Hunger nach Begegnung
In der augenblicklichen Situation kann uns so ein Text so richtig ärgern: Machen wir nicht gerade die umgekehrte Erfahrung? Gott allein genügt NICHT! Mit zunehmender Zeit wächst unsere Sehnsucht nach unseren Lieben, nach Freunden und Bekannten … Brief und (Video-)Telefon genügen nicht. Wir brauchen den direkten Kontakt, brauchen körperliche Nähe, Händeschütteln, Umarmung …! Begegnung gehört nun einmal zum Wertvollsten in unserem Leben!
Sehnsucht
Umgekehrt: Genügt der Mensch allein?? Ich glaube nicht! Zutiefst in uns ist ein Sehnen, das niemand und nichts auf dieser Erde dauerhaft stillen kann, es ist die Sehnsucht nach Leben in Fülle, nach Liebe, die keine Bedingungen stellt. Viele Menschen erwarten diese Erfüllung vom Partner/von der Partnerin. Ich bezeichne das manchmal als „gemein“, weil der betreffende Mensch einfach hoffnungslos überfordert ist.
Tragender Grund
Gibt es einen tragenden Grund auch in Zeiten, in denen fast alles bisher Selbstverständliche unsicher wird? Eine tragende Beziehung?
Nach meiner Überzeugung ist dies letztlich die Beziehung Gottes zu uns! „Vielleicht ist das Einzige, was wirklich die ganze Menschheit verbindet, die Liebe Gottes zu jedem einzelnen Menschen“, sagt Papst Franziskus. Wir sind alle seine Geschöpfe, von Anfang an gewollt, bejaht, bedingungslos geliebt.
Und das bleibt ein Leben lang so. Wir dürfen in Freiheit unsere Wege gehen – er begleitet uns geduldig!
Der jüdisch-christliche Gott ist ein Weg-Gott, ein Gott, der mit uns auf dem Weg ist. Den Gottesnamen Jahwe übersetzt Martin Buber mit: „Ich bin da, wo du bist“. In Jesus geht er in unser Menschsein hinein, erfährt wie wir Freud und Leid, ja selbst den Tod. Jesus verkündet, noch viel mehr: Er LEBT den Gott, der Liebe ist, bedingungslose Liebe.
Und doch haben wir auch unsere liebe Not mit ihm: Wir verstehen das, was er in unserem Leben, ja überhaupt in der Welt zulässt, oft mit allerbestem Willen nicht.
Auf eines vertraue ich ganz fest: Wir dürfen mit ihm schimpfen, dürfen ihm unsere Not hinschreien, unsere Zweifel, unser Hadern unsere Irrwege – das schmälert seine Liebe zu uns nicht. Und eines Tages werden wir vielleicht verstehen, warum eine schmerzhafte Krankheit, ein schweres Leid sein musste ...
Sinn
So bin ich zuversichtlich, dass diese Pandemie einen tiefen Sinn in sich birgt, dem wir freilich erst allmählich auf die Spur kommen werden.
Die Erfahrung von Krankheit, Todesnähe, Einsamkeit wirft uns auf uns selbst zurück. Fragen nach dem Woher und Wohin tauchen auf – und damit stoßen wir immer wieder auf die Frage nach Gott.
Wer aber Gott sucht, findet eben zuallererst sich selbst, und zwar ganz ungeschönt. Das kann herausfordernd sein. Ich habe z. B. das Privileg, in einer Gemeinschaft von neun Mitschwestern und einer Kandidatin zu leben. Das ist wunderschön! Aber wochenlang eng beisammen zu sein, bringt die verschiedenen Charaktere stärker zum Vorschein und lässt vor allem an die eigenen Grenzen stoßen. Zu merken, ich bin nicht so, wie ich gerne wäre – souverän, geduldig, ruhig, ausgeglichen, bereit zu verzeihen, zu allen liebevoll – kann ordentlich weh tun!
Und dazu all die grässliche Unsicherheit, wie es weitergehen wird. 10 Kurse musste ich bereits absagen – wie viele werden es noch sein??
