Was ist "guter Religionsunterricht"?
Was guten Religionsunterricht in der Schule ausmacht, wurde in seiner Geschichte mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen ausgedrückt. Vor dem II. Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) standen das Glaubenswissen (Katechismusunterricht) und die Verkündigung der Heilsbotschaft (kerygmatischer RU) im Vordergrund. Der Religionsunterricht war ähnlich wie die Katechese in der Gemeinde zielgerichtete Unterweisung im christlichen Glauben und eine Einführung in die gelebte Glaubenspraxis, war „Kirche in der Schule“.
Schülerorientiert
Das zunehmende Desinteresse der Schüler und Schülerinnen am überwiegend an Glaubenslehre und biblischen Texten bestehenden Stoff des Religionsunterrichts spielte in der Religionspädagogik ab Mitte der Sechzigerjahre eine nicht unwesentliche Rolle, die alten Entwürfe grundlegend zu überarbeiten. In den Jahren 1965 bis 1974, dem „Jahrzehnt des religionspädagogischen Umbruchs“ (Ulrich Hemel), jagte förmlich ein neues religionsdidaktisches Konzept das andere (u. a. problemorientierter RU; lernzielorientierter RU). Gemeinsam war allen, dass sie erfahrungsorientiert und biografisch-lebensgeschichtlich ausgerichtet waren. In der Begeisterung über die nun zentrale Schülerorientiertheit konnte die christliche Überlieferung schon mal ins Abseits geraten.
Leben und Glauben im Dialog
Seit der Würzburger Synode (1971 – 1975), welche die Ergebnisse des Konzils auch für den Religionsunterricht fruchtbar machen wollte, gilt das Korrelationsprinzip als Standard einer „guten“ Religionsdidaktik, als goldener Weg zwischen einer einseitigen Sachorientierung und einer ebenso einseitigen Schüler- und Schülerinnenorientierung: Leben und Glauben sollen in einen produktiven und wechselseitigen Dialog kommen.
Leben und Glaube driften auseinander
Heute können im Unterricht Lebens- und Glaubensfragen oft gar nicht mehr in eine kritische Wechselbeziehung gebracht werden, weil für immer mehr Kinder und Jugendliche die christliche Religion zur Fremdreligion geworden ist. Nicht selten muss sie in Bildungsprozessen in ihren konkreten Ausdrucksgestalten erst erlebbar gemacht werden, damit in Folge darüber reflektiert werden kann. Oft stehen einander nicht mehr „Glauben“ und „Leben“ gegenüber, sondern vielfältige mögliche Glaubensformen, auch weil junge Menschen selbstverständlich in Kontakt mit anderen kulturellen und religiösen Traditionen kommen. Im Unterricht prallen traditionell gemeinschaftsbezogene und individuell disparate Deutungen von Wirklichkeit aufeinander.
In Sachen Religion kompetent
Angesichts der Pluralität von Lebensentwürfen und der komplexen religiösen Gegenwartssituation kann es keine religionsdidaktische Konzeption mehr geben, die für jedes Klassenzimmer gilt.
Ein religionspädagogisches Anliegen heutigen Religionsunterrichts ist es, dass Kinder und Jugendliche „in Sachen Religion“ kompetent werden. Sie sollen die christliche und andere religiöse Traditionen verstehen wie auch eigene Positionierungen in Fragen von Religion und Glauben vornehmen können und somit auch dialogfähig im Austausch mit anderen Haltungen und Religionen werden (Hans Mendl).
Profis sind gefragt
Dafür braucht es fachkundige Religionslehrer und Religionslehrerinnen mit reflektierten religiösen Überzeugungen, die ebenso über didaktische wie soziale Kompetenz verfügen. Sie werden bereits in der Planung des Unterrichts auf eine ausgewogene Sach- wie Subjekt- und Lerngruppenorientierung zu achten versuchen und ebenso die Rahmenbedingungen, unter denen eine Schulstunde stattfindet, nicht aus den Augen verlieren. „Reli“ soll weder nur in „Informationshappen“ angeboten werden, noch zur bloßen „Laberstunde“ degradiert werden.
Religionsunterricht im schulischen Kontext
Viele Aspekte eines guten Religionsunterrichtes unterscheiden sich nicht von jenen anderer Schulfächer, wie z. B. eine klare Strukturierung des Unterrichts, ein von Respekt und Fürsorge getragenes lernförderliches Klima oder eine Vielfalt der Methoden und Zugänge.
Einladende und kritische Auseinandersetzung
Aus theologischer und religionspädagogischer Perspektive bemisst sich die Qualität des Religionsunterrichts danach, inwieweit es gelingt, Essenzielles der christlichen Botschaft und Praxis wie Konvergenzen und Divergenzen mit anderen religiösen Traditionen in eine lebendige Kommunikation zu bringen. Auch durch einladende und zur kritischen Auseinandersetzung animierende Instruktionen, welche „die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die SchülerInnen selbst entdecken, selbst verstehen, sich selbst einen Reim machen können“ (Rudolf Englert). Letztlich geht es, wie dies mein Innsbrucker Kollege Matthias Scharer einmal treffend formulierte, „um eine Anteil nehmende und Anteil gebende Begegnung mit den uralten und dennoch hochaktuellen Fragen nach Liebe und Gerechtigkeit, nach Sinn und Zukunft, nach Krankheit, Tod und Leben; im Letzten also um Fragen nach dem ,ganz Anderen‘, um Fragen nach Gott“.
Univ. Prof.in Dr.in Ilse Kögler