
Wider die Dogmen männlicher Spiritualität
Diese kleine Pflanze steht in krassem Kontrast zu den Sätzen, die immer wieder von einigen Vertretern der diversen Schulen zu hören sind: „Das ist doch keine männliche Spiritualität!“, „Männliche Spiritualität muss doch viel praktischer sein!“, „Das ist doch nicht archaisch genug!“, „Das ist uns Männern nicht neu!“, „Das haben wir Männer immer schon so gemacht …“ usw. Ich frage mich: Warum müssen Männer „Krieger“, „Ritter“, „Könige“ oder „Erlöser“ sein? Warum dürfen Sie nicht „Versager“, „Zweifler“, „Narr“ oder „Träumer“ sein? „Und sagt mir einer, ich sei ein Träumer, ein Spinner, das mag sein …“. Die Zeitschrift „Publik Forum“ hat vor kurzem festgestellt, dass viele Männer, „auf mehr oder weniger aggressive Weise Spiritualität und Religion bekämpfen, weil sie beides für gefährliche Spinnereinen halten …“
(Publik Forum, 18/2017, S. 28)
Ein Salzburger Pfarrer hat vor einiger Zeit in einem Gremium die Forderung gestellt, „Lassen Sie uns doch einfach einmal alles auf null setzen und gedanklich ganz von vorne beginnen.“ Die Forderung könnte man(n) auch bei der Suche nach männlicher Spiritualität stellen. Und wem diese Frage aus dem Nichts heraus zu kompliziert ist, der kann Hans-Joachim Sander zu Hilfe rufen: „Zwei Dinge sind gesetzt: ‚Gott und die Situation der Menschen von heute.‘“ (Sander, Nicht ausweichen, 2002) Der Fundamentaltheologe Franz-Josef Nocke hat bereits vor ca. 20 Jahren darauf hingewiesen, dass wir von sieben Milliarden Theologien ausgehen sollten (Theologische Börse Duisburg). – Ungefähr 3,5 Milliarden Theologien müssten für uns Männer bei dieser Rechenart herausspringen. Die Situation der Männer von heute ist vor allem eines: vielfältig! Und was wäre da leichter, als auf die hinzuhören, die sich in ihrer Vielfalt und Komplexität beruflich ausschließlich mit Männern befassen, wie z. B. den Männertherapeuten Björn Süfke.
Krise als Chance
Süfke schreibt von „Männerkrisen“ sowie von „Männerkatastrophen“ und plädiert dafür, dass wir alles tun sollten, dass es bei den Krisen bleibt. „Viele Männer sind heute in der Krise, weil ihnen eine lebensstrukturierende Orientierungshilfe fehlt, eine grundlegende Lebensausrichtung, ein Lebenszweck, und vielleicht sogar ein Lebenssinn. Versuche der Wiederherstellung sind mehr oder – meistens – weniger erfolgreich. Oft ist das bestätigende Gefühl der Zugehörigkeit zu einer festen Gruppe abhandengekommen.“ (Süfke, Männer erfindet Euch neu, 2016, S. 156) „Dass die Traditionelle Männlichkeit bröckelt, ist bei allen gesamtgesellschaftlichen Verlusten und Problematiken, die es aufwirft, eine gute Nachricht.“ (Süfke, 2016, S. 279) Männer sind heute oftmals auf der Suche „was ich wirklich bin und was ich wirklich werden möchte …“ (ebd., S. 310) Dabei „ist für viele Männer die Arbeit, die sie alltäglich verrichten, längst nicht mehr sinnstiftend.“ (ebd., S. 240). Es gibt viele Väter, die sich als grundsätzlich erziehungsgleichberechtigt ansehen und die sich gerne emanzipieren möchten „von alten Leistungsansprüchen“ (ebd., S. 223) „Wir wissen mittlerweile aus zahlreichen Umfragen, dass ein Großteil der Väter gerne mehr Zeit mit den Kindern verbringen würde“ (vaeter gGmbH, 2012 in Süfke, S. 191) Was hat das alles mit Spiritualität zu tun? Was soll das für Erkenntnisse hinsichtlich einer männlichen Spiritualität bringen? Frei nach Sander (s. o.) gesetzt, gibt es neben Gott nur die Wirklichkeit des Mannes von heute und zwar in seiner ganzen Vielfalt!
Männliche Spiritualität ist wichtig
Die Katholische Männerbewegung vernimmt dann natürlich noch die Herausforderung, „was nützt es der Kirche“, wenn ihr Euch schon Katholische Männerbewegung nennt! Norbert Mette weist in einer der jüngsten Salzburger Theologischen Zeitschriften darauf hin, dass „die Kirche sich von der Pastoral aufbaue, nicht die Pastoral von der Kirche her.“ (Mette, STZ, 1/2016, S. 15) Der Umkehrschluss lautet: Ohne männliche Spiritualität ist die Kirche zumindest zur Hälfte überflüssig.
