Während des Gehens verloren wir unser Gesicht
Das Leben der Ceija Stolka
Zur Filmreihe im Rahmen der Ausstellung
Ceija Stojka wurde 1933 in Kraubath in der Steiermark geboren. Kurz vor ihrem zehnten Geburtstag deportierten die Nazis sie zusammen mit ihrer Mutter und den Geschwistern aus Wien zuerst in das KZ- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, dann nach Ravensbrück und schließlich nach Bergen-Belsen, wo sie am 15. April 1945 von der britischen Armee befreit wurde. Wie ihr Vater Wackar und der jüngste Bruder Ossi waren die meisten von den 200 Angehörigen ihrer Großfamilie ermordet worden.
Nach der Befreiung fanden die wenigen Überlebenden in Wien wieder zusammen und versuchten, an ihr altes Leben anzuknüpfen. Konfrontiert waren sie u.a. mit dem damaligen Innenminister Oskar Helmer, der mit seiner offenkundigen antisemitischen Gesinnung nicht nur die Verschleppung der Entschädigungszahlungen für die Opfer des NS-Terrors betrieb, sondern 1948 einen Erlass „gegen das Zigeunerwesen“ herausgab, in dem die Abschiebung von staatenlosen Roma angeordnet wurde. Die meisten Überlebenden gaben sich deshalb nicht als „Zigeuner“ zu erkennen, wie sie weiterhin pejorativ genannt wurden.
Die schrecklichen Bilder der Erinnerungen an die Lager prägten nicht nur die Träume von Ceija Stojka, sondern ihr ganzes Leben. Erst Ende der 1980er Jahre entdeckte sie ihr Talent als Erzählerin und bildende Künstlerin. Beide Kunstformen dienten ihr als Ventil für die aufgestauten Geschichten und Bilder der Vergangenheit. Als eine der ersten outete sie sich als überlebende Romni und verabschiedete sich damit endgültig aus dem „Leben im Verborgenen“, wie der Titel ihres ersten Buches die Existenz der Roma und Sinti in Österreich beschreibt. Mit unbändiger Energie erzählte sie von der Verfolgung und der Vernichtung der Roma und Sinti und schuf den Zyklus „Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz“ sowie eine Vielzahl weiterer Werke.
Darin stellte sie vorwiegend die allmähliche Faschisierung Österreichs, die zunehmende Kontrolle, Degradierung, Kasernierung und die Deportation dar. Die tägliche Tortur, die Schläge der SS-Männer, KZ-Wärter_innen und Kapos, die Reduktion auf eine Nummer und die ständige Todesangst sind wiederkehrende Motive in ihrem Schaffen. Die ihr in den linken Unterarm tätowierte Nummer Z 6399 versteckte sie nie, im Gegenteil. Dieses Zeichen der Entmenschlichung nutzte sie als Symbol ihrer Geschichte und integrierte es in ihre Bilder. Auch mit bunten Acrylfarben bannte sie die schrecklichen Szenen aus der Erinnerung auf die Leinwand. Ihre Kunst, ihr Mut und ihre charismatische Persönlichkeit machten sie weit über die Landesgrenzen hinaus als Künstlerin und Aktivistin bekannt. Es existiert immer noch eine große Unkenntnis über den Genozid an den Roma und Sinti. Ceija Stojka entreißt mit ihrer Kunst dieses Kapitel dem Vergessen.
In einer mehrjährigen Arbeit haben Lith Bahlmann und Matthias Reichelt einen Großteil der Werke Ceija Stojkas in einer Monographie zusammengefasst und mehrere Ausstellungen in Deutschland organisiert.
Etwa zwei Jahre nach dem Tod Ceija Stojkas werden ihre Werke in Leonding gezeigt. An diesem Ort, an dem Adolf Hitler aufgewachsen ist und zur Schule ging, wurde 2007 das Klangdenkmal Nachklang-Widerhall errichtet, das an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.
Ceija Stojka rezitiert dort „Ein Lied, das in Auschwitz entstanden ist“:
Angekommen sind wir im Auschwitz-Paradies,
Kinder lasst Euch sagen,
Die Gegend hier ist mies.
Nirgends ist ein Haus zu sehen
Wir müssen durch den Schornstein geh’n,
Oh weh, Lili Marleen, oh weh, Lili Marleen.
In uns’rem Lager gibt’s ein Krankenhaus,
ach, wer da reinkommt, der kommt nicht mehr heraus.
Woll’n wir uns einmal wiedersehn,
Dann müssen wir durch den Schornstein geh’n,
Oh weh, Lili Marleen, oh weh, Lili Marleen.
Stojkas Werk
Ceija Stojkas Werk ist eines der wenigen, das den Genozid an den Roma und Sinti aus der Perspektive einer überlebenden Romni behandelt – ein Genozid, der auch in Österreich lange Jahre nicht wahrgenommen wurde und noch immer nicht hinlänglich im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Im Nachkriegsösterreich wurden Roma und Sinti nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt, u.a. ihre Rückkehr in ihre Heimatgemeinden behindert, Entschädigungszahlungen für zerstörtes Eigentum vorenthalten und die Ausübung ihrer Gewerbe zur Sicherung des Lebensunterhalts verunmöglicht.
Erst Mitte der 1980er Jahre begann Ceija Stojka Worte und bildnerische Ausdrucksmittel für das Erlebte zu finden und durchbrach gemeinsam mit ihrem Bruder Karl Stojka als erste in Österreich das Schweigen über die Verfolgung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus und die Diskriminierung in der Zweiten Republik.
Ab diesem Zeitpunkt trat sie in der Öffentlichkeit als Romni und Künstlerin auf und vermittelte unermüdlich ihre Erlebnisse als warnende Erinnerung mit dem Ziel, dass so etwas „nie wieder“ geschieht.
Öffnungszeiten
Di 15-19 Uhr
Mi 15-19 Uhr
Do 17-21 Uhr
Fr 15-19 Uhr
So 10-16 Uhr
Eröffnung: 27.5.2015, 19 Uhr
Finissage: 10.7.2015
Für Schulklassen gegen Voranmeldung unter 0732 / 6878 8501
44er Galerie, Stadtplatz 44, 4060 Leonding
Gezeigte Filme (mit anschließender Diskussion)
Ceija Stojka | Regie: Karin Berger, A 1999, 85min
Do. 11.6.2015, 19:30 Uhr, 44er Galerie
Unter den Brettern hellgrünes Gras | Regie: Karin Berger, A 2005, 52min
Mi. 17.6.2015, 19:30 Uhr, Pfarrsaal St. Michael
Just the Wind | Regie: Bence Fliegauf, H 2012, 90min
Moderation: Dr. Markus Vorauer (freier Filmhistoriker), einführende Worte: Dr. Baumgartner (DÖW)
Do. 25.6.2015, 19:30 Uhr, 44er Galerie
Die starken Frauen der Sinti und Roma | Regie: Eva-Maria Lerchenberg-Thöny, A 2014, 45min
Do. 2.7.2015, 19:30 Uhr, 44er Galerie
Die österreichischen Roma | Regie: Kerstin Paulik, A 2014, 25min
Eine Kooperation von Kult-Ex und der 44er Galerie / Kuva.
