„Neu im Kino: Martin von Tours (nicht von Karl May)“
Zumindest der katholischen Bevölkerung ist die Szene bestens bekannt, nicht zuletzt durch die alljährlichen Martinsfeste der Kindergärten landauf, landab: St. Martin ist an einem Wintertag als römischer Soldat hoch zu Ross unterwegs und begegnet am Stadttor von Amiens dem halbnackten Bettler. Angeblich ohne zu zögern teilt er mit dem Schwert den eigenen Mantel und bekleidet damit den Frierenden.
Eine filmreife Story, die Karl May nicht hätte besser erzählen können! Action, Sozialdrama und Tränenromantik in Einem! Martin von Tours – Retter der Schwachen, Superman des Abendlands, Robin Hood im Namen Jesu!
Genauso wurde die Erinnerung an ihn Jahrhunderte lang auch gepflegt. Die Mantelszene hat den hl. Martin ebenso überhöht wie eingeengt, weshalb mir zumindest drei andere Facetten wichtig erscheinen:
- Die Darstellung, wonach Martin am Pferd sitzend – von oben herab – mit dem Bettler teilt, ist nicht die ursprüngliche. Für seine Zeitgenossen war klar, dass er abstieg und sich auf Augenhöhe zum Leidenden begab. Er hat nicht theoretisch geschwafelt, Strukturprozesse eingeleitet oder eine Alibispende von Reich nach Arm gegeben. Solch spontanes Herzenshandeln imponiert mir.
- Martin hat nach dem Mantelerlebnis seinen Job als Soldat aufgekündigt. Das Kriegsgeschäft und der Waffeneinsatz waren für ihn mit der Friedensbotschaft Jesu inkompatibel. Solche Konsequenz imponiert mir.
- Als seine Mitchristen ihn zum Bischof wählen (!) wollen, versteckt er sich, um dem Job zu entgehen. Er fühlt sich nicht dazu berufen, hat Angst vor der Größe des Amtes. Erst nach Überredung sagt er zu. Wie viele Inkompetenz drängt sich heute vor? Wie wenig Demut und Bescheidenheit haben heute leitende Menschen in Politik und Kirche? Martins Klarheit und Selbstvertrauen imponieren mir, ebenso wie die Bereitschaft, letztlich doch der Gemeinschaft zu dienen.
Der geteilte Mantel allein wird Martin nicht gerecht. Deshalb empfehle ich die tiefere Auseinandersetzung mit diesem frühen europäischen Humanisten sehr. Mich jedenfalls beeindruckt er viel mehr als Winnetou und Old Shatterhand zusammen! (Und das, obwohl ich an sich ein Karl May-Fan bin.)
Mag. Martin Kranzl-Greinecker
Chefredakteur der Pädagogischen Fachzeitschrift UNSERE KINDER
lebt in der Martinspfarre Pichl bei Wels