Bei allem Pragmatismus und aller Zielstrebigkeit, die uns Männern nachgesagt wird, dürfen wir uns nicht von einem derartigen theologischen Nützlichkeitsdenken entmannen lassen. Die Liedzeile „Lebe so wie Du es fühlst in Dir“, ist somit ein zutiefst theologischer Satz. Es ist die „Befreiung aus den Rollenkäfigen“, die Björn Süfke fordert (2016, S. 279). Es ist „die Chance für den einzelnen Mann, aus eigenem krisenhaften Erleben heraus etwas Neues, Gesünderes aufzubauen.“ (ebd., S. 281) Dem Neuen und dem jeweils Gesünderen werden wir Männer jedoch nur näherkommen, wenn wir den Zugang zu unseren Gefühlen stärken. Und das ist der einzige Knotenpunkt, der nahezu unausweichlich ist: Ohne eine reflektierte Emotionalität bei uns Männern kann es kaum männliche Spiritualität geben. In christlicher Sprache ausgedrückt: Wenn ich mich als Mann nicht erbarme, kann ich kaum von Gott ergriffen werden!
Das kann bedeuten, dass wir „Andersorte“ für Männer suchen und prägen, bei …
- Vätergeschichten in Einkaufszentren (vgl. „Die Bäckerei … ist ein Ort mit kulturellen Sexappeal“, Christian Bauer, STZ, S. 40)
- Vater-Kind-Segen auf der Genneralm
- Männertagen in St. Virgil
- Tagen der Stille in Maria Kirchental (vgl. Johann Baptist Metz, die Unterbrechung ist die kürzeste Definition von Religion)
- Gebetsbrocken bei männlichen Obdachlosen
Das kann bedeuten, dass wir unsere Bedürfnisse und Begabungen formulieren, als …
- Entscheidungsstärke
- Pragmatismus
- Versagen lernen (vgl. keine Verstopfung durch Instrumen- talisierung, Ottmar Fuchs, STZ, 1/2016, S. 22)
- Vaterfreuden
- Freude an Sexualität
Das kann bedeuten, dass wir männliche Formen der Solidarität stärker ins Wort bringen, bei(m)
- Entwicklungspolitischen Engagement von SEI SO FREI (vgl. eine Spiritualität, Gott ins Wort fallen zu dürfen, ent- spricht einem Menschenbezug, Ottmar Fuchs, STZ, 1/2016, S. 22)
- Fußballtraining für jugendliche Burschen
- Gedankenaustausch in Männergruppen
- Männerberatung im Männerbüro (vgl. das Ernstnehmen der Leiderfahrung, Ottmar Fuchs, STZ, 1/2016, S. 27)
- Offenheit bei Männern auf Bergwegen
Bei all dem ist der Vielfältigkeit kaum eine Grenze gesetzt. Männliche Spiritualität kann immer noch mal ganz anders sein. Und es kann spirituelle Orte von Männern geben, die auch für Frauen Sexappeal haWider die Dogmen männlicher Spiritualität Ausgabe 1 | Jänner 2018 25 ben. Nicht immer, aber immer öfter! Schon Karl Rahner hat darauf hingewiesen, dass das Beten an Hochfesten keine Kunst ist, sondern es sei vielmehr die Kunst, die Spiritualität in den Abläufen des Alltags zu entdecken und aufrecht zu erhalten.
„Andersorte“ männlicher Spiritualität
Die Vielfalt männlicher Spiritualität sehen und schätzen und sie mit anderen an Orten des Alltags hochhalten, gehört zu den spirituellen Schlüsselkompetenzen unserer Zeit. „Auf prinzipieller Augenhöhe mit möglichst vielen Beteiligten und mit einer grundsätzlichen Lernvermutung“ beim Gegenüber wäre unsere Spiritualität vor allem „neugierig sehend, kritisch urteilend und bescheiden handelnd“ (Christian Bauer, STZ, 1/2016, S. 53) Männliche Spiritualität wäre dann (ebenso wie Pastoraltheologie) „disparat, kreisend und leermittig, unabgeschlossen, interpretationsbedürftig …, freiheitsproduktiv, heterogen, dynamisch und nützlich.“ (ebd., S. 44). Es bleibt noch die Forderung von Regina Polak nach der „großen Erzählung“: „An die Leerstelle der ideologischen ‚Großen Erzählungen‘ ist der Neoliberalismus als Praxis getreten, der jegliche weiterführende Perspektive und die Suche nach Meta-Narrativen als ‚ideologisch‘ diffamiert.“ (STZ, 1/2016, S. 66). Genau das ist die Falle, in die jede vehemente kirchliche, spirituelle, pastorale und schließlich auch pastoral-theologische Intention hineintappen kann. Sie will mit Macht einer „Großen Erzählung“ eine andere „Große Erzählung“ entgegensetzen. Wenn wir als Männer auf spirituellen Wegen eine „Große Erzählung“ suchen, dann finden wir die faszinierende Vielfalt männlicher Spiritualität und, dass diese Spiritualität auszog, die Liebe zu suchen … „Und sagt mir einer, ich sei ein Träumer, ein Spinner, das mag sein, jedoch ich träume mit Dir und anderen, ich träume und ich spinne nicht allein …“
Andreas Oshowski
KMB-Diözesanreferent Salzburg, Supervisor ÖVS