Bischof Scheuer betonte in seiner Predigt, Franz Jägerstätter habe sich auch in äußerer Gefangenschaft seine innere Freiheit bewahrt und seinen Glauben bis zuletzt klar bezeugt.
Coronabedingt wurde das Gedenken anlässlich des 77. Todestages des oberösterreichischen Seligen Franz Jägerstätter, das für gewöhnlich zwei Tage dauert, auf einen Tag verkürzt; es fand mit beschränkter BesucherInnenzahl statt.
Jägerstätter-Gedenken in Corona-Zeiten. © Martin Pilgram
Der Innviertler Landwirt und Familienvater hatte sich aus Glaubensgründen geweigert, mit der Waffe für das Nazi-Regime in den Krieg zu ziehen. Daraufhin wurde er vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt und vor 76 Jahren, am 9. August 1943, in Brandenburg an der Havel durch Enthauptung hingerichtet.
Das jährliche Jägerstätter-Gedenken wird von der christlichen Friedensorganisation Pax Christi und der Pfarre St. Radegund organisiert. Unter den TeilnehmerInnen waren am 9. August 2020 u. a. die Jägerstätter-Töchter Maria Dammer, Aloisia Maier und Rosalia Sigl sowie weitere Familienmitglieder, Jägerstätter-Biografin Dr.in Erna Putz, der Vorsitzende des Jägerstätter-Beirats Bischofsvikar Mag. Maximilian Mittendorfer, der Leiter des Jägerstätter-Instituts Dr. Andreas Schmoller, Elisabeth Jungmeier vom Jägerstätter-Beirat und Mitglieder von Pax Christi.
Das Gedenken begann um 10 Uhr mit der Eucharistiefeier mit Bischof Manfred Scheuer auf dem St. Radegunder Jägerstätterplatz. Mit dem Diözesanbischof feierten Bischofsvikar Maximilian Mittendorfer, Kurat Josef Steinkellner (St. Radegund), Otto Schwankl (Passau) und Diakon Karl Mayer (Dorf an der Pram).
© Martin Pilgram
In seiner Predigt betonte Bischof Scheuer, Franz Jägerstätter habe sich die innere Freiheit in der Diktatur und im Gefängnis bewahrt. Die äußere Gefangenschaft sei für Franz Jägerstätter ein Ort der inneren Freiheit und des Friedens gewesen. „Solange man ein ruhiges Gewissen haben kann, dass man kein schwerer Verbrecher ist, kann man auch im Gefängnis im Frieden leben“, zitierte Scheuer den Seligen. Die Kerkermauern hätten Franz‘ Glauben und seine Liebe zu Franziska nicht zerstören können. Scheuer weiter: „Der äußere Verblendungszusammenhang führte zu keiner Abstumpfung des Gewissens, die Meinung der Massen nicht zur Anpassung seiner Urteilskraft, die Nazi-Ideologie nicht zur Menschenverachtung und Gottlosigkeit, die äußere Unfreiheit nicht zur Knechtung des Willens, das Gehabe der Macht der Starken nicht zum Willen zur Macht.“ Jägerstätter habe aus der Überzeugung gelebt, dass nicht Kerker, nicht Fesseln und auch nicht der Tod imstande seien, einen Menschen von der Liebe Gottes zu trennen, ihm seinen Glauben und den freien Willen zu rauben.
