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Väter kriegen es gut hin
Die Reizwortgeschichte. Wer erinnert sich? Eine Handvoll Wörter, Phantasie – und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Auch Christian Buchart hat vor rund dreißig Jahren über so mancher Reizwortgeschichte gebrütet. Dass er als Erwachsener täglich eine solche Geschichte aus dem Ärmel schütteln muss, konnte der Wiener damals nicht ahnen. Drei Wörter liefert ihm seine fünfjährige Tochter allabendlich dafür. Und stets ist klar, dass eine ganz bestimmte Zeichentrickfigur die Heldin der Geschichte sein wird, berichtet der Familienvater. „Meine Tochter liebt das Schwein Peppa Wutz, dazu kommen meistens Wörter wie schwimmen und Ski fahren. Peppa Wutz geht also schwimmen, Ski fahren, am Abend in die Sauna und dann Abendessen. Jede Geschichte schließt mit ‚Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch morgen‘, das findet sie jedes Mal irrsinnig witzig.“ Ist es Zeit zum Einschlafen, gibt er ihr ein Bussi auf die Stirn, verlässt das Zimmer und trifft sich mit seiner Frau, die in der Zwischenzeit die zweijährige Schwester ins Bett gebracht hat, im Wohnzimmer.
Vorbild: Der eigene Vater
Für Buchart ist das abendliche Geschichtenritual mit seiner Tochter etwas Besonderes. Genauso wie das – für ihn chancenlose – Memory-Spielen mit ihr, gemeinsame Ausflüge mit seinen Mädchen und die täglichen Spielplatzbesuche nach dem Kindergarten. Wie das Vatersein überhaupt. „Meine Kinder sind das schönste Geschenk“, sagt er. „Vatersein bedeutet für mich, etwas noch nie Dagewesenes zu erleben. Ja, es ist auch Verzicht, weil ich das, was ich früher oft und gern gemacht habe – Mountainbiken, Klettern, viel Unterwegssein – jetzt nicht mehr so machen kann. Am Ende eines Tages mit den Kindern bin ich ähnlich kaputt wie früher nach dem Sport. Aber es ist ein schönes Geschafft-Sein am Abend.“
Bucharts Vorbild ist sein eigener Vater, der „sehr, sehr präsent war“. Und das, obwohl die Eltern das traditionelle Familienmodell gelebt haben: Der Papa hat das Geld heimgebracht, die Mama war daheim für Kinder und Haushalt zuständig. Buchart und seine Frau hingegen teilen sich die Aufgaben in Beruf und Familie annähernd halbe-halbe. Der Kraftwerksingenieur verlässt morgens in aller Frühe das Haus und holt die Kinder am Nachmittag vom Kindergarten, seine Frau versorgt die Kinder am Morgen und kommt dafür später nach Hause. Zum Abendessen sitzen alle am Tisch und erzählen sich vom Tag, bevor es Zeit zum Schlafengehen ist.
Wenige Männer in Karenz
Väter heute – sie sind engagiert, bringen sich aktiv in die Erziehung ein, übernehmen mehr Haushaltspflichten als die Männer in den Generationen davor. Die Rolle des Vaters hat sich gewandelt. Auch wenn – anders als zum Beispiel in skandinavischen Ländern – die meisten Elternpaare in Österreich von einer gleichwertigen Aufteilung zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Care-Arbeit (Haushalt und Sorge um die Kinder) weit entfernt sind. Das zeigt sich auch an der Inanspruchnahme der Väterkarenz. Nur 19 Prozent aller Väter gehen hierzulande in Karenz, die mit durchschnittlich zwei Monaten wesentlich kürzer ist als die Karenzzeit von Müttern. Traditionelle Rollenbilder, bestimmte Erwartungshaltungen in der Arbeit oder im Umfeld, nicht zuletzt finanzielle Motive beeinflussen Männer, sich für oder eben gegen eine (längere) Unterbrechung der Erwerbsarbeit zu entscheiden.
