Der Apostel Paulus
Paulus – Steckbrief
- Er wird um das Jahr 10 n.Chr. in Tarsus in Kilikien geboren (heutige Südtürkei). Kilikien ist damals eine römische Provinz.
- Er trägt von Geburt an den Doppelnamen Saul(us)-Paulus.
- Er ist ein hochgebildeter (Diaspora-)Jude und gesetzestreuer Pharisäer. Er studiert in Jerusalem (bei Rabbi Hananias).
- Er spricht Hebräisch, Griechisch und Latein. Und er ist gebildet in hellenistischer Philosophie und Rhetorik.
- Neben seiner Schriftausbildung lernt er nach jüdischem Brauch auch das Handwerk des Zeltmachers.
- Berufungserlebnis um das Jahr 33 n.Chr.
- Er öffnet den neuen Glauben auch für Nichtjuden.
- Sein Tod wird in den Jahren 60-65 n.Chr. datiert.
Woher wissen wir etwas über Paulus?
Die wichtigste Quelle sind die paulinischen Briefe („Corpus Paulinum“). In der historisch-kritischen Forschung ist die direkte Autorenschaft von Paulus bei 7 Briefen unstrittig:
- Römerbrief
- 1. Korintherbrief
- 2. Korintherbrief
- Galaterbrief
- Brief an die Philipper
- 1. Brief an die Thessalonicher
- Brief an Philemon
Diese 7 Briefe sind zw. 50 und 60 n. Chr. verfasst worden. Alle anderen Briefe werden sehr wahrscheinlich erst später und im Namen des Paulus geschrieben. Die paulinischen Schriften können wir als die wohl ältesten Gründungsdokumente einer christlichen Theologie betrachten.
Es gibt dann auch noch 7 weitere Briefe, die ziemlich sicher nicht von Paulus selbst, aber von einer nachfolgenden "paulinischen Schule“ in seinem Namen verfasst worden sind:
- Brief an die Kolosser
- Brief an die Epheser
- 2. Brief an die Thessalonicher
- Die beiden Briefe an Timotheus
- Brief an Titus
- Brief an die Hebräer
Die zweite wichtige Quelle ist die Apostelgeschichte.
Verfasser der Apostelgeschichte ist der Evangelist Lukas und wir erfahren dort vieles von Paulus, besonders von seinen Missionsreisen, die sich weit über die hellenistisch geprägten Gebiete Kleinasiens und Griechenlands und schließlich bis nach Rom gezogen haben.
Die Niederschrift der Apostelgeschichte wird überwiegend zw. 80 und 90 n.Chr. datiert. Die Kirche beginnt damals gerade, sich auf die politische und kulturelle Wirklichkeit des Römischen Reiches einzustellen.
- Berufung des Paulus (Apg 9,1-22)
- Apostelkonzil - Entscheidung, auch die sogen. Heidenchristen in das Gottesvolk aufzunehmen (Apg 15,1-29)
- Die Missionsreisen des Paulus (ab Apg 14)
Aspekte und Facetten in der Persönlichkeit und Botschaft des Paulus
In der Folge werden in der Auseinandersetzung mit Paulus männerrelevante Themen und Aspekte herausgearbeitet. Die Verweise auf entsprechende Bibelstellen laden dazu ein und sind eine Empfehlung, auch die Originaltexte aus den paulinischen Briefen bzw. aus der Apostelgeschichte zu lesen.
Paulus, der Verletzliche
Paulus ist von seiner Statur her offenbar ziemlich klein (Paulus=Der Kleine), vielleicht auch ein wenig krumm. Er hat ein leidenschaftliches Temperament, ist beseelt und getrieben von seinen inneren Werten und Überzeugungen. Er macht eine Wandlung durch vom Christenverfolger zum glühenden Anhänger des neuen Weges, den Jesus vorgezeichnet hat.
In seinem Bekehrungs- oder Berufungserlebnis (Apg 9,3-29) wird er von einer ideologischen Überheblichkeit ins verletzliche, erdnahe Leben heruntergeworfen. Von diesem Erlebnis lässt er sich in seiner Tiefe verwandeln. Er spürt eine Sendung in sich, der er mit seiner ganzen Kraft folgt. Und er ist immer wieder bereit, bis an seine Grenze zu gehen um zu entdecken, wie viel Kraft in ihm steckt.
Paulus, der Schwierige
Paulus ist sicherlich auch ein schwieriger Zeitgenosse. Wir sehen bei ihm bisweilen eine übertriebene Empfindlichkeit, er gebärdet sich rechthaberisch und aggressiv (Gal 5,12), manche entdecken in ihm auch eine neurotische, zwanghafte Persönlichkeitsstruktur. Er hat eine eigenartige körperliche Krankheit, möglicherweise Epilepsie oder eine andere neurologische Erkrankung.
