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Schafe, nicht Hirten!
„Als ich das Dokument zu lesen begann, war ich zunächst begeistert“, erzählt Andreas Maria Jakober, Geistlicher Assistent der KMB Österreich. „Begriffe aus den Dekreten des 2. Vatikanischen Konzils, Aussagen der Päpste Paul VI, Johannes Paul II und Franziskus ergeben mit einem analytischen Blick auf die heutige Situation in Kirche und Gesellschaft ein ermutigendes Skriptum.“
Unter anderem ist zu lesen, dass „die Pfarrgemeinde dazu aufgerufen ist, eine echte und eigene Kunst der Nähe zu entwickeln“ und „Vorgehensweisen und Modelle sind zu fördern, durch die alle Getauften kraft der Gabe des Heiligen Geistes und der empfangenen Charismen sich aktiv einbringen“.
Weiters sei es „notwendig, sowohl eine Konzeption der Pfarrei, die auf sich selbst bezogen ist, als auch eine Klerikalisierung der Pastoral zu überwinden“.
Zu lesen ist von einer „Einladung an die Pfarrgemeinden, sich zu öffnen, uns Instrumente für eine auch strukturelle Reform anzubieten, die sich […] an einem neuen Stil der Zusammenarbeit, der Begegnung, der Nähe, der Barmherzigkeit und der Sorge für die Verkündigung des Evangeliums orientiert“.
Weiters steht geschrieben: „Die Erneuerung der Evangelisierung bedarf neuer Achtsamkeit und passender Initiativen verschiedener Art, damit das Wort Gottes und die Sakramente alle in einer Weise erreichen, die der jeweiligen Lebenssituation der Menschen entspricht. […] Es wird die Aufgabe der Hirten sein, diese Dynamik zu erhalten, damit alle Getauften entdecken, dass sie aktive Protagonisten der Evangelisierung sind.“
Wie aus einem anderen Dokument
Im zweiten Teil des Schreibens werden die Vorschläge der pastoralen Umkehr der Pfarrgemeinde dann konkret. „Ich war fassungslos und dachte zuerst, ich lese in einem anderen Dokument weiter“, erzählt Jakober. Kern der Botschaft ist, dass die Leitung in allen Belangen beim Pfarrer bleiben muss.
„Wegen ihres Hirtendienstes sind der Pfarrer und andere Priester zusammen mit dem Bischof an erster Stelle der grundlegende Bezugspunkt für die farrgemeinde. […] Ein Gläubiger muss die Priesterweihe empfangen haben, damit er gültig zum Pfarrer ernannt werden kann. Wer sie nicht hat, kann, auch nicht im Falle des Priestermangels, weder den Titel noch die entsprechenden Funktionen erhalten. […] Der Pfarrer […] vertritt von Rechts wegen die Pfarrei bei allen Rechtsgeschäften. Er ist der verantwortliche Verwalter des pfarrlichen Vermögens.“
Darüber hinaus soll darauf geachtet werden, den „wesentlichen Unterschied zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Priestertum nicht zu verdunkeln“, indem „die Dienste der Diakone, Gottgeweihten und der Laien, die in der Pfarrei Verantwortung tragen, nicht mit Titeln wie ‚Pfarrer‘, ‚Ko-Pfarrer‘,
‚Pastor‘, ‚Kaplan‘, ‚Moderator‘, ‚Pfarrverantwortlicher‘ oder mit anderen ähnlichen Begriffen bezeichnet werden, die das Recht den Priestern vorbehält, weil sie einen direkten Bezug zu deren Dienstprofil haben“.
Jakober wusste beim Lesen des Dokuments plötzlich nicht mehr, was da vor sich geht: „Bin ich verwirrt oder sind es die Autoren des Schreibens? Habe ich eine verkehrte Definition von Beweglichkeit oder stimmt etwas nicht bei den Autoren des Schreibens?“ Erst mit der Zeit konnte er seine Gemütsregungen klarer erkennen: „Das erfreute Staunen zu Beginn wurde völlig zerschlagen und das hat mich wütend zurückgelassen. Ich soll in eine Schublade gesteckt werden, wie im Käfig eingesperrt. Ich muss unter Kontrolle gebracht werden, ein Korsett nimmt
die Luft, eine Spirale aus Angst und Ablehnung setzt ein, der Sog vom Strudel der Abwertung, Entwürdigung zieht mich nach unten.“
Sakraler Serviceverein oder Glaubensgemeinschaft?
Für Ernest Theussl, Obmann der KMBÖ, steht die Kirche vor der Entscheidung, ob sie den Betrieb für sakramentale Serviceleistungen aufrechterhält oder eine Glaubensgemeinschaft ausbauen will, die ihren Glauben mit den Ausdrucksmitteln der Zeit zu formulieren imstande ist. „Wenn wir eine gesunde Basis der Glaubensvermittlung für die Zukunft herstellen wollen, dann müssen wir die Leitungsfragen der Pfarrgemeinden neu überdenken. Geld- und Priestermangel allein dürfen nicht die Leitlinien stellen. Davon auszugehen, dass durch Gebetsstürme die Zahl der Priester erhöht werden kann, ist Ausdruck naiver
Gutgläubigkeit. Zuerst geht es darum, dass wir den Glauben an Jesus Christus und seine Botschaft in der Gesellschaft weiterhin im öffentlichen Diskurs halten. Die Pfarrgemeinde, sofern man überhaupt noch eine will, auf eine klerikale Kuppe zuzuspitzen, entvölkert die Basis, die der Nährboden des Glaubens ist.“
Theussl fragt sich vor allem, welche Konsequenz diese Zuspitzung in der Praxis hat: „Priester, die wie Staubsaugerverkäufer durch Seelsorgeräume und Regionen hetzen, ohne menschliche Nähe zur Pfarrgemeinde und ohne persönliche Ansprache von den dort lebenden Menschen? Wollen wir das wirklich? Nein,
denn nur die Pfarrgemeinde vor Ort garantiert kontinuierliche Begegnung und verhindert kurzlebigen Event-Katholizismus. Wir müssen nicht nur über das Priesterbild nachdenken, nein, wir müssen auch die Rolle der Laien in den Blick nehmen. Auch dort wissen wir längst, wohin es gehen sollte, nur dürfen wir
nicht gehen.“
Theussls trauriges Fazit zum Schreiben der Kleruskongregation: „Mit diesem Dokument ist vielen immer noch in ihrem Glauben unbeirrbaren Laien ein gutes Stück Mut und Begeisterung genommen worden.“
Brief an Papst Franziskus
Die Katholische Männerbewegung der Diözese Bozen-Brixen/Südtirol hat bereits am 23. Juli einen offenen Brief an Papst Franziskus geschrieben (nachzulesen unter www.kmb.it). Im Schlusswort ist ein Bekenntnis formuliert „Wir als KMB werden uns auch von so unchristlichen Dokumenten und Forderungen wie diesen Instruktionen nicht beirren lassen und unseren Weg der Erneuerung und des Paradigmenwechsels weitergehen.“
„Das festigt mir wieder den Boden unter den Füssen“, sagt Jakober. „Wir alle sind Getaufte und Schwestern und Brüder; das Vetorecht des Pfarrers wird für mich auch künftig keine Bedeutung haben. Nicht das kirchliche Gesetzbuch schenkt
eine lebendige, missionarische Zukunft, sondern das Wort Jesu Christi.“
Autor: Christian Brandstätter; Lebensart Verlags GmbH