Mein Weg nach Santiago de Compostela
Mich begeisterten die geschilderten Eindrücke, die scheinbar fast jeder Pilger machte: Man lernt sich selbst besser kennen und kommt sich und dem Göttlichen scheinbar näher und natürlich lockte auch einen alten Pfadfinder wie mich das Abenteuer.
Als sich der Termin meiner Pensionierung abzeichnete stand fest, dass das für mich der richtige Zeitpunkt für meine Pilgerreise ist und ich bin meiner Frau sehr dankbar, dass sie meinen Entschluss mittrug.
Am 12. Mai 2014 begann meine Reise mit dem Flug nach Biarritz und mit dem Bus nach St.Jean de Pied de Port, wo ich mich im Pilgerbüro registrieren ließ und von dort begann ich den klassischen Teil des Jakobsweges, den Camino Frances von St.Jean über Pamplona, Longrono, Burgos, Leon, Astorga nach Santiago de Compostela (ca. 800 km – je nach Führer). Ich bin täglich ca. 30 Kilometer gepilgert und habe die 28 Tage, die ich nach Santiago gebraucht habe, sehr bewusst einfach gelebt, also in den Herbergen genächtigt und selbst gekocht oder das Pilgermenü gegessen. Ich habe, obwohl Gepäckstransport schon angeboten wird, meinen Rucksack mit ca. 10 kg den ganzen Weg lang getragen (Pilgerehre). Ich denke, diese Voraussetzungen sollen eine Pilgerschaft von einer gewöhnlichen Wanderung unterscheiden.
Ich werde oft gefragt, wie es mir beim Gehen ergangen ist, weil sich viele nicht vorstellen können, sich einen Monat täglich auf den Weg zu machen. Ich habe in der Zeit vorm Jakobsweg trainiert, aber ich bekam doch am Beginn einen ordentlichen Muskelkater. Später erinnerten mich meine Füße oft daran, dass dieses tägliche Gehen doch nicht selbstverständlich ist.
Mit der Zeit automatisiert sich das Gehen, je nach Etappe und Attraktivität der Landschaft war ich ganz in mich gekehrt (ich ging den ganzen Weg alleine) oder nahm die Schönheiten am Weg mit allen Sinnen auf. Es gab Phasen, da musste jeder Kilometer erarbeitet werden und andere, da fühlte mich ich als ob ich fliege, ja manchmal habe ich regelrecht am Weg mit mir getanzt. Für mich bewahrheitete sich der Spruch: gehen ist beten mit den Füßen.
In den Pausen und in den Herbergen war es ganz leicht mit Pilgerkollegen ins Gespräch zu kommen. Und diese Begegnungen mit verschiedenen Menschen aus aller Welt, die tiefgründigen Gespräche, aber auch gemeinsam, um zu kochen und Spaß zu haben, waren ein prägendes Erlebnis meines Jakobsweges. Ich konnte auch spontane Pilgergottesdienste mitfeiern und die Gemeinschaft mit meinem Schöpfer spüren. Es war für mich sehr tröstlich zu erkennen, wie viele meiner Pilgerkollegen, wie ich, Menschen auf der Suche waren.
Wenn ich mich heute frage, welche Bedeutung meinen Pilgerweg für mein Leben hat, so werden die emotionalen Höhepunkte des Weges bleiben: das alte Kirchlein Eunate, wo ich meine spirituelle Pilgerschaft begonnen habe, an Cruz de Ferro, wo ich mit meinem bisherigen Leben, dem Guten und den Fehlern abschließen und mir selbst verzeihen konnte und der Augenblick, am Ziel in Santiago zu sein, wo ich so klar gespürt habe, wie sehr ich getragen und begleitet bin. Ich habe durch die vielen Stunden des alleine Gehens gelernt im Jetzt zu stehen, Ängste aber durch Ehrgeiz zu besiegen, zuzulassen und zu vertrauen.
Diese Erfahrung auch ins tägliche Leben hineinzunehmen ist eine permanente Herausforderung in meinem „Camino vitae“ dem Pilgerweg des Lebens.
Wolfgang Haderer