Franz Jägerstätter habe nicht zu groß von der Macht der Nazis gedacht und nicht zu klein von den Möglichkeiten Gottes mit ihm, so Scheuer. Der Bischof wörtlich: „Er hat die Wahrheit gelebt in einer Welt der Lüge, die Liebe in einer Welt der Verachtung, er hat das Leben geliebt in einer Welt des Totenkopfes. Und er hat geglaubt in einer Welt der Blindheit und der Verblendung. Jägerstätter war keiner, der der Mehrheit nach dem Mund geredet hat. Er wollte sich nicht auf allgemeine Vorschriften und Regeln ausreden. Er ist ein ‚einsamer Zeuge‘ des Gewissens. Das Gewissen lässt sich für Jägerstätter nicht durch die Autorität der Obrigkeit suspendieren. Jägerstätter spricht sehr deutlich von Verantwortung und Verantwortungslosigkeit, von Sünde und Schuld, auch im Hinblick auf den Krieg und die damit verbundenen Verbrechen.“ Scheuer unterstrich, Jägerstätter habe das Verhalten der Kirche in Österreich im Jahr 1838 als „Sich-gefangennehmen-Lassen“ gesehen. Er habe gefragt, „was es denn für ein Unterschied sei, wenn auch nicht eine Kirche mehr geöffnet sei, wenn die Kirche doch ohnehin zu allem schweige, was geschehe“, so der Bischof.
Bischof Scheuer bei seiner Predigt. © Elisabeth Jungmeier
Scheuer betonte, Selige und Märtyrer wie Franz Jägerstätter würden mit Jesus die Solidarität mit den Menschen in der Zeit mitvollziehen und nicht auf Distanz gehen. Scheuer wörtlich: „Franz Jägerstätter hat Kirche gelebt und aufgebaut. Er hat sein Leben und Sterben ‚für andere‘ verstanden. Und so ist sein Tod ein Same für den Glauben heute.“ Der Bischof unterstrich, man könne die Zeit des Nationalsozialismus nicht mit der heutigen Zeit vergleichen: „Zu unterschiedlich sind die Ideologien und Plausibilitäten, zu gegensätzlich die Moden und Meinungen, zu diffus heute die Mächte, anders die Formen der Müdigkeit und der Resignation, anders die jeweiligen blinden Flecken. Und doch kann uns der Selige zeigen, dass es ein richtiges Leben im Falschen gibt, echte Nachfolge Jesu in der Verfolgung, einen authentischen Glauben gegenüber der Ideologie, Humanität im Angesicht der Barbarei, Hoffnung im Untergang, Kraft in der Müdigkeit, Liebe in der Gleichgültigkeit und im Hass.“
Märtyrer wie Franz Jägerstätter, Johann Gruber, Matthias Spanlang oder Jakob Gapp hätten in in unterschiedlichen Situationen ihren Glauben und ihre Hoffnung bezeugt, so Scheuer. Der Bischof wörtlich: „Verantwortung des Glaubens, Rechenschaft von der Hoffnung geschieht nicht durch Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist, nicht durch Angleichung an jeden Trend, nicht durch Stabilisierung der jeweiligen Herrschaft. Wer zu allem ‚Ja und Amen‘ sagt, verliert sein Profil und seine Überzeugungskraft.“ Das letzte entscheidende Forum für die Verantwortung des Glaubens sei – in biblischer Perspektive – die Verantwortung vor den Armen und Leidenden, die auch Märtyrer wie Franz Jägerstätter und Johann Gruber gelebt hätten. Scheuer: „Da sind weniger Erklärungen gefordert als vielmehr die konkrete Tat, das wirklichkeitsstiftende und verwandelnde Wort, der reale Trost, der leben und auch gut sterben lässt. In Zeiten der Entsolidarisierung, in Phasen zunehmender sozialer Kälte stiftet gerade die menschliche Nähe und Zuwendung Hoffnung.“
Ausgehend vom Jesus-Wort aus dem Matthäus-Evangelium „Eure Rede sei: Ja ja, nein nein“ (Mt 5,37) wies Scheuer selbstkritisch darauf hin, dass auch die Kirche immer wieder dazu verleitet sei, mehrdeutige Antworten zu geben: aus der Angst heraus, etwas falsch zu machen, aus dem Bestreben, in der säkularen Gesellschaft ernst genommen zu werden, aus Sorge um den Zusammenhalt, aus dem Ideal der unbedingten Einheit heraus. Scheuer: „Eine zaudernde Kirche, eine Kirche, die nicht klar Stellung bezieht – hier setzen Franz Jägerstätter und viele andere einen Kontrapunkt.“
