
Bewahrung der Schöpfung
Die weltweite Durchschnittstemperatur hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts um durchschnittlich ein Grad Celsius erhöht, in Österreich aufgrund der Alpen um zwei Grad. Das klingt nicht wirklich dramatisch. Doch die Folgen sind enorm. Im 20. Jahrhundert ist der Meeresspiegel bereits um etwa 15 Zentimeter angestiegen. Er steigt nun doppelt so schnell, bis 2100 vermutlich um mehr als einen Meter. Das sagen die Klima-Forscherinnen und Forscher des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Dadurch werden bis zu 280 Millionen Menschen ihre Heimat verlieren und tief liegende Städte und kleine Inselstaaten jährlich von extremen Fluten betroffen sein.
Punktuell erleben wir diese Katastrophen bereits heute: Sie erinnern sich sicher an die Jahrhundertflut in Venedig im November 2019 oder die verheerenden Buschbrände in Australien im Jänner 2020. In Österreich begleitet uns ein extremes Fichtensterben seit mehreren Jahren. Brunnen trocknen aus und das gefährdet die Bewirtschaftung von Almen und Bergbauernhöfen. Die Zahl der Hitzetage – die Tageshöchsttemperatur übersteigt 30 Grad – ist in Wien von 9,6 (Durchschnitt 1961 bis 1990) auf 38 (!) im Sommer 2019 gestiegen und gefährdet die Gesundheit von Kindern, alten und kranken Menschen. Bereits die angepeilte Erwärmung von 1,5 Grad, die im Klimaabkommen von Paris vereinbart wurde, stellt die Menschheit also vor große Herausforderungen.
Entscheidend sind die nächsten zehn Jahre
Aber wirklich gefürchtet wird ein Temperaturanstieg von mehr als 1,5 Grad: Denn dann entstehen sogenannte Rückkopplungseffekte. Wenn sich Methanhydrate auf dem Meeresboden erwärmen, große Ökosysteme wie der Amazonas-Regenwald zerstört werden oder die Permafrostböden in Russland auftauen – dann werden Methan und CO2 freigesetzt und der „Schutzschild“ rund um die Erde wächst. In Folge würde das eine Erwärmung um etwa vier bis fünf Grad Celsius bewirken. Die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb und ihr Kollege Herbert Formayer sagen dazu: „Es besteht die Gefahr, dass die beiden Eisschilde in Grönland und in der Antarktis instabil werden und große Eismassen innerhalb weniger Jahre ins Meer fließen. Allein auf Grönland lagert genug Eis, um den Meeresspiegel um mehr als sechs Meter steigen zu lassen.“ Die Folgen für Küstengebiete wollen wir uns lieber gar nicht ausmalen. Jedenfalls gilt: Wenn diese Prozesse einmal in Gang gekommen sind, lassen sie sich nicht mehr stoppen. Künftige Generationen können kaum mehr etwas dagegen tun.
Daher hat sich die Staatengemeinschaft im Klimaabkommen von Paris 2015 auf die Einhaltung eines 1,5-Grad-Ziels verständigt. Viel hat sich seither nicht getan. Zu groß scheinen die Beharrungskräfte von Politik, Wirtschaft und der Menschen zu sein. Kein Wunder: der Wandel unserer Lebensweise wird gewaltig sein. Laurenz Faber von „Fridays for Future“ zeigt dafür sogar bis zu einem gewissen Grad Verständnis: „Wir wissen, wie unser Hirn funktioniert. Bei Problemen stecken wir am liebsten den Kopf in den Sand und blenden das Problem aus. Aber das hilft uns nicht weiter.“
Wie werden wir CO2-neutral?
2050 dürfen wir keine fossile Energie mehr verbrauchen. Kein Auto mehr, das mit Benzin fährt, kein Flugzeug, das mit Kerosin fliegt, keine Öl- oder Gasheizung und kein Strom aus Kohle. „Dann ersetzen wir den Benziner halt durch ein Elektroauto, die Wärme kommt von der Bioenergie, der Strom von der Sonne und vom Wind“, meinen viele. Das stimmt leider nur bedingt, denn das geht sich nicht aus. Österreich ist nicht groß genug, um die benötigte Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen. Es wird notwendig sein, den Verbrauch zu reduzieren und Energie, wo immer möglich, rückzugewinnen, zum Beispiel über sogenannte Abfall-Energie-Netze. Der verbleibende und möglichst kleine Rest kann dann mittels erneuerbarer Energie gedeckt werden. Die Technologie dafür – Wasser-, Wind- und Solarkraftwerke – gibt es bereits.
