Solidarität im Kampf um Anerkennung - Dr. Christian Spieß
Theorien der Anerkennung wurden in der politischen Philosophie seit Fichte und Hegel entwickelt und werden in der Gegenwart beispielsweise von Charles Taylor und Axel Honneth vertreten. Axel Honneth geht es dabei unter anderem um die Hervorhebung von gesellschaftlichen Anerkennungserwartungen, die wir an unsere je eigenen Lebensformen knüpfen: Wir erwarten von anderen eine gewisse Wertschätzung etwa der Art und Weise, wie wir leben, oder unserer weltanschaulichen und religiösen Prägung. Und wir erwarten insbesondere, dass wir nicht aufgrund unserer Herkunft, unserer Religionszugehörigkeit, unserer sexuellen Orientierung etc. gesellschaftlich oder politisch diskriminiert werden. Offenkundig gibt es aber Phänomene gesellschaftlicher und auch politischer Diskriminierung, die – anerkennungstheoretisch gesprochen – von den betroffenen Personen als Missachtung wahrgenommen werden. Gegenwärtig sind nicht zuletzt Muslime von kultureller Missachtung betroffen. Mithilfe der Anerkennungstheorie kann gesellschaftlicher Spaltung entlang dieser kulturellen Bruchlinien nachgegangen werden.
Es gibt daneben aber auch sozioökonomische Bruchlinien, also eine Spaltung der Gesellschaft aufgrund von erheblichen und wachsenden Unterschieden der Einkommen und Vermögen sowie von Chancenungleichheit (etwa in der Bildung), und zwar auch und gerade in prosperierenden Volkswirtschaften. In der katholischen Tradition wurde dieses Problem mit dem Begriff der Solidarität bearbeitet. Im deutschsprachigen Solidarismus des (frühen) 20. Jahrhunderts (Oswald von Nell-Breuning, Heinrich Pesch, Gustav Gundlach u.a.) ist Solidarität kein moralischer Apell oder dergleichen, sondern ein nüchtern-sachliches gesellschafts- und wohlfahrtspolitisches Programm. Dieses Programm einer „Sozialreform“ (Nell-Breuning) bietet auch für gegenwärtige Herausforderungen sozioökonomischer Spaltung der Gesellschaft hilfreiche und weiterführende Anhaltspunkte.
Insgesamt geht es dann um eine Verschränkung dieser beiden Wege des Kampfes um Anerkennung einerseits und der Solidarität andererseits: Inwieweit lassen sich Phänomene gesellschaftlicher
Spaltung als kulturelle Anerkennungsprobleme und inwieweit lassen sie sich als
sozioökonomische Umverteilungsprobleme identifizieren? Und wie könnten politische Strategien
zur Überwindung dieser beiden Varianten gesellschaftlicher Spaltung aussehen?