Auch Christian Buchart berichtet von anfänglichen Bedenken seines Arbeitgebers, aber auch von Unterstützung durch seine Kollegen, als er den Wunsch äußerte, zwei Monate in Karenz und danach in Elternteilzeit zu gehen. Sein Resümee ist durchwegs positiv: „Die Anfangsbedenken haben sich in Luft aufgelöst. Es funktioniert alles sehr gut.“ Die Zeit mit seinen Kindern sei den Einkommensverlust allemal wert, findet Buchart. Neben einer Vertiefung der Beziehung zum Kind berichten Väter wie Buchart auch von einer anderen Auswirkung ihrer Karenz: Die
Lebensrealitäten der beiden Partner driften nicht so stark auseinander, weil auch der Vater den Alltag mit dem Kind zu Hause erlebt.
Anforderungen größer geworden
Damit Vaterschaft gelingt, sei es wichtig, dass Väter ihre neue Rolle im Familiengefüge verstehen, sagt Ulrike Ehlert, Professorin für Klinische Psychologie an der Universität Zürich und Vaterforscherin. Die habe sich angesichts der gesteigerten Berufstätigkeit von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten verändert. „Beide Elternteile sollen für die Kinder da sein, jeder übernimmt bestimmte Erziehungsaufgaben. Da braucht es auch eine neue Aufgabenteilung.“ Ehlert bricht eine Lanze für die Väter, denn gesellschaftlich ist es meistens die Überlastung von Frauen, die thematisiert wird. „Auch von den Vätern wird viel verlangt. Die Anforderungen, Beruf und Familie zu vereinbaren, sind heute viel größer geworden.“
Kein Wunder: Das Ausmaß an Erwerbsarbeit ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur bei Müttern, sondern auch bei Vätern gestiegen, wie eine Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung ergeben hat. Frei- und Ruhezeiten sind bei Männern mit Kindern im Vorschulalter besonders knapp. Was das Vatersein in der modernen Gesellschaft darüber hinaus komplexer macht: Die Vaterformen sind vielfältiger als früher.
„Es gibt sehr viele getrennt lebende Väter, mehr Patchwork-Familien, Eltern, die sich das Sorgerecht ihrer Kinder zu gleichen Teilen aufteilen, Väter, die mit einer neuen Partnerin gemeinsame Kinder haben“, sagt Ehlert. „Diese vielen neuen Konstellationen können es für Männer schwierig machen, sich auf ihre Vaterrolle einzustellen.“
Väter machen es anders
Nicht selten ist es auch die Mutter der gemeinsamen Kinder, die dem Mann und seinem Engagement in der Erziehungsarbeit im Weg steht. „Zu kalt!“, findet Mama, wenn der Papa mit dem Kind Vater und Sohn eine Klettertour machen wollen. „Zu ungesund!“, mahnt die Mutter, wenn der Vater Würstel in die Pfanne schmeißt. „Mütter fordern zwar, dass die Väter viel übernehmen, haben aber ihre eigenen Vorstellungen, wie die Versorgung der Kinder aussehen soll“, sagt Ulrike Ehlert. Die Botschaft, die beim Vater ankommt: „Du machst es nicht richtig!“ Das hat einen sehr demotivierenden Effekt. Frauen sollten sich davon verabschieden, Männer lediglich als Zuarbeiter in Erziehung und Haushalt zu sehen. Denn das sind sie nicht. Väter kriegen es gut hin – wenn man sie nur lässt.
