Verwurzelt und offen für Neues
„Tradidi, quod potui“ – „Ich habe übergeben, soviel ich vermochte“. In großen Lettern prangen diese Worte über dem Eingang zu jener Seitenkapelle der Stiftskirche Kremsmünster, in welcher sich das Grabmal Gunthers befindet. Der tödliche Jagdunfall seines Sohnes habe, so erzählt die Sage, Bayernherzog Tassilo III. veranlasst, an dieser Stelle im Jahre 777 ein Kloster zu errichten und reich mit Ländereien auszustatten, damit es für die gesamte, damals noch weitgehend ungerodete und wenig zivilisierte Region als Ort der Gottsuche und der Kultur fruchtbare Impulse setze.
Mehr als 1100 Jahre später wurde das Petrinum als Bildungsstätte für angehende Priesterstudenten gegründet. Auf der Fassade der Satz: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ Mit Petrus, dem Bekenner und Leugner, Mutigen und Mutlosen, und diesem Sendungsauftrag begann eine wechselvolle Geschichte, die einmündet in ein Suchen als Lebensprogramm, das nicht nur Priestern und Mönchen, sondern uns allen gut tun kann.
Suchen und Weitergeben als Lebensprogramm
Ist nicht gerade für junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden Suchen ein charakteristisches Wesensmerkmal? Die Suche nach Sinn, nach Orientierung, nach dem eigenen Platz in der Welt. Jugendliche zeigen heute mehr denn je Sehnsucht nach Leben und Glück. Wir sollten und dürfen die Antwort auf ihren Lebens- und Glückshunger jedoch nicht jenen überlassen, die daraus ein Geschäft machen und Profit schlagen wollen, wie es z.B. durch die Freizeit- Musik- und Unterhaltungsindustrie geschickt versucht wird.
Jede/r Einzelne von uns, die wir an katholischen Schulen tätig sind, ist hier gefordert, verlässliche Wegmarken zur Orientierung anzubieten und weiterzugeben, denn unser aller Beispiel und Engagement sind es, die zählen. Wir müssen uns bemühen, den Schülerinnen und Schülern im Rahmen des uns Möglichen Rede und Antwort zu stehen auf ihre Fragen, und versuchen, in konkreten Lebenssituationen christliche Werthaltungen glaubhaft und überzeugend zu vermitteln. Dazu braucht es ein hörendes Herz, das sensibel der „Eigenart vieler dient“, wie der Hl. Benedikt in seiner Regel (Kap. 2,31) sagt. Und es braucht Offenheit für die persönliche Form der Suche junger Menschen sowie die Bereitschaft, sie neue Wege gehen zu lassen.
Aktiver, lebendiger Umgang mit Traditionen
Tradition bedeutet nicht bloßes Bewahren und Hüten. Tradition hat vielmehr mit Weitergeben zu tun, und Weitergeben ist etwas Aktives. Sowohl im Petrinum als auch in Kremsmünster habe ich diesen aktiven, lebendigen und fruchtbaren Umgang mit Traditionen erleben dürfen. Es gehört zu jenen Eindrücken, die sich mir bleibend eingeprägt haben, wie in Kremsmünster alljährlich von der ganzen Schulgemeinschaft am Todestag Herzog Tassilos, des verstorbenen Stifters, sowie aller Wohltäter gedacht wird. Auf einen zweistündigen Projektunterricht folgt ein feierliches Requiem in der Stiftskirche mit anschließendem Wildschweinessen im Refektorium (dem Speisesaal) der Mönche. Im Petrinum wiederum sind es die Hausmessen, die Eltern, Lehrer und Schüler zusammenführen, nicht zuletzt auch zum gegenseitigen Austausch und geselligen Beisammensein. Gäste liebevoll ins eigene Haus aufzunehmen, sie Anteil haben zu lassen am Leben der Gemeinschaft und ihnen zu zeigen, wie man lebt, feiert, ja auch betet, erhält Traditionen lebendig. Echte Gastfreundschaft sowie eine einladende Fest- und Feierkultur wirken anziehend, ermöglichen Begegnung, öffnen Herzen.
