JONA
Der Prophet Jona wird im 2. Buch der Könige als „Jona ben Amittai“ erwähnt, also als „Jona, der Sohn Amittais“ (2 Kön 14,25). Der Prophet Jona hat also einige Jahrhunderte vor der Verfassung des Buches gelebt, denn die Bibelwissenschaft ist sich einig, dass es erst nach dem babylonischen Exil geschrieben wurde, vermutlich im 4. Jh. v. Chr. Daraus lässt sich eindeutig schließen, dass es sich beim Buch Jona um eine Lehrerzählung handelt und keinesfalls um einen historischen Bericht. Der sogenannte Jonapsalm (Jona 2,3-10) wurde später in die Jonaerzählung eingefügt.
Jona, ein Anti-Held
Jona verweigert, zweifelt, flüchtet, bockt. Sehr schnell stellt sich die Frage: Worin kann/soll er uns eigentlich ein Vorbild sein?
Das Jonabuch erzählt eine Geschichte, aus der keiner so herauskommt, wie er hineingegangen ist: die Seeleute nicht, die Menschen und Tiere(!) aus Ninive nicht, Jona nicht und auch Gott nicht. Alles kann sich ändern, wenn’s um Leben geht. Wir haben es mit einem Gott – die heimliche Hauptperson des Buches! - zu tun, der unablässig Grenzen überschreitet. Gottes Wort und Wirken tut sich kund in dem, was sich ereignet: in den Naturgewalten, in Begegnungen mit Menschen, Pflanzen und Tieren (im großen Wind, im großen Sturm und stürmischen Meer, im großen Fisch, im Trockenen, auf dem Jona landet, im Rhizinusstrauch, im Wurm, im sengenden Ostwind und in der stechenden Sonne).
Von einer Glaubensenge zu innerer Weite
Der Erzähler des Jonabuches möchte für einen Glauben werben, der sich furchtlos auch auf die unvertraute Welt einlässt ohne sie gleich vorzuverurteilen. Es könnte ja sein, dass dort vielleicht manchmal mehr Glaube und Hoffnung zu finden ist als im eigenen Umfeld. Jona jedenfalls macht gleicht zwei Mal diese Erfahrung. Das Jonabuch wirbt dafür, Gott noch einmal wesentlich größer zu sehen in seinen Möglichkeiten, als es unser begrenzter Menschenverstand zulässt. Schwarz-Weiß-Denker oder Menschen mit einem engen und unabänderlichen Glaubenssystem tun sich vermutlich schwer mit diesem Buch der Bibel.
Die Jonaerzählung will den Blick auf den eigentlichen Sinn der Erwählung Israels lenken: Erwählung, um als Werkzeug zu Heil und Rettung für alle zu dienen. Sie wendet sich also gegen jeden Isolationismus und exklusiven Erwählungsanspruch. Wir treffen auf eine göttliche Weite, die Jona überfordert.
Der Gott des Rechtes bewegt zur Umkehr und erweist sich darin als Gott der Vergebung und des Strafverzichts, weil er ein Gott der grenzenlosen Liebe zu allem Lebendigen ist. Von dieser Liebe lebt auch der Prophet. Dieser Gott hat Interesse an der Rettung und Befreiung der Menschen. Jonas eigene Umkehr zum barmherzigen Gott bleibt offen.
Jona - eine wichtige Gestalt unserer Glaubensgeschichte
Der Verfasser des Jonabuches betreibt seine Theologie nicht belehrend, sondern mit Humor, mit feiner Ironie und Sprachwitz. Auch dieses Einladende seiner Sprache gehört zu seinem Glauben und seinem Bild von Gott. Jona wird mit vielen „lästigen“ Fragen konfrontiert, besonders kommen diese von Gott. Deshalb werden wir am Ende des Buches auch mit einer Frage entlassen und nicht mit einer „Moral von der Geschichte“.
Viele Motive aus dem Jonabuch finden sich in den Evangelien des Neuen Testaments wieder:
- Der Aufruf zur Umkehr
- Die Geschichte vom Seesturm (Mk 4,41; Mt 12,41 par.)
- Jona als Zeichen (Mt 12,38-41, Lk 11,29-30): Tod und Auferweckung
- Die Heilszusage Gottes gilt für alle Völker
- Parallelität Jona – älterer Sohn im Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15). Auch hier bleibt offen, wie der ältere Sohn sich zur Botschaft des Vaters weiter verhält.
- Skandal, sich mit Sündern einzulassen (Lk 15, 1f.) – Jesus hatte oft viel mehr Mühe mit den besonders Frommen seiner Zeit als mit den „Zöllnern und Sündern“.
Die Gestalt des Jona bzw. Motive des Buches Jona wurde vielfach in der Kunst- und Literaturgeschichte aufgriffen. Zum Beispiel bekommt Jona eine besondere Stellung in Michelangelos „Jüngstem Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle: Jona ist hier an zentraler Stelle als leidenschaftlicher und leidender, als niedergeworfener und aufsässiger Mensch gezeichnet.
Grundlegende Fragen an unser Leben und unseren Glauben
Das Buch Jona fordert uns existentiell heraus, wenn wir uns auf die Tiefe der Erzählung einlassen. Es eröffnen sich viele persönliche Fragen und Anfragen an unser Leben und an unseren Glauben:
- Was ist die „Mission“ meines Lebens? Folge ich ihr oder laufe ich davon, wenn es schwierig wird?
- Wo stellt(e) das Leben mir Fragen, die mich in meinen selbst zusammengezimmerten Sicherheiten zutiefst erschüttern (erschüttert haben)?
- Ringe ich auch manchmal mit dem Gottesbild meiner eigenen Tradition?
- Wo hat mich das Leben gezwungen, nicht nur meine Sichtweisen, sondern mein Leben selbst zu ändern?
- Gibt es Situationen in meinem Leben, wo ich am Ende war und nicht mehr wollte?
- Kenne ich die Erfahrung des Gebets aus der Tiefe?
- Kenne ich Erfahrungen von Wandlung in der Tiefe, im Dunkel?
- Habe ich Lebenserfahrungen, die ich als Verlust des Schattens beschreiben könnte?
- Was ist mein Verständnis von Gerechtigkeit?
- Kann Schuld nur durch Strafe gesühnt werden?
- Habe ich in meinem Leben/Glauben grundlegende Haltungen/Meinungen geändert? Was waren Anlässe dafür?
- Fühle ich mich manchmal hin- und hergeworfen zwischen Wunsch und Realität?
- Kenne ich bei mir eine Distanz zu Menschen anderer Kultur oder Religion oder eine Tendenz zur Abgrenzung aus einem Gefühl der moralischen Überlegenheit?
Wolfgang Bögl, Theologischer Assistent der KMB OÖ