Der Innviertler Landwirt und Familienvater Franz Jägerstätter (20. Mai 1907 – 9. August 1943) hatte sich aus Glaubensgründen geweigert, mit der Waffe für das Nazi-Regime in den Krieg zu ziehen. Daraufhin wurde er vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt und vor 80 Jahren, am 9. August 1943, in Brandenburg an der Havel durch Enthauptung hingerichtet. Seit seiner Seligsprechung im Jahr 2007 wird der liturgische Gedenktag am 21. Mai, dem Tauftag Jägerstätters, begangen. Die Diözese Linz feierte am 20. Mai 2023, am Vorabend des Gedenktags und am Geburtstag Jägerstätters, eine Jägerstätter-Vesper unter der Leitung von Bischof Manfred Scheuer in der Linzer Ursulinenkirche. Die Kirche befindet sich in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Ursulinenkloster (heute Landeskulturzentrum). In der NS-Zeit war dort das Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis untergebracht, in dem Franz Jägerstätter von 2. März bis 4. Mai 1943 inhaftiert war, bevor er nach Berlin-Tegel verlegt und nach seiner Verurteilung in Brandenburg an der Havel hingerichtet wurde. Im Innenhof des Landeskulturzentrums Ursulinenhofs erinnert bis heute eine Gedenktafel an Jägerstätters Gefangenschaft in Linz.
Unter den Mitfeiernden der Gedenk-Vesper waren Bischof Manfred Scheuer, Landeshauptmann-Stellvertreterin Christine Haberlander in Vertretung von Landeshauptmann Thomas Stelzer, Jägerstätter-Biografin Erna Putz, Maximilian Mittendorfer als Vorsitzender des diözesanen Jägerstätter-Beirats und zahlreiche Beirats-Mitglieder. Musikalisch gestaltet wurde die Feier von einem Vokalensemble der Dommusik und Domkapellmeister Andreas Peterl an der Orgel.
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Aus allen Texten und Ansprachen beim Gedenken ging hervor, wie sehr Franz Jägerstätter bis heute Vorbild sein kann: durch seine Glaubensüberzeugung, seine Urteilskraft, seine Absage an das Böse, sein konsequentes Handeln und seine innere Freiheit auch in Gefangenschaft.
Ein Brief, den Franz Jägerstätter am 9. April 1943 aus der Haft zum 7. Hochzeitstag an seine Frau Franziska schrieb und der beim Gedenken vorgelesen wurde, verdeutlicht Franz‘ große Liebe zu Franziska und seine tiefe Glaubensüberzeugung: „Wenn ich so Rückschau halte und all dieses Glück und die vielen Gnaden, die uns während dieser sieben Jahre zuteil geworden sind, die manchmal sogar an Wunder grenzten, betrachte, und es würde mir jemand sagen, ‚Es gibt keinen Gott‘, oder: ‚Gott hat uns nicht lieb‘, und ich würde dies glauben, wüsste ich schon gar nicht mehr, wie weit es mit mir gekommen wäre. Liebste Gattin, weshalb sollte uns für die Zukunft so bange sein? Denn der uns bis jetzt erhalten und beglückt hat, wird uns auch weiterhin nicht verlassen, wenn wir nur das Danken nicht vergessen und im Streben nach dem Himmel nicht erlahmen. Dann wird unser Glück fortdauern bis in alle Ewigkeit.“
Landeshauptmann-Stellvertreterin Christine Haberlander betonte in ihrem Grußwort, Franz Jägerstätter sei ein eigentlich unpolitischer Mensch gewesen, der aber über ein besonderes Urteilsvermögen verfügte, das bis heute Mahnung und Auftrag sei. Jägerstätter sei in der Lage gewesen, das Böse zu erkennen. Aus dieser Erkenntnis heraus habe er eine schwere Gewissensentscheidung getroffen und sich – gestärkt durch den festen christlichen Glauben und unterstützt von seiner Frau Franziska – dem NS-Verbrechensregime verweigert. „Damit hat der eigentlich unpolitische Franz Jägerstätter ein beeindruckendes politisches Zeichen gesetzt: gegen Willkür und gegen Gewaltherrschaft, gegen Angriffskrieg und gegen Völkermord. Er ist damit weit über die Landesgrenzen hinaus zu einem Symbol jenes Oberösterreichs geworden, das dem Nationalsozialismus die Stirn geboten hat. Er ist damit eine Persönlichkeit, die uns in ihrem Glauben, ihrem persönlichen Mut und ihrem konsequenten Handeln Vorbild ist“, so Haberlander.
Von Franz Jägerstätter gehe eine dreifache Botschaft für die Menschen heute aus, wie Haberlander unterstrich: Erstens brauche es ein entschlossenes Auftreten gegenüber allen, die aus dem dunkelsten Kapitel der Vergangenheit nichts gelernt hätten. Zweitens seien Menschenrechte und Menschenwürde als oberste Richtschnur allen politischen Handelns zu betrachten. Drittens gelte es, an jenem Österreich weiterzubauen, das vor 78 Jahren als bewusster Gegenentwurf zum Nationalsozialismus entstanden sei. „Diese Botschaft hat uns Franz Jägerstätter hinterlassen, und sie gehört zu seinem Gedenken dazu“, so Haberlander.
