Männerfreundschaften
Männerfreundschaften
Ein Dialog aus einem Krimi, zwischen der Hauptkommissarin Anna und einem mit ihr befreundeten Kellner (Bielefeld & Hartlieb, Auf der Strecke. Ein Fall für Berlin und Wien, Seite 304):
„Hast du eine Ahnung, wie eng Kupfer und Pucher waren?“ „Na, schwul waren sie nicht. Hatten beide gerne schöne Frauen um sich.“ „Das weiß ich auch. Aber waren sie wirklich befreundet? So eine richtige Männerfreundschaft?“
An dieser Stelle betritt Annas Freundin Andrea den Raum:
„Na, was habt ihr denn für Themen? Männerfreundschaften? Die wirklich wahren Freundschaften gibt es nur unter Frauen!“
Männerfreundschaften – ein Mythos?
Geht es nach dieser Romanfigur Andrea, sind Männerfreundschaften ein Mythos, etwas, von dem wir höchstens glauben, dass es sie (irgendwo) gibt – ähnlich dem Mythos Atlantis. Allerdings hält diese klischeehafte Sicht einer Überprüfung durch die Wirklichkeit nicht stand.
Definitionssache
Geballte Ansammlungen (Gruppen) von Männern sind nichts Ungewöhnliches: im Wirtshaus am Stammtisch, Biker on tour, Junggesellenabschiede, … Häufig erlebt man männliche Jugendliche, die miteinander „abhängen“ und (gefühlt) immer nur zusammen auftreten. Gewiss entstehen auch in diesen Gruppen Freundschaften, doch soll es hier v.a. um Freundschaften zwischen einzelnen Männern gehen, die sich gerade nicht über ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl definieren.
Männerfreundschaften in der Geschichte
Ein kurzer (der Sache eigentlich nicht gerecht werdender) Blick in die Geschichte verrät: Männerfreundschaften gab es schon immer und waren häufig auch gesellschaftlich höher bewertet als heute. Von Aristoteles bis Nietzsche haben Philosophen das „Hohelied auf die Freundschaft“ angestimmt.
Ein Leben ohne Freunde ist ein gescheitertes Leben.
Aristoteles (384–322 v. Chr.)
Gerade nicht um Männerfreundschaften in der Gruppe ging es bei ihnen, sondern um wenige, dafür umso wertvollere Beziehungen zwischen einzelnen Männern:
Vielen Freunden Gegendienste zu leisten ist beschwerlich, und es zu vollbringen, ist das Leben nicht lang genug. Daher sind mehr Freunde, als für das eigene Leben genügen, überflüssig und der Ausübung der Tugend hinderlich, und so bedarf man ihrer nicht.
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1170b (IX, 10.)
Es seien noch die Comedian Harmonists erwähnt, die 1930 in dem Lied „Ein Freund, ein guter Freund“ die Männerfreundschaft als ultimatives Mittel gegen Liebesschmerz empfahlen:
Drum sei auch nie betrübt,
wenn Dein Schatz Dich nicht mehr liebt.
Ein Freund, ein guter Freund,
das ist der größte Schatz, den es gibt.
Und in der Bibel?
Im Alten Orient war der Einzelne fest eingebunden in die Familie, welche ihrerseits in eine Sippe sowie einen Stamm eingegliedert war. Freundschaftliche Beziehungen unter Nichtverwandten spielten daher kaum eine Rolle. Es überrascht also nicht, dass das Hebräische kein spezielles Nomen besitzt, das dem deutschen Wort „Freund“ bzw. dem griechischen philos entspricht. Trotzdem ist das Phänomen der Freundschaft in den altorientalischen Kulturen und so auch im Alten Testament bekannt. Ob von Freundschaft die Rede ist oder ob der Freund bzw. die Freundin gemeint ist, entscheidet sich in den alttestementlichen Büchern mit hebräischem Urtext am Kontext.
„Und Jonatan liebte David wie sein eigenes Leben …“
Die bekannteste (und einzige intime, intensive) Männerfreundschaft der Bibel ist jene zwischen David und Jonatan. Unter König Saul wurden Sauls Sohn Jonatan und der Hirtenjunge David Freunde. Dicke Freunde. Den zweiten Teil des Zitats der Comedian Harmonists hätten beide unterschrieben. Im 1. Buch Samuel lesen wir: „Nach dem Gespräch Davids mit Saul schloss Jonatan David in sein Herz. Und Jonatan liebte David wie sein eigenes Leben. Saul behielt David von jenem Tag an bei sich und ließ ihn nicht mehr in das Haus seines Vaters zurückkehren. Jonatan schloss mit David einen Bund, weil er ihn wie sein eigenes Leben liebte.“ (1 Sam 18,1–3) Dem König wird David bald zu beliebt im Volk, und so verspricht Saul ihm mit üblen Hintergedanken, sein Schwiegersohn werden zu können (1 Sam 18,10–30). David überlebt verschiedene Mordabsichten Sauls, einmal unter Vermittlung seines Freundes Jonatan (1 Sam 19,1–7).
