Engel als Alter Ego
Die Begegnung zwischen Mensch und Engel verdichtet sich in jenen Texten, die von einer Auseinandersetzung berichten. Es ist nicht nur die Begegnung mit einer anderen Welt, die Sehnsucht nach dieser, sondern es findet auch ein Ringen statt. "Erst im Ringen mit dem Leben wird die andere Seite, der Mangel, der uns als Menschen begleitet, deutlich. Als dynamische und lebenstragende Kraft nötigt uns das Begehren dieses Ringen auf." Die biblischen Erzählungen par excellence, in denen sich dieser Kampf spiegelt, finden sich im Jakobszyklus.
An den beiden entscheidenden Wendepunkten dieser Erzählung, die Jakobs fluchtartiges Verlassen der Heimat und seine Rückkehr schildern, wird jeweils von Engeln berichtet. An der Schwelle zwischen Heimat und Fremde sieht Jakob in einem Traum die Verbindung zwischen Himmel und Erde in Gestalt der Engel (Gen 28). Er macht sich behütet auf, doch Jahre später muss er sich seine Rückkehr erringen (Gen 32). Dieser Kampf zwischen Jakob und einem Unbekannten, mit dem er bis zum Morgen ringt, bleibt lange unentschieden und endet kurz vor der Morgendämmerung mit einer Verletzung, aber auch einem Segen für Jakob. Erst in einem Dialog am Ende des Kampfes, in dem Jakob sein neuer Name.
Quellenangabe:
Aus: "Sie reden die Luft zwischen den Wörtern" (Härtling). Biblisch-lyrische Gespräche über Engel von Prof. Susanne Gillmayr-Bucher (KTU Linz) erstmals erschienen in: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 30 (2011), 55-67.