitstreiter von „Fridays for Future“ machen auch die „Grandparents“ auf die Klimakrise aufmerksam und wollen die Politik zum Handeln bewegen. Voss bezweifelt nicht, dass es bei einer globalen Herausforderung wie dem Klimawandel den Einsatz aller – der Alten und der Jungen – braucht. So würden das auch die Jugendlichen sehen. „Die Jungen finden es cool, dass wir dabei sind. Je mehr wir sind, desto besser.“ Schuldzuweisungen von Seiten der Jugendlichen, dass die ältere Generation mit ihrem Lebensstil für die globale Erderwärmung mitverantwortlich sei und schon früher etwas gegen die Umweltausbeutung hätte tun können, gebe es dabei nicht, sagt Voss. Zeit und Energie wende man für andere Diskussionen auf: „Im Moment beschäftigt uns die Frage, wie wir vermitteln können, dass Klimaschutz nicht in erster Linie Verzicht bedeutet.“
Kaum Überschneidungen zwischen den Generationen
Jung und Alt, die, wie hier im Kampf gegen den Klimawandel, an einem Strang ziehen: Ein schönes Bild. Aber ein seltenes. Die Beziehungen zwischen den Generationen sind nämlich in der Regel gar nicht so innig, sagt der Soziologe und Gerontologe Franz Kolland. Oder anders formuliert: Es gibt sie kaum. „Über die Familie hinaus gibt es wenige Gelegenheiten des intergenerationellen Austausches. Die Generationen leben nebeneinander, haben aber auch keine großen Konflikte.“ Die Jüngeren tummeln sich auf digitalen Plattformen wie TikTok, die etwas Älteren kämpfen mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und wer schon aus der Erwerbstätigkeit ausgeschieden ist, genießt die gewonnene Freiheit und das Leben. Überschneidungen gebe es kaum und würden auch nicht unbedingt gewünscht, sagt Kolland. Er bringt ein Beispiel aus der digitalen Welt: „Ältere Menschen, die sich auf TikTok bewegen, bekommen dort ihre Abreibungen. Da heißt es dann: Was wollt ihr hier? Lasst uns in Ruhe und geht auf Facebook!“
Transfer-Umkehr
Dieses Nebeneinander wandelt die Generationenbeziehungen, wie wir sie bisher kannten. „Historisch war es immer so, dass die ältere Generation etwas an die jüngere weitergibt“, sagt Kolland. Werte, Bildung, Tradition, Materielles: Der Transfer ging stets von oben nach unten, von den Alten zu den Jungen. Das verändere sich, in manchen Bereichen seien bereits die Jungen die Experten. Bei der Digitalisierung zum Beispiel. „Da holen sich dann die sechzigjährigen Babyboomer etwas von der Generation X, also die Alten von den Jüngeren“, sagt Kolland. „Nicht umgekehrt. Kaum ein Junger wird sich von seinen Eltern zeigen lassen, wie TikTok funktioniert.“ Ähnliches gilt für das Thema Ökologie. Es sind Vierzehn-, Fünfzehn-, Sechzehnjährige, die aufzeigen, wie dringlich die Klimakrise ist, die ihre Eltern und Großeltern zum Handeln motivieren. Die Jungen machen ihr eigenes Ding. Und inspirieren dabei mitunter die, die ihnen an Jahren und Erfahrung voraus sind.
Gibt es also gar nichts mehr, was die Jungen von der Eltern- und Großelterngeneration lernen können? Doch, sagt Franz Kolland. Mehr sogar als das vor zwanzig oder dreißig Jahren der Fall war. „Es gibt heute viel weniger Fronten zwischen den Jungen und den Alten. Die Kinder nehmen mehr von ihren Eltern an. Sie schauen sich ab, wie die Eltern Beziehungen gestalten, wie sie Freizeit und Arbeit leben, wie sie Kinder erziehen.“ Mit den Großeltern hätte die junge Generation oft ein herzliches, emotionales Verhältnis. Von ihnen würden sie „Social Skills“ wie Gelassenheit oder Humor lernen. Der Transfer von oben nach unten funktioniere also immer noch. Wenn auch anders als früher.
