Aus der Traum: Eine neue Realität
1994, im Jahr der Familie, begleitete ich Doris und Bernhard, ein strahlendes Paar, als Trauungsassistent (Trauungspriester) auf dem Weg zur Feier der Trauung. Bei einem meiner Vorbereitungsbesuche sagte deren gut drei Jahre alte Tochter Elvira: „Ich heirate Papa und Mama.“ Das Kind erfasste und drückte mit diesen Worten die Sehnsucht nach einem verbindlichen Zusammengehören auf seine Weise aus. Es war dann auch eine „Traumhochzeit“ für alle Beteiligten.
Der Traum verblasste jedoch immer mehr und das Zusammenleben wurde vor allem für Bernhard zum Albtraum, denn Doris lebte bald noch eine zweite Beziehung, die sie nicht aufgeben wollte. Sein Angebot, die Eheberatung in Anspruch zu nehmen, lehnte sie kategorisch ab. Sie wollte und erreichte die Scheidung. Elvira blieb bei der Mutter.
Neun Jahre später begegnete Bernhard Michaela, die er aus seinen Kindertagen schon kannte. Aus dieser Begegnung und dem wachsenden Interesse aneinander wurde Vertrautheit, Liebe und eine intensive stabile Beziehung. Die beiden spürten immer mehr den Wunsch zu heiraten. Das bedeutete für Michaela die erste und für Bernhard die zweite Ehe. Dass eine kirchliche Eheschließung nicht möglich ist, bedauerten beide sehr. Michaela und Bernhard wünschten sich aber trotzdem eine kirchliche Feier und vor allem den Segen Gottes für ihr Miteinander, das sie einander in Treue zu leben versprochen haben und am Standesamt offiziell kundtun werden.
Es waren einige Vorgespräche, in denen die Geschichte beider ausführlich zur Sprache kam. Dabei stellte sich heraus, dass Bernhard sehr versöhnt mit seiner Lebensgeschichte, auch mit dem Bruch, umgehen kann. In der Diözese Linz gibt es bewährte Orientierungen für die seelsorgliche Begleitung von geschiedenen Menschen und Paaren, die eine zweite standesamtliche Ehe eingehen (1986/1992). Entsprechend diesen Orientierungen begleitete ich die beiden und so feierten sie im Jahr 2010 mit ihren Angehörigen und Freunden ihre standesamtlich geschlossene Verbindung und ließen sich dazu auch in der Kirche den Segen Gottes zusprechen.
Mein Wunsch an die Familiensynode
Die Ehe als Sakrament sollte weiterhin, aber in heutiger, verständlicher Sprache propagiert werden. Dabei ist es möglich, die spirituelle Dimension von Beziehung und Bindung sowie der gelebten Ehe noch ansprechender zu formulieren. Aber auch das Scheitern einer Ehe sollte kirchenrechtlich, dogmatisch und pastoral neu durchdacht werden. Die Grundlinie der Beziehungs-, Ehe- und Familienseelsorge sollte sein, dass Menschen in Ihrer Sehnsucht nach einem Leben in lebendiger Beziehung und verlässlicher Bindung ermutig und bestärkt werden. Dazu braucht es das Zutrauen und die Ermächtigung, das Leben in Eigenkompetenz selbstverantwortlich zu gestalten.
Die Kirche sollte in ihrer Treue zu Jesu Verbot der Ehescheidung und in ihrem Zeugnis für die Unauflöslichkeit der Ehe Wege erschließen, die eine menschenfreundliche seelsorgliche und liturgische Begleitung von Geschiedenen und Menschen in zweiter ziviler Ehe ermöglicht. Dies sollte keine im Verborgenen vollzogene Ausnahme sein, sondern eine strukturelle Lösung. Es sollen also die in vielen Diözesen bereits praktizierten zeitgemäßen, theologisch begründeten und verantwortbaren sowie pastoral angemessenen Wege der respektvollen und würdevollen Begleitung generell legitimiert werden. Dabei kann es, weltkirchlich gesehen, in den einzelnen Kontinenten und Regionen entsprechende Unterschiede geben.
Eine wichtige Aufgabe der Kirche ist es, Menschen in, nach und mit Lebensbrüchen zu helfen, das Zerbrechen ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft psychologisch und theologisch zu bearbeiten, also ins Leben zu integrieren. Kirche hat dazu als Versöhnungsgemeinschaft einen Friedensdienst zu leisten. Es geht um Zuwendung und die Vermittlung der Liebe Gottes zu allen Menschen. Der Weg der zugewandten Liebe und Barmherzigkeit nach dem Vorbild von Jesus Christus ist die angemessene kirchliche Praxis, die den Zugang zu den Sakramenten der Buße und Eucharistie als Quelle für die christliche Lebensgestaltung offen hält. Weil auch die Verbindlichkeit einer zweiten zivilen Ehe einen hohen Stellenwert hat und sich viele Paare dafür Anerkennung der Kirche durch Gebet im Segen wünschen, sollte eine liturgische Feier möglich sein.
Mag. Franz Harant
Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberater im Zentrum BEZIEHUNGLEBEN.AT
Beziehungs-, Ehe- und Familienseelsorger der Diözese Linz