Mutter und Emanzipation
Aus der Wäschetrommel windet sich ein rotes Handtuch heraus. Als markanter Farbtupfer erinnert es an eine Blutspur. Anstelle des Christussohnes befindet sich eine Leerstelle.
"Geburtenmadonna" nennt sich die 1976 entstandene Fotocollage von VALIE EXPORT. Die österreichische Medienkünstlerin hat mit feministischen Arbeiten wie diesen das in der Kunst über Jahrhunderte überlieferte Mutterbild einer kritischen Sichtung unterzogen. Die klassische Schmerzensmutter wird zur gegenwärtigen Figur, zugleich versucht EXPORT Aspekte in Zusammenhang mit dem Mutterdasein aufzuzeigen, die in der von Männern dominierten Kunstgeschichte ausgeblendet wurden. Sie verunglimpft die Mutterrolle nicht, sondern bricht mit einem bürgerlichen Idealbild der Frau als Mutter und Hüterin des Hauses. Mittels einer eindringlichen Bildsprache weist EXPORT darauf hin, dass Muttersein nicht nur mit hehren Gefühlen, sondern auch mit Alltag, Hausarbeit und Geburtsschmerz zu tun hat. EXPORT, selbst Mutter einer Tochter und heute eine der international renommiertesten Künstlerinnen, wollte nie auf die Mutterrolle festgelegt werden, wie sie in einem Gespräch erzählt: "Für mich war Weiblichkeit nicht automatisch mit Mutterschaft verknüpft, die hatte für mich etwas mit Verantwortungsgefühl zu tun."
Man könnte meinen, die Thematik von EXPORTS "Geburtenmadonna" wäre zwar in den 1970er Jahren und der damaligen Suche nach alternativen Rollenbildern aktuell, heute aber längst überholt. Dass dies nur teilweise der Fall ist, spiegeln gegenwärtige Debatten. Die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern, die mangelnden Kinderbetreuungsplätze und der diskutierte "Papamonat" sprechen dafür, dass sich Mutter- und Vaterrolle auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch im gesellschaftlichen Umbruch befinden.
Quellenangabe:
Schwanberg, Johanna: Mutter und Emanzipation. In: kunst und kirche, Nr. 03/2010. S. 15.
Erstmals erschienen in:
Präsidium des Evangelischen Kirchbautages, in Verbindung mit dem Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg, Deutschland, vertreten durch Prof. Dr. Thomas Erne und Diözesan-Kunstverein Linz, in Verbindung mit dem Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie, Katholisch-theologische Privatuniversität Linz, Österreich, vertreten durch Prof. DDr. Monika Leisch-Kiesl (Hrsg.) (2010): kunst und kirche: Mutter unser - Suche nach Mutterbildern in der Kunst. Nr. 3/2010. Wien/New York: Springer.
(sp)