Generationenkonflikt: Ja, aber ungewollt
Generationen, die eher nebeneinander als miteinander leben, Großväter, die sich von ihren Enkeln in die digitale Welt einführen, und junge Mütter, die sich in Erziehungsfragen von ihren eigenen Eltern beraten lassen: Nach Generationenkonflikt klingt das alles nicht. Gibt es sie überhaupt, die viel beschworenen Kämpfe zwischen Alt und Jung? Wo sind die Fronten im „Krieg gegen die eigenen Kinder“, von dem der US-Ökonom Laurence J. Kotlikoff spricht? Auf welchen Schlachtfeldern werden die Auseinandersetzungen um ökologische Fußabdrücke, Ressourcenverteilung, Schuldenberge und Pensionsansprüche ausgetragen? „Feindseligkeit im eigentlichen Sinne gibt es nicht“, sagt Walter Osztovics vom Wiener Beratungsunternehmen Kovar und Partners. Das Unternehmen führte 2015 mit der „Arena Analyse“ eine Studie durch, bei der Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen fachlichen und gesellschaftlichen Bereichen zum Thema „Generationen-Fairness“ befragt wurden. Von offener Feindseligkeit ist dort nicht die Rede, wohl aber von einem „Krieg“, der ungewollt stattfindet. „Wir sind in Strukturen gefangen, die es uns enorm schwer machen, so zu leben, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern keine Hypotheken hinterlassen“, sagt Osztovics. „Ich glaube, dass sehr wohl ein Bewusstsein vorhanden ist, unsere Welt in jeder Hinsicht nachhaltiger zu gestalten, aber wir scheitern sehr oft an der Praxis.“
Zugesicherte Pensionen, die für die Jungen nicht mehr finanzierbar sein werden, rücksichtsloser Raubbau an unserem Planeten, gigantische Schuldenberge, nicht erst seit Corona: Für diese komplexen Probleme gibt es eben keine einfachen Lösungen. Osztovics veranschaulicht das am Beispiel der Pensionen: „Wir wissen, dass die Pensionssysteme in Österreich und in den meisten Ländern Europas überfordert werden, wenn die Menschen weiterhin so früh in Pension gehen. Aber dass so viele Menschen schon mit sechzig in Pension gehen, ist in den weitaus meisten Fällen nicht egoistische Rücksichtslosigkeit, sondern traurige Notwendigkeit. Sie finden keinen Job mehr, sie werden von ihren Arbeitgebern mehr oder weniger unsanft in den Ruhestand geschickt.“
Generationen-Fairness
Eine Reform des Pensionssystems müsse deshalb mit einer Reform des Arbeitsmarktes einhergehen. Dass Menschen in Zukunft auch über sechzig oder fünfundsechzig arbeiten werden, steht für Osztovics außer Frage. Weil sie es selbst wollen und weil die Gesellschaft ihre Potenziale nutzen will und muss. Wissen, Erfahrungen und Ressourcen all jener über sechzig würden verschwendet und unnötig brachliegen, wenn nicht erkannt wird, wie wertvoll sie für die Gesellschaft sind. „Bei typischen Consulting-Jobs gibt es bereits heute nicht wenige, die über siebzig sind und die ganz viel Erfahrung mitbringen.“
Welche Maßnahmen auch immer für ein funktionierendes Pensionssystem getroffen werden, es sei nicht sinnvoll, diese mehrheitsdefiniert festzulegen. Also jene bestimmen zu lassen, die mehr Macht oder mehr Stimmen haben. Vielmehr sollten Überlegungen und Lösungsansätze stets im Sinne einer Generationen-Fairness gestaltet werden. Walter Osztovics erklärt: „Wir müssen unsere Institutionen, unsere Gesetze, unsere Politik so anpassen, dass sie weder zu Lasten der Alten noch zu Lasten der Jüngeren gehen.“ In der „Arena Analyse“ heißt es dazu: „Generationen‐Fairness entsteht also einfach dann, wenn wir die berühmte Goldene Regel über ein halbes Jahrhundert hinweg anwenden und uns fragen: ‚Würde es uns gefallen, wenn unsere Großeltern uns eine Welt hinterlassen hätten, die so aussieht wie die, die unsere Enkel vorfinden?‘“
Unsere Pflicht, die Erde zu schützen
Zwar nicht von Generationen-Fairness, wohl aber von generationenübergreifender Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den Generationen spricht auch Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“, die sich dem Umweltthema und der Bewahrung der Schöpfung widmet. Der Papst spart darin nicht mit Kritik an rücksichtslosem Verhalten, das das Wohlergehen der nachkommenden Generationen nicht im Blick hat. Gegenwärtiges Handeln müsse immer die Konsequenzen für jene berücksichtigen, die jung oder noch gar nicht geboren sind. Für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Erde bedeutet das: „Jede Gemeinschaft darf von der Erde das nehmen, was sie zu ihrem Überleben braucht, hat aber auch die Pflicht, sie zu schützen und das Fortbestehen ihrer Fruchtbarkeit für die kommenden Generationen zu gewährleisten.“
Dahinter steht die Idee, dass den Menschen die Erde als Geschenk anvertraut ist und die gegenwärtigen Generationen dafür Sorge tragen müssen, dass auch die nachfolgenden dieses Geschenk empfangen können. Gelingen könne das nur im Dialog miteinander: „Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln interessieren und betreffen uns alle.“
Für Menschen wie Tilman Voss verwirklicht sich dieses Miteinander im gemeinsamen Engagement von Jung und Alt gegen den Klimawandel. „Jeder von uns trägt einen Mosaikstein bei“, sagt Voss. Die Fähigkeiten der Jugendlichen und der „Grandparents“ würden sich ergänzen, man lerne voneinander. „Die Jugendlichen haben Teamarbeit echt drauf. Wir Älteren haben vielleicht manchmal aufgrund unserer Lebenserfahrung einen breiteren Blickwinkel.“ Was den Umgang mit den sozialen Medien betrifft, lernt Voss von den Jungen hingegen sehr viel Neues. Und sein Bekanntenkreis hat sich innerhalb kürzester Zeit vergrößert. „Ich kenne jetzt tausend Leute. Und zwar alle per Zoom.“
Autorin: Sandra Lobnig, LebensArtverlag
Begriffserklärung Generationen
Generation: Was ist das überhaupt?
Großeltern, Eltern, Kinder: Am häufigsten wird der Generationenbegriff im Kontext von Familie gebraucht. Gesellschaftlich und sozialpolitisch ist er in diesem Sinne sehr bedeutsam, weil der Transfer von Bildung, Beratung, Hilfeleistung in der Familie sehr ausgeprägt ist.
Pensionen:
Wenn von Pensionen die Rede ist, unterscheidet man zwischen zwei Generationen – denen, die Pensionen beziehen, und denen, die sie finanzieren.
Von der Nachkriegsgeneration zur „Generation Greta“:
Zuschreibungen wie Babyboomer, Nachkriegsgeneration oder Generation X meinen kulturelle Generationen, die Werthaltungen oder Einstellungsmuster teilen.