Das "Outing" des Vaters
Nach der Arbeit ging mein Vater gerne mit seinen Arbeitskollegen auf ein Bier. Das war zuhause immer daran zu erkennen, dass er sein Lieblingslied sang: „Schau, schau, wias regna tuat und wia d’Sun abascheint.“ Meine (Stief-) Mutter war davon nicht so begeistert.
Tief betroffen macht mich noch immer folgende Erfahrung meines Vaters, die nicht er mir erzählt hat, sondern sein Bruder, mein Onkel-Karl, erst kurz vor seinem Tod: Mein Vater wurde – wie andere Jugendliche auch – vom damaligen Pfarrer sexuell missbraucht. Erst viel später war das im Ort ein Thema. Mein Vater hat das einmal bei einem Treffen mit seinen Freunden angesprochen. Das drang irgendwie auch zu dem betroffenen Pfarrer durch. Das wiederum hatte zur Folge, dass die ganze Familie meines Vaters im Dorf gleichsam geächtet wurde. Der Vater meines Vaters, also mein Großvater, bewarb sich um die Stelle als „Wegmacher“ im Ort. Aber diese bekam er aufgrund des „Outings meines Vaters“ nicht.
Zeitrahmen der Erzählung: 1920 - 1930
Beruf des Erzählers: Betriebsrat
Beruf des Vaters: Arbeiter und Betriebsrat