Einfach mehr Lebensqualität
Die Lebensqualität muss dabei nicht unbedingt auf der Strecke bleiben, ganz im Gegenteil: Zu Fuß gehen oder Rad fahren ist gut für die Gesundheit. Der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel kommt erstens Menschen zugute, die nicht Auto fahren können oder wollen, und stärkt zweitens die regionale Wirtschaft. Die freut sich auch über die energetische Sanierung von Häusern und Wohnungen, der niedrige Energieverbrauch schlägt sich erfreulich im eigenen Geldbörsel nieder. Ähnliches gilt für die längere Nutzung von Handy, Laptop und vielen anderen Geräten. Verlängern Sie die Nutzung von vier auf fünf Jahre, haben Sie bereits 25 Prozent Ressourcen gespart. Und zudem den Ärger über das Lernen-Müssen, wie das neue Gerät funktioniert. Und das machen Sie vermutlich bereits genau so. Gratulation! Sie tragen viel zu einer guten Zukunft bei!
Aber natürlich gibt es auch Dinge, die auf den ersten Blick nicht so lustvoll aussehen: Flugreisen werden die Ausnahme werden. Und vor allem für Männer schwierig: wir müssen weniger Fleisch essen. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO essen Männer fast das Dreifache der empfohlenen Fleischmenge pro Woche, nämlich mehr als 1.000 statt 400 Gramm. Das schadet nicht nur der Umwelt und dem Klima, sondern vor allem der eigenen Gesundheit: Rheuma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Darmkrebs werden durch hohen Fleischkonsum mit verursacht oder verschlimmert. Zum Glück für Fleischfans kommen immer mehr Alternativen auf den Markt, die sogar in Österreich hergestellt werden – aus Kräuterseitlingen oder Erbsen. Zumindest probieren ist erlaubt. Oder Sie lernen einfach von den Jungen. Viele von ihnen können phantastisch vegetarisch kochen.
Wir haben nur eine Erde
Die Jungen können nicht nur gut kochen. Als Bewegung „Fridays for Future“ haben sie es geschafft, das Thema Klimawandel in den Herzen und Hirnen der Menschen zu verankern. Sie münzen ihre Betroffenheit in Protest um. Und das völlig zu Recht, denn sie werden in einer extrem herausfordernden Zukunft leben. Aber was wollen sie erreichen? Faber: „Natürlich geht es darum, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Österreich soll einen angemessenen Beitrag leisten, um das Ziel zu erreichen. Wie die Politik dieses Ziel erreichen will, das soll sie sich selbst ausschnapsen.“ Seine Kollegin Maris Filipic ist überzeugt, dass es einfach noch viel mehr Bewusstseinsbildung auf allen Ebenen braucht: „Wenn die Leute das Problem wirklich verstehen, werden sie auch etwas dafür tun. Es muss ein Volksanliegen werden.“
Dabei zeigen die jungen Leute durchaus Verständnis für den Widerstand, der ihnen da und dort entgegenschlägt: Faber: „Manche in der älteren Generation fühlen sich beschuldigt. Das ist nicht das Ziel! Es geht nicht darum, Schuldige zu finden, sondern darum, die notwendigen Maßnahmen in die Wege zu leiten, um uns eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Natürlich gibt es auch Zyniker – das ist für mich völlig unverständlich. Wir kämpfen ja nicht nur für unsere Zukunft, sondern auch für ihre. Wir haben nur eine Erde.“
Wo stehen die Unternehmen?
Viele große und kleine Unternehmen sehen das ähnlich, haben den Ball aufgegriffen und sich die CO2-Neutralität 2050 zum Ziel gesetzt. Der Kräuter- und Gewürzhändler Sonnentor aus dem Waldviertel ist bereits heute soweit. Microsoft will bis 2030 mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen als produzieren. Gelingen soll das über Aufforstungsprojekte, Maßnahmen zur Bindung von Kohlenstoff im Boden, Bioenergie in Verbindung mit CO2-Abscheidung und -Speicherung sowie direkte CO2-Rückgewinnung aus der Luft.
Sogar die Finanzwelt denkt um. Der größte Vermögensverwalter der Welt – BlackRock – hat angekündigt, seine Investments zurückzuziehen, wenn sich ein Unternehmen nicht zu einem nachhaltigen Entwicklungspfad bekennt und über seine Fortschritte berichtet. Denn, so sagt Larry Fink, CEO von BlackRock: „Das Klimarisiko ist ein Investmentrisiko.” Denn Menschen werden Kredite nicht mehr zurückzahlen können, wenn ganze Dörfer weggeschwemmt werden. Kosten und Preise für Lebensmittel werden steigen, wenn es aufgrund von Dürre und Überflutungen Ernteausfälle gibt. Der Klimawandel wird erhebliche und nachhaltige Auswirkungen auf Wirtschaft und Wohlstand haben.