Predigtgedanken von Bischof Manfred Scheuer zum Nachlesen
Am Nachmittag fand eine von Pax Christi und der Pfarre gestaltete Wanderung zu den Marterln und Kapellen von St. Radegund statt – Orte, an denen Franz Jägerstätter vielleicht am Weg zur Kirche seinen Hut abgenommen hat, ein kurzes Stoßgebet gesprochen hat oder später in der Zeit seines Ringens um die richtige Entscheidung aus tiefster Seele gebetet hat. Bei jeder Station erläuterte Monika Auer, Pfarrgemeinderätin in St. Radegund, die Entstehungsgeschichte der Denkmäler. Elisabeth Jungmeier von Pax Christi stellte das Lebenszeugnis eines weiteres NS-Märtyrers aus dem Innviertel, Pfarrer Matthias Spanlang aus St. Martin im Innkreis, vor, der 1940 im KZ-Buchenwald von den Nazis grausam ermordet wurde. Der Weg endete beim Grab von Franz und Franziska Jägerstätter. Schlusspunkt des Gedenkens war die Feier zur Todesstunde Franz Jägerstätters um 16 Uhr auf dem Jägerstätter-Platz, die inhaltlich von Pax Christi und musikalisch von Verwandten von Franz und Franziska Jägerstätter gestaltet wurde.
© Martin Pilgram
Beim Gedenken wurden auch zwei Neuerscheinungen rund um Franz Jägerstätter vorgestellt. „Vom Schafott zum Altar“ lautet der Titel des Buches, das P. Ewald Volgger OT verfasst hat. Der Liturgiewissenschafter der KU Linz ist seit der Seligsprechung 2007 intensiv mit Jägerstätter befasst, hat den Gottesdienst zur Seligsprechung vorbereitet und das Werden der Reliquien-Stele im Dom begleitet. Ebenso war er bei der Neugestaltung der Pfarrkirche St. Radegund engagiert, in der die Reliquien Jägerstätters eine zentrale Stellung einnehmen. Volgger hat eine Wirkungs- und Verehrungsgeschichte Jägerstätters verfasst, in der er erstmals die Ergebnisse der Urnenuntersuchung vorstellt, den Prozess und die Neugestaltung der Kirche beschreibt und die schrittweise Entdeckung der Person Jägerstätter – mit viel neuem Material – nachzeichnet.
Das Buch ist der erste Band der Schriftenreihe Reihe Jägerstätter-Studien, die das Franz und Franziska Jägerstätter Institut (FFJI) an der Katholischen Privat-Universität Linz beim Studienverlag Innsbruck herausgibt. Die Schriftenreihe ist der internationalen Forschung zu Franz Jägerstätter, seinem historischen Umfeld sowie der vielfältigen Wirkungsgeschichte in Vergangenheit und Gegenwart gewidmet. Die Jägerstätter Studien werden die Breite der verschiedenen wissenschaftlichen Zugänge abbilden und somit Perspektiven aus Geschichte, Theologie, Bildungswissenschaft, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften enthalten.
Ewald Volgger:
Vom Schafott zum Altar. Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter.
Innsbruck: Studienverlag 2020 (Jägerstätter Studien 1)
ISBN 978-3-7065-6055-9
172 Seiten, 64 Abbildungen in Farbe, € 29,90
Das Kunstreferat/Diözesankonservatorat der Diözese Linz hat ein Werk mit „Interviewfragmenten und Bildern zum liturgischen Handlungsgeschehen und der künstlerischen Neugestaltung der Heimatkirche von Franz Jägerstätter“ herausgegeben: „Das Sichtbare des Unsichtbaren. Sakraler Raum als Entscheidungsort“. Im Anschluss an die Text-Bild-Komposition findet sich ein kurzer Kirchenführer. Das Buch ist im Eigenverlag erschienen und ist im Behelfsdienst der Diözese Linz um 12 Euro (exkl. Versandkosten) erhältlich (www.behelfsdienst.at).