Realität
Was sicher nicht hilft: endlos diskutieren und fantasieren, wie schlimm es noch werden kann; mich auf das Schwere, Negative fixieren – da wird nämlich alles noch einmal so groß und allmählich sehe ich überhaupt nichts anderes mehr.
Die leidvolle, schwierige Situation ist Realität. Aber es ist genauso Realität, dass es rundherum GEICHZEITIG eine Menge Schönes und Gutes gibt:
- Die herrliche Natur: Frühling pur – mit all dem frischen Grün, den Blumen, Blüten und Schmetterlingen! Wie viele kleine Wunder entdecke ich allein rund um das Haus! Der vielstimmige Gesang der Vögel, das Summen der Bienen im blühenden Baum ... Täglich kann ich mir einen Spaziergang erlauben, allein oder mit Mitschwestern. Da staune ich wie ein Kind und mein Herz wird weit.
Frühling pur! (c) kapa65 / Pixabay.
- Menschen, die einem begegnen, grüßen freundlich und dann gibt’s ein kleines Plauderchen von einer Straßenseite zur anderen hinüber. Das macht gute Laune und ist eine Freude, die auch allein lebenden Menschen möglich ist.
- Mein Herz wird auch froh beim Gedanken an die vielen, vielen Menschen, die mit unerhörtem Fleiß und großer Anstrengung von Corona Betroffene versorgen und pflegen oder kaum beachtet im Hintergrund die vielen, vielen Dienste tun, die notwendig sind, damit wir leben können. Solidarität ist momentan kein Fremdwort.
- Sehr wohltuend empfinde ich Humor und Kreativität, die in den Medien nur so „aufpoppen“.
- Nachbarschaftshilfe, Einkaufen und manch andere Hilfsdienste werden wie selbstverständlich geleistet.
- Die momentane Entbehrung ist auch eine Einladung, uns die Kostbarkeit unserer Beziehungen bewusst zu machen. Uns zu bereiten für eine Vertiefung; sie „sortieren“, welche mir wirklich wichtig sind, welchen ich mehr Zeit, Aufmerksamkeit schenken möchte, um sie intensiver, zärtlicher, bewusster zu leben ...
Noch einmal zurück zum Text von Teresa: Die traditionelle Übersetzung ist missverständlich, so als ob der Mensch außer Gott nichts bräuchte. So hat es Teresa nicht gemeint! Sie war eine äußerst kommunikative Frau, so richtig begabt zur Freundschaft, hatte viele freundschaftliche Beziehungen, auch noch nach Jahren im Kloster, ja ein Leben lang.
Was sie aber für sich zusätzlich entdeckt hat, war: Auch mit Gott ist freundschaftliche Beziehung möglich! Er ist ihr immer nah, ja er ist IN ihrer tiefsten Tiefe gegenwärtig – und er sehnt sich nach der Freundschaft mit dem Menschen. Ihre Text lautet: Gott NUR genügt! (Gesamttext siehe unten). Das bedeutet: Nur Gott vermag die tiefste Sehnsucht des Menschen ganz zu erfüllen.
Bei der Pflege dieser tragenden Beziehung hilft mir persönlich vor allem die tägliche Meditation, aber auch ein kleines Stoßgebet: DU bist bei/in mir tagaus, tagein, wie könnt ich da verlassen sein!
Ich wünsche uns allen, dass wir bald zur „Großfamilie“ zurückkehren dürfen und nie mehr vergessen, wie kostbar Begegnung, Beziehung in unserem Leben ist.
Und: einen neuen, ehrfürchtigen, behutsamen Umgang mit der Schöpfung!
Nichts soll dich verwirren,
nichts soll dich erschrecken.
Alles vergeht,
Gott ändert sich nicht.
Die Geduld
erlangt alles.
Wer Gott hat, dem fehlt nichts.
Gott nur genügt.
Übersetzung von P. Ulrich Dobhan OCD und Sr. Elisabeth Peeters OCD
(Der Text wurde im Gebetbuch von Teresa gefunden, wird nach neuester Forschung Johannes vom Kreuz zugeschrieben)
Dipl. Päd.in Sr. Huberta Rohrmoser, Marienschwester vom Karmel ist Meditations- und Exerzitienbegleiterin, Geistliche Begleiterin in Erla bei St. Valentin