Erst die Botschaft Jesu kann Paulus schließlich befreien von seiner Zwanghaftigkeit und Angst, nicht gut genug zu sein. Er entspricht so überhaupt nicht dem Bild eines Superhelden und doch ist er unglaublich wirksam. Er hat gelernt sich zu zeigen, wie er ist - auch mit seiner Krankheit und mit seinen psychischen Defekten (2 Kor 12,7). So bietet er auch Männern eine Identifikationsmöglichkeit, die dem (noch immer) vorherrschenden Männlichkeitsideal von Kraft und Stärke nicht entsprechen.
Paulus, ein Frauenfeind?
Hier bietet sich uns ein sehr ambivalentes Bild. Einerseits arbeitet Paulus sehr eng und viel mit Frauen zusammen, vertraut ihnen wichtige Leitungsaufgaben in den Gemeinden an (vgl. Röm 16). Er steht auch in engem Kontakt mit Ehepaaren. Andererseits sind da seine (aus unserer heutigen Sich) problematischen Aussagen zu den Themen Sexualität und der Stellung der Frauen in Partnerschaft und Gesellschaft (Eph 5, 21-33; 1 Kor 14,34f). Paulus lebte als Single und er betrachtete das als Vorteil für seine Sendung und Berufung. Es fehlte ihm aber die Erfahrung von tiefer Verbundenheit in einer Partnerschaft.
Paulus, der Vermittler und Übersetzer
Paulus verkündet die Botschaft Jesu in den hellenistisch und römisch geprägten Kulturraum. Er ist ein hochgebildeter Rabbiner und beherrscht drei Sprachen (Hebräisch, Griechisch, Latein). So macht er eine großartige Übersetzungsleistung der Botschaft Jesu in das Denken und in die Sprache der damaligen Weltmächte. Man könnte das auch als Inkulturation der christlichen Botschaft in diese Zeit und Welt bezeichnen („Dem unbekannten Gott“, Apg 17,23). Dominierenden griechisch-römischen Männerbildern (Kaiserkult) stellt er ein ganz anderes Bild von Männlichkeit gegenüber, das für ihn in Jesu Leben, Wirken, Sterben und Auferstehen sichtbar und erfahrbar wird.
Paulus, der Versöhnliche
Paulus ist in seinem Denken stark geprägt von der hellenistischen Philosophie und er kann als ein „Meister der Dialektik“ bezeichnet werden (Weisheit-Torheit, Stärke-Schwäche, Altes-Neues). Es geht ihm um ein Aufheben von Polarisierung, also nicht das „Entweder-oder“, sondern das „Sowohl-als auch“ prägen sein Denken. Wir Menschen sind voller (innerer und äußerer) Gegensätze, die darauf warten miteinander versöhnt zu werden (Eph 2,15; Gal 6,15). Das Thema der Versöhnung ist überhaupt ein zentrales, wenn nicht das zentrale Thema seiner Verkündigung (2 Kor 5,18).
Paulus, der Prophet
Mit seiner Machtkritik gegenüber weltlicher und religiöser Macht steht er auch ganz in der Tradition der großen biblischen Propheten (Apg 22,30-23,11). Er nimmt sich also auch öffentlich kein Blatt vor den Mund, er sucht die Auseinandersetzung und stellt sich der Öffentlichkeit. Dafür muss er aber auch unglaublich viel einstecken: Ablehnung, Anfeindung, Gewalt und Schläge, Gefängnis (2 Kor 11,23-26).
Paulus, der Mystiker
Bei Paulus treffen wir auch auf einen großen Mystiker. Er erfährt Jesus als seine innerste Mitte, als sein wahres Selbst (Gal 2,19f). Er wird innerlich mit Jesus eins. Als Bekehrter lebt und wirkt er nicht mehr aus sich selbst, sondern aus einer tiefen Verbindung mit Gott (1 Kor 15,10). In Paulus sehen wir die Verbindung von Mystik und Politik, von Kampf und Kontemplation verkörpert.
Paulus, der Verkündiger
Paulus hat in seinen Missionsreisen bzw. bei den Besuchen in den Gemeinden unglaubliche 16.000 km zurückgelegt. Er war gleichsam getrieben davon, die Botschaft Jesu in die Welt hinauszutragen. Es war ihm wichtig, das unter Berücksichtigung der Kultur der „Empfänger“ seiner Botschaft zu tun (Apg 17,16-34). Er versucht, durch sein eigenes Lebenszeugnis zu überzeugen. Zugleich gebärdet er sich aber auch immer wieder sehr streng und rigide in seinem missionarischen Eifer. Kritisch bleibt für uns in der Auseinandersetzung mit Paulus immer zu bedenken, was ein richtiges und angemessenes Verständnis von Verkündigung und Mission ist. Aus der 2000-jährigen Christentumsgeschichte wissen wir, wie viel Unterdrückung und Leid zu den Menschen gebracht worden ist.