Politik: Visionäre Ziele und mangelnde Umsetzung
Bereits 2015 wurden drei visionäre politische Entscheidungen für eine gute Zukunft getroffen: Politikerinnen und Politiker aller Länder unterzeichneten das Klimaabkommen von Paris und vereinbarten die „Sustainable Development Goals (SDGs)“ und Papst Franziskus veröffentlichte die Enzyklika „Laudato Si“. Alle drei zeigen, wie ein gutes Leben für alle Menschen erreicht werden kann: durch nachhaltiges Handeln, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und verantwortungsvolles Wirtschaften.
Trotz der vielen Fakten: die Politik hat sich in den letzten fünf Jahren kaum bewegt, ganz im Gegenteil. Wir stellen ernüchtert fest, dass politische Führer wie Donald Trump (USA), Jair Bolsonaro (Brasilien) oder Scott Morrison (Australien) sich nicht nur nicht an die Vereinbarungen halten, sondern den Klimawandel sogar befeuern, indem sie Fracking, Kohleproduktion und Abholzung von Regenwald forcieren. Dabei wäre gerade eine weltweite intensive Aufforstung – 0,9 Milliarden Hektar wären möglich – die effektivste Maßnahme gegen den Klimawandel. Das sagt eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich vom Herbst 2019. Zwei Drittel der CO2-Emissionen könnten dadurch aufgenommen werden und so die notwendige Änderung unseres Lebensstils nicht allzu drastisch ausfallen lassen.
Leider gehört auch das ehemalige Umweltmusterland Österreich heute zu den Nachzüglern. Statt abzunehmen, haben die CO2-Emissionen in den letzten fünf Jahren zugenommen. Verantwortlich dafür ist in erster Linie der Verkehr. Womit wieder alle Beteiligten – Bevölkerung, Wirtschaft und Politik – gefragt sind, ihren Beitrag tatsächlich zu leisten.
Gelingt ab 2020 die Wende?
2020 könnte das Jahr der Wende werden: Die neue EU-Präsidentin Ursula von der Leyen hat einen „Green Deal“ ausgerufen. Europa soll bis 2050 klimaneutral werden und die Kreislaufwirtschaft eine ressourcenschonende Produktion ermöglichen. Auch im Programm der neuen österreichischen Bundesregierung nimmt der Klimaschutz großen Raum ein. Als wichtigste Maßnahme sehen sowohl Klima- als auch Wirtschaftsforscherinnen und –forscher eine ökosoziale Steuerreform. Dadurch könnte ein fundamentaler Umbau stattfinden, der die Abgabenlast weg vom Arbeitseinkommen hin zu Emissionen bzw. Ressourcen- und Energieverbrauch verschiebt. Für den Klima- und Wirtschaftsforscher Prof. Stefan Schleicher ist der Klima-Check einer der relevantesten Punkte: Bei jedem Gesetz und jeder Verordnung sollte überprüft werden, wie viel von dem, was für Österreich bis 2050 noch zur Verfügung steht (1.000 Millionen Tonnen), angeknabbert wird.
Weiterführende Informationen:
- Das Klimaaktiv-Angebot für Pfarrgemeinden: klimaaktiv.at/kirchen
- Das Climate Change Centre Austria (CCCA) ist das österreichische Klimaforschungsnetzwerk. ccca.ac.at
- Der Klima- und Energiefonds unterstützt Regionen dabei, sich auf den Klimawandel einzustellen. klar-anpassungsregionen.at
- Klimaaktiv informiert und unterstützt Unternehmen. klimaaktiv.at
- Das Klimabündnis ist ein Netzwerk aus Gemeinden, Schulen, Pfarren, Firmen und indigenen Organisationen, das klimaschädliche Emissionen verringern und den Regenwald schützen will. klimabuendnis.at
- Kromp-Kolb H., Formayer H.: + 2 Grad. Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten, Molden, 2018.
Zitat:
„Du bist nicht schuld daran, wie die Welt ist. Du wärst nur schuld, wenn sie so bleibt.“ Barbara van Melle
Autorin: Roswitha M. Reisinger, Lebensart VerlagsGmbH