Genauso sieht es Markus Hofer, ehemaliger Leiter des Männerbüros in der Diözese Feldkirch und Autor und Referent zu Vaterund Männerthemen. „Was Mütter leisten, ist großartig. Läuft aber alles über sie, fühlen sich die Väter auf Dauer nicht wohl. Dabei ist es doch schön, wenn es beim Papa anders zugeht als bei der Mama.“ Es sei wichtig, dass Väter mit ihren Kindern etwas Eigenes entwickeln, betont Hofer. Er ermutigt Männer, sich selbst und ihren Kindern hin und wieder eine komplett mutterfreie Zeit zu gönnen: ein paar Tage allein zu Hause, wenn Mama eine Auszeit nimmt, oder ein Wochenende mit einem oder allen Kindern unterwegs. „Wenn Männer diesen Raum haben und merken, sie dürfen dort Mann sein, dann fallen ihnen ein Haufen Dinge ein.“
Der väterliche Umgang mit den Kindern sei anders als der mütterliche: „Frauen pflegen Beziehungen eher über das Miteinander-Reden, Männer eher über das gemeinsame Tun. Körperlichkeit, Bewegung, Outdoor-Aktivitäten in der Natur spielen deshalb in der Vater-Kind-Beziehung eine große Rolle.“ Rituale würden dabei einen wichtigen Beitrag leisten, vor allem, wenn die Männer im Beruf stark eingespannt sind „Rituale fixieren Zeiten und verhindern, dass man etwas vergisst. Das können ganz alltägliche Dinge sein, wie das Geschichte-Erzählen am Abend oder das gemeinsame Laufen-Gehen am Samstag. Schön ist es, wenn der Vater seine eigenen Leidenschaften mit den Kindern teilt.“
Gläubige Väter tun gut daran, auch ihren Glauben bewusst mit dem Nachwuchs zu teilen. Leider würden Männer hier allzu oft den Frauen das Feld überlassen. Ein Fehler, meint Hofer: „Bei vielen Jugendlichen entsteht das Bild, dass Religion nichts Männliches ist. Dabei war die Weitergabe des Glaubens früher Vatersache.“ Erleben Kinder von klein auf, dass der Glaube auch dem Papa etwas bedeutet, ändert das ihren Blick auf Religion.
Wichtige Rolle sozialer Väter
Was passiert, wenn der Vater fehlt? Wenn er verstorben ist oder nicht im gemeinsamen Haushalt lebt? Für die Psychologin Ehlert bringt eine Trennung der Eltern nicht notwendigerweise die Abwesenheit des Vaters mit sich. Auch getrennt lebende Väter könnten ihre Rolle einnehmen, solange sich die Eltern gut absprechen und die Kinder nicht als Druckmittel in elterlichen Konflikten benutzt werden. In vielen Familien sei außerdem der neue Partner der Mutter als sozialer Vater verfügbar. „Viele Frauen gehen nach einer Trennung neue Partnerschaften ein. Soziale Väter spielen in unserer Gesellschaft eine große Rolle und können die Funktion des Vaters übernehmen“, sagt Ehlert. Der dänische Familientherapeut Jesper Juul nennt Männer, die in Patchwork-Familien in die Vaterrolle schlüpfen, „Bonuspapas“. Er warnt davor, sich bei der Erziehung in Machtkämpfe zu verstricken, und ermutigt Bonusväter, sich als Sparring-Partner der Mutter und damit als wertvolles männliches Gegenüber für die Partnerin und das Kind zu etablieren.
Sollten weder leiblicher noch sozialer Vater greifbar sein, können auch Großväter, Lehrer oder Erzieher als Modell fungieren und mit den Kindern das machen, was Mütter oft nicht tun, erklärt Ulrike Ehlert. „Das Schnitzwerkzeug ausprobieren, Laubsägearbeiten oder am Computer etwas installieren. Natürlich sind das Klischees, aber es sind doch die Aufgaben, die die Männer oft übernehmen. Was vielleicht auch daran liegt, dass sie sich dafür zuständig fühlen.“ Dass Klischees stimmen können, weiß auch Christian Buchart. Was man Vätern gemeinhin nachsagt – dass sie im Umgang mit den Kindern risikobereiter sind als die Mütter – trifft definitiv auf ihn und seine Frau zu. Er bleibt, anders als seine Frau, entspannt, wenn seine Mädchen mal höher auf den Baum klettern. Schließlich sollen sie lernen, sicher hinauf- und wieder herunterzukommen. Und sollte doch mal eine fallen, „dann steh ich unten und fang sie auf“.
Autorin: Sandra Lobnig