Paulus, der Befähiger
Ein besonderes Charisma von Paulus war, dass er Menschen Verantwortung übertragen konnte. Er konnte sie dazu befähigen, die Gemeinden weiter wachsen zu lassen, und traute das Frauen und Männern gleichermaßen zu. (Röm 12,6-8; 1 Kor 12,8-10). Er vertraute seinen „Kontaktpersonen“ in den Gemeinden, seine Briefe zu erläutern und zu erklären. Eine besondere Eigenschaft von Paulus ist, dass er selber uneingeschränkte Verantwortung übernimmt für das, was er aufgebaut und angefangen hat. Er begleitet seine Gemeinden in seinen Briefen also auch aus der Distanz, baut auf, stärkt, tröstet.
Paulus, der Brückenbauer
Neben seiner integrativen Leistung hin zu anderen Kulturen, wirkte er auch sehr integrativ innerhalb der Gemeinden. Er sah Vielfalt und Unterschiedlichkeit als etwas Positives, er konnte Gegensätzliches miteinander verbinden (1 Kor 12,1-11). So ist in seinen Briefen immer wieder auch Thema: Wie gehen wir mit denen um, die nicht Teil der Gemeinde sind? (Gal 2,11–21) Interessant ist auch zu beobachten, dass Paulus in der Begleitung der Gemeinden bei Fragen und Problemen immer „maßgeschneiderte“ Lösungen für die jeweilige Gemeinde liefert und keine „gesamtkirchlichen Lösungen“.
Paulus, der Mentor
Paulus wir für Timotheus zu einem väterlichen Mentor (Apg 16,3). Wir können in Paulus auch einen Mentor sehen, der uns vorausgegangen ist auf dem Weg der inneren Befreiung. An ihm können wir sehen, wie es bei einem Mann durch ein massives Lebensereignis zu einer Umkehrung der bisherigen Werte kommt. Eine Wandlung von einem starken und machtbewussten Mann zu einem berührbaren und verletzlichen Mann. Er spricht in seinen Briefen offen über seine Gefühle (1 Kor 9,1-3). Er betont eine sanfte Tugend wie die Liebe. Und er bekennt, dass er abhängig ist – von der Gnade Gottes.
Die Gestalt des Paulus fordert uns geradezu dazu auf, uns mit unseren inneren Antreibern auseinander zu setzen. Wahre Kraft und Stärke können in uns Männern oftmals gerade dann erwachsen, wenn wir mit unseren Kräften am Ende sind, wenn wir Schiffbruch erleiden, mit Blindheit geschlagen oder in uns selber gefangen sind. Eine Ermutigung für alle, die erst nach langer Zeit merken, dass es so wie bisher nicht weitergeht, dass ihr derzeitiger Weg in die Krise führt: Ein radikaler Neuanfang muss keine Schwäche sein (was besonders Männer fürchten!), sondern kann das Leben stärken – für sich und für andere.
Paulus nimmt auch die tiefe männliche Sehnsucht nach väterlicher Anerkennung auf. Wir Männer versuchen oftmals unbewusst unser Leben lang, die Liebe und Anerkennung unserer Väter zu erlangen. Wenn das Bild eines Sohnes mit Würde (vgl. Gal 4,6) in unserer Männerseele wirkt, können wir uns entspannen, einfach nur sein, ohne ständig etwas tun oder beweisen zu müssen.
Paulus, der Befreier
Wir verdanken Paulus ein „auflagenfreies“ Christentum. Seine Theologie überwindet mit dem Gedanken der Freiheit das Eingezwängtsein in Ritualen, Geboten und Verboten, in Gesetzen und Gericht. Vielmehr geht es um Vertrauen und Zutrauen, um Befähigung, Ermächtigung und um ein Teilen von Verantwortung. Und über allem steht die Liebe (1 Kor 13,1-13).
Mit seiner Botschaft vom Glauben als Geschenk und Gnade - jenseits von jeder Machbarkeit und Leistung! - ist und bleibt Paulus ein Stachel im Fleisch einer leistungsorientierten Männerwelt (vgl. Röm 3,28).
Fazit: Paulus ist ein Vertreter einer befreienden Spiritualität. Machen wir uns im kommenden Arbeitsjahr mit ihm auf die Suche und auf den Weg!
Mag. Wolfgang Bögl, Theologischer Assistent der KMB Linz