Wo bis du verortet in der Arbeitswelt von heute?
Aussagen pendelten ausgewogen zwischen „Mich nerven einfach die Leute, die nichts hackeln wollen und nur noch Freizeit haben wollen“ bis zu „Menschen, die nur schuften, sind nicht gewappnet für die Zukunft“. 1990 gaben noch 62% der Menschen an, dass ihnen die Arbeit sehr wichtig ist, 2018 waren es nur mehr 48%. Nicht nur die Bewertung von Erwerbsarbeit bewegt sich, auch die Erwerbsarbeit an
sich ist im Wandel. 65% der Jobs der Zukunft gibt es derzeit noch nicht, so Ali Mahlodji, Gründer der Job-Video-Plattform Watchado und einer der Ö3-Studiogäste.
Viele spüren schon die Auswirkungen der so genannten Arbeit 4.0. Wir sind in dem Zeitalter angekommen, wo Maschinen mit Maschinen kommunizieren und die Notwendigkeit menschlicher Intervention bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen zurückgedrängt wird. Rein rechnerisch bleibt mehr Zeit für
Familie, Gesundheit und Hobbies. Sollte eine hervorragende Nachricht sein, und doch empfinden es nicht alle so. Wo hakt es dann? Die Erwartungen an Arbeit sind
vielfältig und hängen mit Status, Identität, Selbstverwirklichung und Gesundheit zusammen. Arbeit ist für viele Anerkennung und Wertschätzung, für andere
eine Quelle für soziale Kontakte. Manche Männer wollen und können sich in der Arbeit beweisen, manche halten fest an der traditionellen Rollenverteilung
und finden in der Arbeit einen Grund, das Haus zu verlassen. Darüber hinaus wird Erwerbsarbeit nicht in ein utopisches Vakuum organisiert, sondern in ein ökonomisches System, wo globale Konzerne das Sagen haben, deren Gewinnlogik an menschlichen und gesellschaftlichen Bedürfnissen vorbeimarschiert. Genügend Potential also für sagenhafte Reibungsverluste und spektakuläre Kollateralschäden.
Letztes Jahr untersuchte die KAB (Katholische ArbeitnehmerInnenbewegung), wie sich der Arbeitsmarkt seit 2004 verändert hat und was das für uns Menschen bedeutet. Als Forschungsmethode wurden Arbeitserfahrungsaustausch und
Lebensreflexion verwendet. Ein starker Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit und Selbswertgefühl ist leider nach wie vor Fakt. Christliche Bewegungen oder MenschenrechtsbefürworterInnen akzeptieren diese gesellschaftliche Realität nicht. Würde kann Menschen nicht genommen werden, weil sie gottgegeben ist oder weil gespürte Menschenwürde jedem/jeder in der gleichen Höhe zusteht. Ein Umdenken in Richtung Tätigkeitsgesellschaft, die Reproduktionsarbeit und ehrenamtliche Arbeit gleich honoriert, konnte sich bis jetzt nicht richtig durchsetzen oder wurde sogar zurückgedreht. Die gesteigerte Leistungsrhetorik baut nur auf Erwerbsarbeit und bestehende Machtverhältnisse, als auch auf Diffamierung von Menschen, die noch nicht ins Sozialsystem eingezahlt haben. Schade, weil Wertschätzung ein kostbares Gut ist, das zu geben eigentlich wenig kostet.
Der Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit und Einkommen wurde getrennt vom Aspekt Selbstwertgefühl analysiert. In Österreich gibt es große Lohnunterschiede,
auch für die gleiche Arbeit. Laut Frauenmonitor 2017 verdienen Frauen durchschnittlich 12.000 Euro brutto/Jahr weniger als Männer. Sie sind in schlecht bezahlten Branchen wie Handel, Pflege und Gastronomie unterwegs, arbeiten Teilzeit und füllen den Rest ihrer Tage mit unbezahlter Sorge- und Haushaltsarbeit. Männer sind nicht immer besser dran. Im Bau sind die Bedingungen auch schlecht,
teilweise durch schäbige Subunternehmerstrukturen und eine hohe Quote unmündiger Arbeiter mit Migrationshintergrund.
Die wesentliche Frage lautet oft: Wo landet der Gewinn der gesteigerten Produktivität? Die Gewinnausschüttungen in 114 von der AK untersuchten Metallunternehmen machten 37% des gesamten Personalaufwandes aus und überstiegen damit die Sachinvestitionen. In Betracht dessen ist die 5%-Forderung der letzten Lohnrunde nicht übertrieben. Die Arbeitsmarktsituation ist gut erforscht, die Vermögensverteilung aber ein gut gehütetes Geheimnis und damit
ist nicht das eigene Haus oder das Ersparte fürs Altern gemeint. Wer bereits besitzt, verdient und wer arbeitet, verdient immer weniger. Die Branchen, in denen Fachkräftemangel herrscht, sind oft auch die Branchen in denen einfach schlecht bezahlt wird.
Die Arbeit ist mehr und mehr entgrenzt. Atypische Beschäftigungsformen nahmen zwischen 2007 und 2017 rasant zu. In Österreich gibt es 32,6% mehr Neue Selbstständige, 42,1% mehr geringfügige Beschäftigung und 41,8% mehr Teilzeitarbeit. Vollzeitstellen nahmen in dieser Zeit mit nur 1% zu. Arbeitszeiten werden flexibler gestaltet, mit oder ohne Mitsprache der Betroffenen. Mails werden am Wochenende zu Hause bearbeitet und über das Firmenhandy ist man auch während dem Urlaub erreichbar. Privatleben und Arbeitszeit lassen sich schwieriger trennen. Selbstbestimmung und Selbstausbeutung liegen sehr nah beieinander.
Digitalisierung und neue Technologie machen vieles möglich. ExpertInnen streiten sich nach wie vor wie viele Jobs verloren oder neu entstehen werden. Fix ist: ändern wird sich bei allen was. Einerseits wird es diejenigen geben, die Maschinen und Algorithmen befehligen können, sei es als Fachexperte oder Eigentümer, anderseits wird es diejenigen geben, denen von Maschinen, Algorithmen und
Datenflüssen befohlen wird. Die einen werden selbstbestimmt Bedingungen setzen können, die anderen werden keine Flexibilität oder Entscheidungskraft vorfinden. Wird es überhaupt noch möglich sein, mit einem menschlichen Vorgesetzten über
Arbeitsvorgaben zu verhandeln?
Arbeit spaltet. Es gibt nicht die eine ArbeitnehmerInnenschaft, es gibt nicht die eine Generation Y oder X. Die Bruchlinien in der ArbeitnehmerInnenschaft gehen tiefer und hängen schlussendlich mit dem Lebensabschnitt, der Finanzkraft und dem realen Spielraum der Betroffenen zusammen. Das Schaffen von gesellschaftlichem Zusammenhang ist eine politische Aufgabe, mehr noch als eine individuelle.
Hier arbeiten Menschen, das soll man niemals vergessen!
Stefan Robbrecht-Roller
Organisationsreferent der Katholischen Arbeiter Bewegung OÖ