Der Apostel Thomas
Der Apostel Thomas taucht in der Liste der Zwölf auf, die Jesus beruft, damit sie mit ihm unterwegs sind, um viel von ihm lernen zu können: Jesus erzählt so von Gott, dass Menschen Hoffnung schöpfen können und ihre eigene Gottesbeziehung als Antwort auf das Angebot der Liebe Gottes zu ihnen verstehen können. Jesus macht den Seinen vor, was es heißt, Menschen in die Mitte zu stellen und ihnen heilende und heilsame Begegnungen zu schenken. Zum Teil
stützt sich Jesus auf bisher Überliefertes, aber manches spitzt er zu im Sinne einer echten Liebe zu Gott, zu den Mitmenschen und einem guten Umgang mit sich selber. („Ich aber sage euch, …“)
Als im Johannes Evangelium im 14. Kapitel Jesus seinen Jüngern die Zusage gibt, dass er bei Gott eine Wohnung bereitet, ist es Thomas, der auf die Aussage Jesus hin, dass sie den Weg kennen, sagt: „Herr wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg wissen?“ Die Antwort Jesu lautet, dass er (Jesus) der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Schon da wird Thomas als einer geschildert, der nachfragt, es genauer wissen will.
Nach der Katastrophe der Kreuzigung Jesu war für seine Vertrauten nicht klar, wie es weitergehen wird und soll. Die Worte Jesu, dass er leiden und sterben werde und am dritten Tage auferstehen, haben sie wohl wahrgenommen, aber nicht wirklich gehört. Zunächst verkünden die Frauen die Botschaft von der Auferstehung. Später folgen Glaubenserfahrungen Einzelner, dass Jesus lebt, bis hin zur Begegnung mit dem Auferstandenen als Gruppe, bleibt Jesus mit seinen Jüngern in Kontakt.
Aber einer war bei dieser Begegnung nicht dabei: Thomas, genannt Didymus, Zwilling. Die Schilderungen der Begegnung mit Jesus Christus genügt ihm nicht. Er will mehr. Mehr an Kontakt, mehr an Erleben und Spüren. Warum er nicht da war, spielt keine Rolle. Sieben Tage Abwesenheit können für eine solche Situation sehr lange werden. Hat er eine einmalige Chance verpasst? Die Hoffnung war wohl da, dass der Auferstandene auch ihm die Chance auf eine Begegnung ermöglichen wird. Tatsächlich, am nächsten Sonntag im Kreis der Versammelten ist auch Thomas dabei. Seine persönlichen Wünsche auf Berührung und Erleben sind scheinbar nicht mehr nötig, als Thomas Jesus sieht. Er stimmt ein in das Glaubenszeugnis: „Mein Herr und mein Gott“.
Das Schöne an dieser Erzählung: die Gemeinde hält es aus, dass einer da ist, der zweifelt, der noch nicht so weit ist. Es gibt keine Vorwürfe, keinen erhoben moralischen Zeigefinger, sondern die Gemeinde hält Thomas ihre Türe offen, hält zu ihm. Zweifel dürfen und können ausgesprochen werden und die Gemeinde hält das aus.
„Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ Es ist keine Garantieerklärung, dass er sicher glauben wird, selbst, wenn alles so kommen sollte. Auch wenn er den anderen Jüngern und den Frauen gerne glauben würde, er zweifelt dennoch. Und selbst wenn seine Bedingung erfüllt ist, kann Thomas nicht im Voraus wissen, ob er dann wirklich glaubt oder weiter zweifelt. Was ihn letztlich zum Glauben führt, ist die persönliche Christusbegegnung. Es wird nicht geschildert, ob Thomas Hand an den Auferstandenen legt oder nicht. Dass er es nicht tut, verleiht der Botschaft eine größere Breitenwirkung, sonst bestünde die Gefahr, dass die Ambivalenz von Glaube und Zweifel mit dem Leben von Thomas zu Ende wäre. Da erweist sich der Evangelist Johannes als Theologe, der der Auferstehungserfahrung so eine Universalität
verleiht. Thomas ist hier auch als ein Repräsentant der damaligen johanneischen Gemeinde zu sehen. Deren zweifelnde Frage lautet ja: wie ist eine Beziehung zu Jesus möglich, wenn dieser nicht greifbar anwesend ist.
Thomas wird mit Zweitnamen Zwilling genannt. Könnte das heißen, dass Glaube und Zweifel Zwillinge sind? Es ist scheinbar gar nicht schlimm, wenn auch glaubenswillige Menschen Zweifel, Fragen etc. haben. Schlimm wird es da, wo Menschen aufhören nach Antworten zu suchen.
Jesus Christus geht verwundet aus der Leidensgeschichte hervor. Leid-, Kreuz- und Noterfahrungen von Menschen werden im christlichen Glauben ernst genommen, aber wir dürfen auch die Hoffnung haben, dass nicht diese Erfahrungen, sondern die Auferstehungserfahrungen das letztgültige Wort haben werden. Es könnte auch heißen, dass Jesus uns ermutigt: „Tut das nicht, dass ihr einander Wunden schlagt.“
Spätere Traditionen erzählen davon, dass Thomas in Indien (Thomaschristen) und Parthien missioniert haben soll. Die sogenannten Thomasakten sind eine apokryphe Apostelgeschichte aus dem 3. Jahrhundert. Diese erzählen romanhaft
über das Wirken von Thomas in Indien.
Mag. Hans Wimmer,
Geistlicher Assistent der KMB- Linz
Literatur:
Franz Kogler (Hg.), Herders Neues Bibellexikon, Freiburg 2008.
Hermann Kast, Die Zwillinge Glaube und Zweifel in: P. Christoph Heinemann OMI (Hg.), Gottes Wort im Kirchenjahr 2018, Lesejahr B – Band 2.
Norbert Wilczek, … dann glaube ich in: P. Christoph Heinemann OMI (Hg.), Gottes Wort im Kirchenjahr 2018, Lesejahr B – Band 2.