Beruf und Familie: Wie soll das gehen?
Die 18. Auflage der MÄNNER Vortragsreihe, organisiert von der Katholischen Männerbewegung mit der VHS Linz/Wissensturm, begann gleich beim ersten Vortrag vergangenen Montag, 5.11.2013, mit einem Paukenschlag. Den interessierten Zuhörern wurde exklusiv und das erste Mal überhaupt in einem öffentlich zugänglichen Rahmen erläutert, wie die Frauen und Männer heute ticken.
Die Vortragenden, Dr. Petra Steinmair-Pösel und Prof. DDr. Paul Michael Zulehner präsentierten einen Längsschnitt der Veränderung männlichen und weiblichen Rollenverständnisses. Angefangen bei der ersten Männerstudie, die 1992 im Auftrag der Katholischen Männerbewegung erstellt wurde, bis zu den brandaktuellen Auswertungen der Daten vom Dezember 2012.
Die wichtigsten Ergebnisse
So ist es 2012 von Männern wie von Frauen erwünscht, dass die Frau durch ihre Tätigkeit im Beruf Unabhängigkeit und Selbstwert erlebt. Dieses Ergebnis kann und soll auf den ersten Blick einen durschlagenden Erfolg der emanzipatorischen Bemühungen der Frauenbewegung zum Ausdruck bringen. Die Anliegen der Frauenbewegung haben in den vergangenen 20 Jahren zu einer grundlegenden Verschiebung des traditionellen Modells des Mannes als Ernährer der Familie und der Frau als Versorgerin im Haushalt geführt. Moderne Frauen und Männer wollen ihre Verantwortung in der Hausarbeit gemeinsam tragen. Dennoch zeigt sich immer noch ganz deutlich, dass Frauen den Löwenanteil in der Hausarbeit übernehmen, egal ob es sich um moderne oder traditionell geprägte Frauen handelt.
Dieses Bild ergänzend haben die Frauen und Männer 2012 die ganz konkrete Erfahrung, dass es schlicht notwendig ist, mittels zweier Einkommen das Auskommen zu finden. Familien sind durch die Anforderungen modernen Konsumverhaltens somit unter Zugzwang, beide Elternteile im Erwerbsprozess zu halten.
Das erzeugt Druck und Überforderung und führt in modernen Lebensentwürfen, in denen gleiche Arbeitsteilung in der Hausarbeit und Erwerbsarbeit gelebt wird auch dazu, dass Kinder immer stärker als unerwünschte Störung in der Lebensplanung bewertet werden. Unter dem Motto: Kinder sind wichtig, aber bitte nicht ich. So überrascht es auch nicht, wenn in der Studie der überwiegende Teil der modernen Männer und Frauen dem Thema Pflege der Eltern eine ganz klare Absage erteilt und diese am Liebsten an professionelle Institutionen auslagern möchte. Diese beiden Befunde zeigen einen dramatischen Wandel von der generationsübergreifenden Solidargemeinschaft zur ökonomischen Betrachtung von Leistung(-sbereitschaft) und Nutzen.
Herausforderungen für die Politik
Männer und Frauen leiden gleichermaßen unter dem Druck, der durch die zunehmende Ökonomisierung auf Familien einwirkt. Sie reagieren aber unterschiedlich darauf.
Eine der größten Überraschungen der Studienergebnisse zeigt sich in einer Retraditionalisierung männlichen Rollenverhaltens in den vergangenen 10 Jahren. Viele moderne Männer von 2002 haben sich angesichts der ökonomischen Herausforderungen der vergangenen Jahre wieder auf traditionelle Werte besinnt und sehen sich wieder viel stärker als Erwerbsmänner. Bei den Frauen hat sich die Tendenz von den modernen Frauen stark in Richtung pragmatischer Umgang der Vereinbarkeit von Beruf und Familie verschoben.
Die ursprüngliche These der Studienautoren muss angesichts dieser jüngsten Daten nochmals radikal in Frage gestellt werden. 1992 ging man davon aus, dass ein natürlicher Entwicklungsprozess vom traditionellen Mann (A) zum modernen Mann (B) seitens der Politik aber auch der Männerarbeit befördert werden soll. 2012 zeigt sich, dass die entscheidende Frage in der Gleichstellungspolitik anders beantwortet werden muss. Es gibt keine natürliche Entwicklung von A nach B. Die überwiegende Mehrheit von Männern und Frauen beheimatet sich je nach Lebensphase in ganz unterschiedlichen Typen: mal traditionell, mal suchend, pragmatisch oder modern.
Die politische Herkulesaufgabe der Zukunft liegt also darin, die Gestaltung der Wahlfreiheit zu ermöglichen. Männer und Frauen 2012 sollen im switchen(Wechseln) ihrer Rollen gefördert werden. Die klassischen Zuschreibungen von erwünschtem und unerwünschtem, bzw. richtigem und falschem Verhalten wurden ersetzt durch individuelle Bewertungskategorien. Diese richten sich danach, ob ein bestimmtes Verhalten für mich in der derzeitigen Lebensphase als nützlich und unterstützend oder als hindernd erlebt wird.
Wolfgang Schönleitner, 6.11.2013