Jägerstätter-Biografin Erna Putz gab in ihrer historischen Hinführung Einblicke in die Haftbedingungen im Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis und in Erinnerungen von vier Kriegsdienstverweigerern aus Lothringen, die mit Franz Jägerstätter inhaftiert waren. Sie waren im Jänner 1943 nach Linz überstellt worden. Dort mussten sie nach dem Eintreffen eine Goebbels-Rede anhören und wurden in dunkle Zellen gesperrt und mit schweren Fußfesseln an die Wand gekettet. Sie wurden als ‚gefährliche Burschen‘ und ‚Schwerverbrecher‘ bezeichnet und wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt. Die Fenster waren bis auf einen schmalen Spalt zugemauert und schwer vergittert“, schilderte Erna Putz die Zustände im Gefängnis, der ab März 1943 auch Franz Jägerstätter ausgesetzt war. Einer von Jägerstätters Zellengenossen, Lucien Weyland, berichtete: „Jägerstätter ist ganz anders gewesen als die anderen, er hat den ganzen Tag von seinen Kindern erzählt und von der Landwirtschaft und hat immer den Rosenkranz in der Hand gehabt.“
Die Franzosen seien in Linz abgeurteilt worden, hätten noch vor dem Richter den Eid auf den Führer ablegen müssen und seien und danach in Strafeinheiten gekommen. Sie hätten desertieren und in der Heimat bis Kriegsende untertauchen können, weiß Erna Putz. Franz Jägerstätter sei Anfang Mai 1943 nach Berlin überstellt worden, denn: „Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen ist ein schwereres Verbrechen als eine solche aus nationalen Gründen, deshalb musste er vor das Reichskriegsgericht“, so Putz. Nach Kriegsende hätten die Lothringer Kontakt zu Franziska Jägerstätter aufgenommen und so vom Schicksal ihres Mannes erfahren. „Seine Witwe war vor allem an den Haftbedingungen im Linzer Gefängnis interessiert, da sie sich öfter über verharmlosende Fernseh- oder Rundfunksendungen geärgert hatte.“ Solange sie lebte, habe sich Franziska Jägerstätter mit den Lothringern ausgetauscht, berichtet die Jägerstätter-Biografin.
Bischof Manfred Scheuer erinnerte in seiner Predigt an die innere Freiheit, die sich Franz Jägerstätter in der Diktatur und im Gefängnis bewahrt habe. Die äußere Gefangenschaft sei für Jägerstätter ein Ort der inneren Freiheit und des Friedens gewesen. Scheuer erinnerte in diesem Zusammenhang an eine Szene aus dem Film „Ein verborgenes Leben“ von Terrence Malick: Der Pflichtverteidiger legt Franz Jägerstätter eine Erklärung vor, mit der dieser sein Nein zum ungerechten Krieg widerrufen soll: „Unterschreiben Sie, und Sie sind frei!“ – „Ich bin ja frei“, so die verblüffende Antwort Jägerstätters. Scheuer wörtlich: „Der äußere Verblendungszusammenhang führte zu keiner Abstumpfung des Gewissens, die Meinung der Massen nicht zur Anpassung seiner Urteilskraft, die Nazi-Ideologie nicht zur Menschenverachtung und Gottlosigkeit.“ Jägerstätter habe nach seiner Verurteilung zum Tod an seine Frau Franziska geschrieben: „Wenn ich sie [diese Worte] auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre.“
Franz Jägerstätter habe „nicht zu groß von der Macht der Nazis gedacht und nicht zu klein von den Möglichkeiten Gottes mit ihm“, so der Bischof: „Er hat die Wahrheit gelebt in einer Welt der Lüge, die Liebe in einer Welt der Verachtung, er hat das Leben geliebt in einer Welt des Totenkopfes. Und er hat geglaubt in einer Welt der Blindheit und der Verblendung. Er hat mit seiner Entscheidung, mit seinem Zeugnis das Taufbekenntnis, die Absage an das Böse und das Glaubensbekenntnis verleiblicht.“ Der liturgische Gedenktag des seligen Franz erinnere an seinen Tauftag, an den 21. Mai 1907. Freiheit, Befreiung und Leben seien für das Sakrament der Taufe zentrale Wirklichkeiten, so Scheuer. Die Kraft der Entscheidung für das Reich Gottes zeige sich „im Mut zum Nein gegenüber Götzen, dem Mammon, gegenüber kollektiven Egoismen, zerstörenden Mächten, Ungerechtigkeit und Unterdrückung“, wie der Bischof betonte.
Predigt von Bischof Manfred Scheuer zum Nachlesen
Maximilian Mittendorfer, Vorsitzender des Jägerstätter-Beirats, lud zum Besuch der Jägerstätter-Ausstellung ein, die noch bis 23. Juni 2023 im Linzer Mariendom zu sehen ist. Unter dem Titel „Besser die Hände als der Wille gefesselt“ thematisiert die Ausstellung der Friedensbibliothek Berlin das Leben des seligen Franz Jägerstätter.
Öffnungszeiten:
20. Mai – 23. Juni 2023
Montag – Samstag 7.30 – 17.30 Uhr | Sonn- und Feiertag 12.30 – 17.30 Uhr
Mariendom Linz | Herrenstraße 26, 4020 Linz
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