Stabilität, Halt und Heimat in einer unübersichtlichen Welt
In Zeiten der zunehmenden Globalisierung und Beschleunigung des Lebens braucht jeder Mensch, besonders der jugendliche, eine gewisse „stabilitas“ – nicht „loci“ im örtlichen Sinn, aber einen Halt, der ihm ein starkes Gefühl der Beheimatung gibt. In den Familien, wo klassische Strukturen sich immer mehr auflösen und durch andere Modelle des Zusammenlebens ersetzt werden, ist diese „stabilitas“ für Jugendliche oft nicht mehr zu finden. Auch unsere pluralistische-postmoderne Gesellschaft driftet immer weiter auseinander.
Eine Katholische Privatschule ist im besonderen Maße gefordert, aber auch imstande, eine solche Beheimatung anzubieten. Durch eine Pädagogik, die auf persönlicher Begegnung aufbaut, hilft sie Schülerinnen und Schülern, ein Netz von Beziehungen zu weben, das im Auf und Ab des Lebens sicheren Halt gibt. Dazu gehören eine feste Verankerung und ein starkes Fundament. Menschen mit einer ganzheitlichen, wertorientierten Bildung und einem christlich-humanistischen Menschenbild sind in einer Gesellschaft, die immer mehr Gefahr läuft, sich in Partikularinteressen zu verlieren, der dringend benötigte Kitt, der die Gemeinschaft zusammenhält. Solche Personen zu werden, dazu wollen wir unsere Absolventinnen und Absolventen befähigen.
Mit weitem Herzen Menschsein vermitteln
Menschenbild und Menschenführung des Hl. Benedikt, die mich geprägt haben, gehen davon aus, dass Erziehung stets den konkreten Menschen im Blick haben muss. Sie erscheint als personaler Prozess von Zeigen und Sich-zeigen-Lassen, ist Verlockung zum Leben. Zugleich fordert sie Individualität und Freiheit des Menschen heraus, macht ihm auch seine Grenzen und Schwächen bewusst – jedoch immer in einer Haltung der tiefen Sympathie für den angeschlagenen, „schwierigen“ Menschen, in dem die Chance zur Wandlung und Verwandlung liegt.
Von Benedikt wird erzählt, wie er seine Schüler Maurus und Placidus an der Hand nahm und mit ihnen ins Leben ging – in i h r Leben. In der Schule darf es also kein Einzelkämpfertum und auch kein Ausgrenzen Einzelner geben. Es muss ein Miteinander und ein Auf-einander-Zugehen sein. Großzügigkeit Andersdenkenden gegenüber, andere in ihrer Individualität zu respektieren, in aller Vielfalt an gemeinsamen Projekten zu arbeiten, dazu wollen wir Schülerinnen und Schüler motivieren. Gute Wegbegleiter geben Sicherheit und helfen ihnen dabei, sich zu öffnen – in der Klassengemeinschaft und darüber hinaus: Zahlreiche Beispiele von gelebter Solidarität und sozialem Engagement der Petriner Schulgemeinschaft für Entwicklungsprojekte und Notleidende in verschiedensten Teilen der Welt geben beredtes Zeugnis dafür.
Aus der Haltung eines weiten Herzens können wir getrost dem Faktum der Pluralität unserer Gesellschaft begegnen. Das darf nicht bedeuten, dass alle Haltungen gleich gültig sind, sondern dass gemeinsam nach dem Guten gesucht werden muss. In diesem Sinn ist die katholische Privatschule eine offene Schule, weltoffen und zukunftsoffen, weil sie ihre Kraft aus einer gemeinsamen Mitte schöpft: dem Menschenbild des Evangeliums. Die Teilnahme an dieser Mitte mag bei den einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft graduell unterschiedlich sein, doch für alle bedeutet ihre Anerkennung ein unverzichtbares Band, das jeden Einzelnen dazu ermutigt, in Freiheit den Weg ins Leben zu gehen.
Keplinger, Klemens: Verwurzelt und offen für Neues. Eckpfeiler der Bildungs- und Erziehungsarbeit an der katholischen Privatschule, in: Bischöfliches Gymnasium Petrinum: 110. Jahresbericht, Schuljahr 2013/14, 4-6