Wahre Freundschaft bringt oft Schmerzen mit sich
Als David schließlich fliehen muss, ist der Abschied ein schmerzhafter: „Dann küssten sie einander und beide weinten, am heftigsten aber David. Jonatan sagte zu ihm: Geh in Frieden! Für das, was wir beide uns im Namen des HERRN geschworen haben, sei der HERR zwischen mir und dir, zwischen meinen und deinen Nachkommen auf ewig.“ (1 Sam 20,41f) Später erfährt David vom Tod Sauls und Jonatans, und wieder weint er (2 Sam 1,12) und stimmt die Totenklage an: „Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan. Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen.“ (2 Sam 1,26)
Gerade wegen dieses letzten Verses wurde und wird oft vermutet, zwischen dem schönen, rothaarigen David (1 Sam 16,12; revEÜ), der durchaus Frauen sexuell begehrte (siehe Batseba; 2 Sam 11), und Jonatan wäre mehr gewesen als Freundschaft: Die beiden hätten eine homoerotische Liebe zueinander geteilt. Ganz abgesehen von der Frage nach der Historizität, die ich hier ausblende, lässt es der Text offen bzw. bestätigt es nicht: Nirgendwo in 1 Sam finden sich sexuelle Handlungen der beiden beschrieben. Außerdem war bei Freundschaften der Antike (wie auch später noch) das Vokabular – und der Umgang unter Männern – durchaus „erotischer“ (im Sinne von „körperlicher“ wie Umarmungen, Begrüßungsküsse) als heute in Mitteleuropa. Zum Vokabular vgl. nur die dreifache Frage des Auferstandenen an Petrus: „Liebst du mich?“ (vgl. Joh 21,15–19)
Ijobs Freunde
Der Beginn des Buches Ijob zeigt, dass in biblischer Zeit die Großfamilie das Um und Auf des alltäglichen Lebens war. Als jedoch immenses Leid über Ijob hereingebrochen und seine Großfamilie ausgelöscht ist, treten seine Freunde auf: drei an der Zahl, aber nicht „beste Kumpel“ untereinander, sondern „jeder aus seiner Heimat: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama“ (Ijob 2,11). Typisch Mann, könnte man beim schnellen Drüberlesen unterstellen: „Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und keiner sprach ein Wort zu ihm.“ (2,13) Doch Ijobs Freunde machen das, was wirklich gute Freunde im Leidfall tun: einander besuchen, Anteilnahme bezeugen, trösten (2,11), mitweinen (2,12), im Leid mit ausharren, ohne es zu zerreden (2,13). Das Schweigen unter Männern kann eine ganz eigene Kraft haben. Die anschließenden Reden und Gegenreden (Ijob 3 – 31) machen zwar deutlich, dass viele Worte unter Freunden leicht zu Zerwürfnissen führen können, helfen aber doch auf ihre Weise; Ijob bekommt dadurch mehr Klarheit.
Jesu Freunde
Zwischen Jesus und seinen Jüngern und Jüngerinnen bestand ein Autoritätsverhältnis vom Meister zu Schülern (vgl. Mk 1,17; Rabbi-Anrede in Mk 9,5; 11,21; 14,45; Joh 1,38; …). Sie waren keine Horde bester Freunde, die von Ort zu Ort zogen, um gemeinsam „abzuhängen“. Nichtsdestotrotz dürfen wir davon ausgehen, dass im Lauf der Zeit durch den intensiven Kontakt freundschaftliche Beziehungen entstanden sind: mit Maria aus Magdala (vgl. Joh 20,11–18), Petrus (siehe oben: „Liebst du mich?“), … Im Rückblick konnten es die Verfasser des Johannesevangeliums, die das Jesusereignis theologisch wie spirituell intensiv durchmeditierten, (aus dem Mund Jesu) auf den Punkt bringen: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde (griech. philoi) hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; ... Vielmehr habe ich euch Freunde genannt“ (Joh 15,13–15) Auch die Figur des Jüngers, den Jesus liebte (öfters ab Joh 13,23), spricht eine deutliche Sprache.
Das Neue Testament ist durchaus schon stärker geprägt von der griechisch-römischen Antike, in der (Männer-)Freundschaft wie gesagt einen größeren Stellenwert hatte. Jedoch bleibt die Rede von der Freundschaft (und der Liebe!) rein johanneisch.
Weitere biblische Aspekte
„Der Freund erweist zu jeder Zeit Liebe“ (Spr 17,17), seine Herzlichkeit erfreut einem (Mann) das Herz (Spr 27,9), einem guten Freund erweist Mann sein Erbarmen (Ijob 19,21), einen Freund schließt Mann in seine Gebete mit ein (Ijob 42,10) und Männer warnen einander vor Gefahren (Apg 19,31).
Der Blick in die Bibel, die Geschichte und auch in unseren Alltag offenbart: Männer-freundschaften sind kein Mythos, sondern eine Bereicherung für das Leben jedes Mannes!
Rainer Haudum, Theologe und Seelsorger
Zwei sind besser als einer allein …
Koh 4,9
Auch interessant