
"Sinnvoll tätig sein" - Ein Experiment im Waldviertel
Was ist das Grundeinkommensprojekt „Sinnvoll tätig sein“?
Immervoll: Jede und jeder von uns hat Fähigkeiten. Im Projekt geht es darum, Fähigkeiten zu entwickeln und sie zu teilen, das heißt in die Gemeinschaft
einzubringen. Das ist für uns gleichzeitig die Definition für Arbeit! Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen, wie es zukünftig mit Erwerbsarbeit sein wird. Auch wenn im Augenblick die Arbeitslosigkeit sinkt, Vollbeschäftigung ist eine Illusion. Gleichzeitig wird immer mehr nach Fachkräften gerufen. Aber wer ist Fachkraft? In unserem Wirtschaftssystem sind es jene gut Ausgebildeten, die für es von Wert sind, von ökonomischem Wert! Daneben gibt es außerordentliche Fähigkeiten von Leuten, die nicht gefragt werden oder auch nicht gefragt sind.
Wer steht hinter dem Projekt?
Immervoll: Das Projekt wird von der Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel getragen. Wissenschaftliche Institutionen, wie die Universität Salzburg, die Fachhochschule St. Pölten und die Katholische Sozialakademie Österreich, sind unsere Partner. Am Anfang stand ein Gespräch mit Prof. Nikolaus Dimmel von der Universität Salzburg. In der Nachbesprechung einer Studie meinten wir, es wäre an der Zeit für ein Grundeinkommensexperiment in Österreich. Da wir seit Jahren die Arbeitsmarktmaßnahme „Von Herzen gerne Tätig sein“ haben, die genau auf dem
obigen Prinzip – Definition von Arbeit – beruht, entschlossen wir uns, zu handeln. Wir entwickelten eine Idee, bei der Personen für mehr als ein Jahr einen Grundbezug haben und in dieser Zeit nach ihren Vorstellungen leben können. Mag. Karl Fakler, damals Landesgeschäftsführer des AMS NÖ, bewilligte uns den
Rahmen.
Was unterscheidet das Projekt von anderen?
Immervoll: Es ist kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern Kriterium für das Mittun war unsere Vorstellung von Arbeit, also: Was willst du tun, ausprobieren, was wolltest schon immer usw. und bist du bereit das auch dann irgendwie zu teilen? Außerdem konnten nur Frauen und Männer teilnehmen, die
„langzeitarbeitslos“ waren. Sie wurden für 18 Monate aus der Vermittlung
genommen und erhielten weiterhin ihren Bezug. Das sahen wir als einzige Chance, unsere Idee zu verwirklichen, denn wer – außer das AMS – wäre Willens und in der Lage. Alle anderen Versuche, zu Geld zu kommen, sind gescheitert: Die Politik will kein Grundeinkommen in Österreich! Daneben gab es eine intensive Begleitung durch mein Team. Es wurde nichts vorgeschrieben, alles passierte freiwillig, auch im Zeitausmaß. Wir waren da und gingen ein Stück des Weges mit.
Wie viele arbeitssuchende Menschen sind im Projekt?
Immervoll: Unser Bestreben war, ungefähr 1% der Bevölkerung dabei zu haben. Das ist uns gelungen. Es waren zu Beginn 43 beim AMS gemeldete Personen und eine junge Frau, die Waisenrente bezieht. Das Geschlechterverhältnis war ausgeglichen, ebenso Altersschichten und (Aus-)Bildung.
Wie ergeht es den Männern im Projekt?
Immervoll: Gerade für Männer war es ungewöhnlich, keine Arbeit (nach ihrer Vorstellung) angeschafft zu bekommen, sondern einfach mal nur nach ihren Begabungen zu schauen, Tagebuch zu schreiben. Aber das hat sich schnell geändert, weil sie mit der von uns gegebenen Anerkennung ganz anders auf sich blicken konnten und damit neue Möglichkeiten entdeckten. Für fast alle
war allerdings die – meist durch vorige Arbeitsplätze – angeschlagene
Gesundheit ein Kriterium. Das war absolut vorrangig. Für einige ist die
Situation so schlimm, dass eigentlich nur das – teilweise leider vergebliche
– Pensionsansuchen bleibt. Mehrheitlich Männer versuchten sich selbständig zu machen. Auch bei den Vermittlungen haben sie die Nase vorne. Das sind esellschaftliche Rahmenbedingungen. Innerhalb der Gruppe waren die meisten
sehr umsichtig für die Gesamtheit der TeilnehmerInnen. Da hat sich im Umgang miteinander sehr viel verändert.Es brauchten vor allem keine – männlichen – Erwartungen erfüllt werden. Damit wurden sie offener. Schließlich gab es auch ein Männerseminar, nachdem die Frauen in einem Workshop auf ihre – innere –
Schönheit achteten. Was ist gut gelaufen, wo haben sich Erwartungen nicht erfüllt?
Immervoll: Wir hatten keine bestimmten Erwartungen. Wir wollten einfach sehen, was sich verändert, wenn sich Menschen nach ihren Fähigkeiten und Begabungen
entwickeln können und was in einer Gemeinde passiert, wenn diese Personen, die vorher durch ihre Arbeitslosigkeit „draußen“ waren, sich einzubringen beginnen. Alle waren sehr aktiv und machten einen großen Lernprozess mit. Auch wir im
Begleitteam lernten die Frauen und Männer auf ganz andere Weise kennen,
als wir bisher von ihnen wussten. Auch sie selbst bezeugten, dass die soziale Mischung für sie ganz wichtig war und Beziehungen entstanden, die sie nie eingegangen wären. Unvermutet war der große Vermittlungserfolg mit etwa 25%. Einige haben sich mit ihrer Idee selbstständig gemacht, andere einen Arbeitsplatz
gefunden, manche schafften doch die Pension. Ein relativ großer Teil macht Betreuungsarbeit bei Kindern, alten Eltern oder Nachbarn. Erstaunlich ist die Bereitschaft für eine neue Art des gesellschaftlichen Engagements. Denn es passierte nicht nur ein Bewusstseins-, sondern auch ein (politischer) Bildungsprozess.
Was wäre für die Zukunft wünschenswert?
Immervoll: Leider erleben wir derzeit eine restriktive Arbeitsmarktpolitik. Gleichzeitig nimmt die Geringschätzung gegenüber „Arbeitslosen“ zu, von denen „man“ meint, es muss ihnen der Bezug gekürzt und Druck ausgeübt werden, dann werden sie schon arbeiten. Das ist grundlegend falsch. Es sind wertvolle Menschen
mit tollen Fähigkeiten. Und es braucht eine Alternative zum Arbeitsmarkt.
Das kann ein Grundeinkommen sein, das für Menschen die Möglichkeit eröffnet, kreativ tätig zu sein, unabhängig davon, ob ihr Engagement ökonomisch verwertbar ist. Diese These wurde durch das Projekt bestätigt!
Vielen Dank für das Interview.
Interview: Michael Scholz,
Organisationsreferent KMB-St.Pölten